Die Krise der Leichtathletik erweist sich nach Auffassung von Flatau „als nicht existent
Eine Analyse zur Krise der Leichtathletik – Dr. Detlef Kuhlmann rezensiert: Jens Flatau – Die Entwicklung der Leichtathletikvereine.
Es gehört zu den schon seit etlichen Jahren mancherorts immer wieder hörbaren und lesbaren Annahmen, die Sportart Leichtathletik befände sich in einer Krise – wie immer dieser nicht wirklich wünschenswerte Zustand auch definiert sein mag. Mit der Zuschreibung vom krisenhaften Zustand dieser Sportart bzw. noch genauer der „Leichathletik anbietenden Organisationen“ (Abkürzung: LaO) will der Autor in seiner empirischen Studie aufräumen.
Dazu hat er in zwei Erhebungszeiträumen (in den Jahren 1996 und 2002) eine Stichprobe von 530 von ihm jetzt so bezeichneter LaO gezogen bzw. in einer standardisierten Befragung interviewt; 21 sog. qualitative Leitfadeninter-views mit Funktionären, Trainern und Aktiven sowie deren Eltern kamen hinzu. Das Ergebnis gleich vorweg: Die Krise der Leichtathletik erweist sich nach Auffassung von Flatau „als nicht existent“. So steht es Ende der neunteiligen Kurzfassung, die der insgesamt neun Kapitel umfassenden Studie vorausgeschickt wird.
Zu den Ergebnissen im Detail knapp soviel: Die LaO weisen im Untersuchungszeitraum ein durchschnittliches Wachstum von 2,4% auf, was in Mitgliederzahlen heißt: Jede La0 wächst demnach von 117 auf 134 Personen. Am größten sind die Wachs-tumsraten bei weiblichen Mitgliedern; Kinder und Jugendliche machen mit knapp der Hälfte den größten Altersanteil im Gesamtmitgliederbestand aus.
Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Deutschland sind Schulkinder in den LaO am stärksten über- und Senioren (trotz eines kräftigen Wachstumsschubs!) am stärksten unterrepräsentiert. Durch die Ergebnisse der qualitativen Erhebung kann festgehalten werden, dass die relativ schwache Mitgliederentwicklung im Jugendbereich vorwiegend mit den vielfältigen konkurrierenden Freizeitangeboten bzw. des außersportlichen Bereichs (z.B. durch die Unterhaltungsmedien) begründet ist.
Fast alle (90,5%) der LaO bieten sowohl Wettkampf- als auch wettkampfungebundenen (Leichtathletik-) Sport an. Die Vormachtstellung des Wettkampfsports hängt logischerweise mit dem vermehrten Vorhandensein von Kaderathleten bzw. -athletinnen innerhalb der Mitgliedschaft ab. Statistisch gehören zu einer LaO 5,9 Personen als Trainer und Übungsleiter beiderlei Geschlechts. Der Anteil der formal im verbandlichen Lizenzwesen qualifizierten Lehrkräfte in den LaO sinkt über den Befragungszeitraum von 81,8% auf 74,4%.
Der Autor zieht ein geradezu wissenschaftspolitisches Fazit: „Die Klärung der Frage, inwieweit es sich auch bei anderen kollektiv wahrgenommenen ‚Krisen’ in der Leichtathletik sowie im Sport insgesamt um empirisch nicht nachweisbare, durch wechselseitige Kommunikation konstruierte und perpetuierte Phänomene handelt, sollte auf dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse als eine Aufgabe zukünftiger sportwissenschaftlicher Forschung verstanden werden“.
Daraus wiederum könnte man auch diese Aufforderung ableiten: Der nächste (scheinbare) Krisen-Dialog kann eröffnet werden.
Welche Sportart bietet sich wohl dafür an?
Jens Flatau: Die Entwicklung der Leichtathletikvereine.
Eine kritische empirische Analyse zur „Krise der Leichtathletik“.
(SPORTVERLAG Strauß: Köln 2007; 192 S.; 31 Euro)
Dr. Detlef Kuhlmann