Ehrenamtliches Engagement im Sport auf dem Rückzug? Datensätze des Freiwilligensurveys im Zeitvergleich ausgewertet - Ehrenamtliches Engagement ist zu 90% vereinsgebunden ©Bernd Hübner
Ehrenamtliches Engagement im Sport auf dem Rückzug? Datensätze des Freiwilligensurveys im Zeitvergleich ausgewertet – Ehrenamtliches Engagement ist zu 90% vereinsgebunden – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann berichtet
Ist das ehrenamtliche Engagement im Sport auf dem Rückzug? Die Auswertung von Datensätzen aus dem sog. Freiwilligensurvey im Zeitraum von 1999 bis 2009 gibt eine Antwort auf diese Frage. Denn danach gibt es ein eindeutiges Ergebnis:
„Erstmals seit Gründung des Deutschen Sportbundes (DSB) bzw. des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) kann ein Rückgang des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements in dem quantitativ mit Abstand bedeutendsten Handlungsbereich gemeinschaftlicher Aktivitäten in Deutschland auf der Basis repräsentativer Bevölkerungsbefragungen im Zehnjahresvergleich nachgezeichnet werden“ – das ist das Fazit von Prof. Sebastian Braun vom Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement an der Humboldt-Universität zu Berlin, der die Freiwilligensurveys für das Handlungsfeld „Sport und Bewegung“ reanalysiert hat. Seine Studie wurde auch vom DOSB und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) gefördert.
Für den Freiwilligensurvey, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben wird, werden regelmäßig Menschen aus der Bevölkerung (ab 14 Jahre) zu ihren gemeinschaftlichen Aktivitäten bzw. freiwilligen Engagements in Bereichen wie Sport und Bewegung, Freizeit und Geselligkeit, Kultur und Musik sowie in der Politik befragt. Der Sport insgesamt ist dabei nach wie vor jener Bereich, der zahlenmäßig die meisten Menschen umfasst bzw. bindet: „Mit der Expansion und Pluralisierung der Sportkultur auf der gesellschaftlichen Ebene haben Sportengagements auch in der Lebensführung und im Lebenslauf des Einzelnen an Bedeutung gewonnen“ – lautet dazu der durchaus positive Befund, der jedoch mit dem zunehmend niedrigeren ehrenamtlichen Engagement in Kontrast steht.
Die Studie, deren wichtigste Ergebnisse, jetzt auch als Band 2011/03 in der Schriftenreihe des BISp (Köln 2011: Sportverlag Strauß; 76 Seiten; 12,80 €) erschienen sind, beschreibt die allgemeine Problemstellung hinsichtlich der Sport- und Engagementpolitik, skizziert die methodischen Grundlagen und bietet dann thesenartig insgesamt 14 empirische Befunde, die sich aus der Sonderauswertung der Daten der Erhebungen aus 1999, 2004 und 2009 im Bereich von Sport und Bewegung ergeben.
Diese Befunde sind der Reihe nach im Einzelnen und werden im Band jeweils näher erläutert:
(1) Wachstumstendenzen: Der Sport ist der größte Bereich gemeinschaftlicher Aktivitäten mit steigender Tendenz.
(2) Dominanz: Der Sportbereich weist die höchsten Engagementquoten auf.
(3) Engagement-Nukleus: Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement im Sportbereich ist zu 90% vereinsgebunden.
(4) Erosionstendenzen: Rückläufige Engagementquoten im Sportbereich bedeuten einen Verlust von 650.000 Engagierten zwischen 2004 und 2009.
(5) Krisentendenzen: Vorstands- und Leitungsfunktionen werden immer seltener übernommen.
(6) Expansionstendenzen: Engagementfrequenzen und Aufgabenfelder dehnen sich im Zeitverlauf aus.
(7) Bereitschaftstendenzen: Das Engagementpotenzial unter den nicht freiwillig Engagierten im Sportbereich steigt dynamisch.
(8) Personalisierung: Persönliche Ansprache und Eigeninitiative sind die maßgeblichen Zugangswege zum Engagement.
(9) Motivationen: Gemeinschaftliche Zugehörigkeit und Mitgestaltung im Kleinen sind zentrale Triebfedern zum Engagement.
(10) Akademisierung: Das Bildungsniveau der Aktiven und der Engagierten steigt kontinuierlich.
(11) Demografisierung: Aktive und Engagierte speziell in Leitungs- und Vorstandsfunktionen werden älter.
(12) Weibliches Ehrenamt: Engagementquoten speziell in Leitungs- und Vorstandsfunktionen sind rückläufig.
(13) Ambivalenzen: Die Aktivitätsquote von Personen mit Migrationshintergrund steigt, während die Engagementquote sinkt.
(14) Bedarfe: Materielle und rechtliche Infrastruktur werden als besonders verbesserungswürdig erachtet.
Alle 14 Befunde bieten genügend Anlass, über neue Akzente in der Sport- und Engagementpolitik nachzudenken. Allgemeine Handlungsempfehlungen müssen dabei jedoch immer mit den Geschehnissen, den Rahmenbedingungen und den vorhandenen Möglichkeiten „vor Ort“ in Beziehung gesetzt werden.
DOSB-Präsident Dr. Thomas Bach appelliert dazu bereits in seinem Vorwort zum Band und gibt konkrete Vorschläge: „Zugleich rufen wir dazu auf, die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer immer wieder durch Anerkennung zu motivieren, Angebote für ehrenamtliche Mitarbeit zu prüfen, zu verbessern und neue Formen zeitlich flexibler Projektarbeit zu unterbreiten.“
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
EN