Nicole Nicoleitzik - "Foto: Förderverein Para Leichtathletik / Kevin Voigt"
„Eine Medaille kommt selten allein“: Nicoleitziks zweiter Bronze-Coup
Nicole Nicoleitzik hat es wieder getan: Die Doppel-Europameisterin von Berlin 2018 hat auch bei der Para Leichtathletik-WM in Paris ein zweites Mal zugeschlagen. Wie über 100 Meter sprintete sie über 200 Meter ebenfalls zu Bronze und konnte ihr Glück kaum fassen.
400-Meter-Sprinter und WM-Neuling Max Marzillier lief nach einer schwierigen Vorbereitung auf Platz fünf, Lisa Martin Wagner wurde bei ihrem internationalen Debüt Siebte im Kugelstoßen. Eine schwere Enttäuschung gab es für Katrin Müller-Rottgardt und Guide Noel Fiener.
Nicole Nicoleitzik blickte gebannt Richtung Anzeigetafel, schließlich wusste sie im Ziel zunächst noch nicht, dass es ihr wie über 100 Meter gelungen war, zu einer Medaille zu sprinten. Schon der Start der 27-Jährigen vom TV Püttlingen, die von Evi Raubuch trainiert wird, war stark – und nach der Kurve verteidigte sie ihren Bronzerang zwischen zwei argentinischen Konkurrentinnen. In persönlicher Bestzeit von 30,84 Sekunden holte sie Bronze über 200 Meter in der Klasse T36.
„Ich bin erstmal fix und alle“, jubelte Nicoleitzik: „Mit zwei Mal Bronze bei Weltmeisterschaften bin ich wirklich überglücklich, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich habe mal wieder bewiesen, dass es geht.“ Nach ihrem einschneidenden Erlebnis bei den Paralympics 2021 in Tokio, als sie ebenfalls auf Rang drei ins Ziel kam und nach anfänglicher Freude disqualifiziert wurde, weil sie die Bahn verlassen hatte, war es eine späte Genugtuung für die Saarländerin: „Ich habe mir seit dem Tag in Tokio – ich kann mich noch ganz genau erinnern, ich werde es wahrscheinlich nie vergessen – das Ziel gesetzt, es der Argentinierin in Paris zu zeigen“, sagte sie und ergänzte lachend: „Und ich glaube, das habe ich heute getan.“
Große Feierpläne hatte Nicoleitzik am Tag, an dem auch Markus Rehms Goldmedaille nach dem zurückgezogenen Protest der USA erst gesichert wurde, keine – schließlich wollte sie am nächsten Morgen Jule Roß und Kim Vaske ab neun Uhr im Weitsprung unterstützen: „Jetzt heißt es für mich nur noch anfeuern und meinen Teamkolleginnen das Beste wünschen.“
Starke Neulinge: Max Marzillier wird Fünfter, Lisa Martin Wagner Siebte
Max Marzillier riss im Ziel direkt die Hände nach oben: Der 21-Jährige vom BRPSV aus Cottbus hatte in 49,79 Sekunden über 400 Meter Rang fünf in seinem ersten Finale belegt – nach schwierigen Vorzeichen. Mit seiner Bestzeit von 49,02 Sekunden, die er im Jahr zuvor ebenfalls im Stade Charléty beim Grand Prix aufgestellt hatte, hätte der sehbehinderte Athlet von Yuliya Schoch sogar um die Medaillen mitlaufen können, doch in den vergangenen Wochen konnte er teils nur alternativ trainieren, weil ihn eine Verletzung plagte.
„Dass ich das zu Ende gebracht habe, erstmals in zwei Tagen zwei Mal 400 Meter zu laufen, ist erst recht nach den vergangenen Wochen ein sehr gutes Ergebnis“, sagte Marzillier, der sich am Vortag mit einem starken Finish als Dritter seines Vorlaufs qualifiziert hatte: „Saisonbestleistung ist schon sehr in Ordnung, zumal der Trainingsrhythmus ziemlich durcheinander war. Im Hinblick auf nächstes Jahr habe ich jetzt echt noch mehr Bock und bin noch motivierter. Mit diesen Umständen so eine Zeit zu laufen – das stimmt mich sehr positiv für die kommende Saison.“
WM-Debütantin Lisa Martin Wagner kam nach ihrem Kugelstoß-Wettbewerb in ihrer Klasse F44 ebenfalls nicht mehr aus dem Grinsen heraus. Mit Platz sieben und 9,12 Metern übertraf die Athletin, die von Alex Holstein bei MuWiS Sportvielfalt Bad Oeynhausen trainiert, ihre Erwartungen: „Ich fühle mich super. Bei der Weite wäre sogar noch etwas mehr möglich gewesen, aber mein Ziel war es, sechs Stöße zu haben und unter die ersten Acht zu kommen. Ich bin glücklich, hier sein zu dürfen und total dankbar für alles.“ Niemals hätte Lisa Martin Wagner damit gerechnet, so gut abschneiden zu können: „Am Anfang meinte mein Trainer zu mir, da ist was möglich. Aber dass ich hier stehen darf bei meinem ersten großen internationalen Wettkampf, das ist schon sehr verrückt. Jetzt will ich nächstes Jahr richtig Gas geben und vielleicht sogar einen Platz bei den Paralympics ergattern.“
Bitter enttäuscht waren am Vormittag Katrin Müller-Rottgardt und Guide Noel Fiener. Mit der zweitbesten Vorlaufzeit von 12,39 Sekunden, die auch im Finale für Silber gereicht hätte, schied das favorisierte Sprint-Duo vom TV Wattenscheid nach einem Fehlstart im Halbfinale aus. „Ich mache eigentlich nie einen Fehlstart – und dann ausgerechnet jetzt“, sagte die erfahrene Müller-Rottgardt und war fassungslos. Immerhin: Über 200 Meter wartet schon am Sonntagabend der Vorlauf und die nächste Chance, sich in Position zu bringen für die WM-Medaillen. Merle Menje, die über 800, 1500 und 5000 Meter Fünfte geworden war, landete im 400-Meter-Vorlauf auf Rang elf in 57,24 Sekunden: „Das primäre Ziel war es, ins Finale zu kommen, ich wusste aber, dass das schwer wird. Es ist trotzdem okay, weil ich einige Rennen in den Armen habe. Es ist cool, mit so schnellen Frauen fahren zu dürfen. Das macht einfach Spaß und Lust auf mehr.“
Nach dem sechsten Wettkampftag mit deutscher Beteiligung hat das deutsche Team durch Markus Rehm, Yannis Fischer und Léon Schäfer drei Mal Gold, durch Niko Kappel und Francés Herrmann zwei Mal Silber sowie durch Nele Moos, Felix Streng und die zweifache Nicole Nicoleitzik vier Bronzemedaillen gewonnen.
Am Sonntag starten morgens die Newcomerinnen Jule Roß und Kim Vaske im Weitsprung, am Vormittag ist die 4×100-Meter-Staffel mit Andreas Walser, Friederike Brose, Noah Bodelier und Merle Menje im Vorlauf und eventuell abends im Finale unterwegs. Zudem tritt Katrin Müller-Rottgardt mit Guide Noel Fiener im Vorlauf über 200 und Nele Moos im Vorlauf über 400 Meter an.
Nico Feißt / DBS