Nach den Titelkämpfen von Turin hätte der frühere Dopingsünder Dwain Chambers eigentlich weiteren Kredit gewonnen, schließlich wurde der 30-Jährige nicht nur Europameister in 6,46 Sekunden, sondern er hatte im Halbfinale auch noch den Europarekord in der Halle gebrochen.
Dwain Chambers – Bitterer Beigeschmack – Jörg Wenig berichtet
Bei der Nominierung des Teams für die Hallen-EM hatte Charles van Commenee, der neue britische Cheftrainer, Dwain Chambers gelobt für seine Leistungen: „Es gibt jetzt eine neue Situation, und wir müssen das alte Kapitel schließen“, sagte van Commenee.
Nach den Titelkämpfen von Turin hätte der frühere Dopingsünder Dwain Chambers eigentlich weiteren Kredit gewonnen, schließlich wurde der 30-Jährige nicht nur Europameister in 6,46 Sekunden, sondern er hatte im Halbfinale auch noch den Europarekord in der Halle gebrochen: 6,42 Sekunden wurden für Dwain Chambers gestoppt, zum Weltrekord von Maurice Greene (USA) fehlten nur drei Hundertstel . „Die schwierigen Jahre haben dafür gesorgt, dass ich jetzt noch motivierter bin. Ich bin durch eine schwere Zeit gekommen, laufe jetzt schneller als früher und freue mich auf eine gute Zukunft“, sagte Dwain Chambers.
Doch den Kredit, den er mit seinen Leistungen in dieser Hallensaison zurückgewinnen konnte, hat Dwain Chambers vielleicht schon vor seinem ersten Start in Turin wieder verspielt. Am Tag nach seinem Sieg sollte der Verkauf seines Buches mit dem Titel ,Race Against Me: My Story’ starten. Und diese Biographie hat es in sich.
In der vergangenen Woche druckte die Zeitung ,Daily Mail’ Auszüge aus dem Chambers-Buch vorab. Daraus wird ersichtlich, dass Dwain Chambers nicht nur seine Doping-Vergangenheit offen legt, sondern diese Plattform auch dazu nutzt, um unter anderen Lauf-Legende Sebastian Coe – heute Organisationschef der Olympischen Spiele in London 2012 und Vizepräsident des internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF – und die britische 400-m-Olympiasiegerin Christine Ohuruogu anzugreifen.
Im Detail beschreibt Dwain Chambers sein Leben in jener Zeit, in der er dopte. Lange davor galt der Sprinter, der 1997 mit 10,06 Sekunden einen 100-m-Junioren-Weltrekord aufgestellt hatte, als große britische Hoffnung im Kampf gegen die Amerikaner. „Ich wollte der Beste in der Welt werden“, erklärt Dwain Chambers in seinem Buch, warum er Anfang 2002 zu Trainer Remi Korchemny in die USA ging. Der Coach war auch in verschiedene andere Dopingfälle verstrickt und arbeitete mit Victor Conte zusammen. Der Chef des Balco-Labors versorgte etliche Topathleten mit unerlaubten Mitteln – darüber stolperten schließlich auch Marion Jones (USA) und ihr früherer Freund Tim Montgomery. Der Sprinter hatte Chambers Anfang 2002 sogar noch gewarnt vor einer Zusammenarbeit mit Korchemny.
Doch Chambers hörte nicht auf Montgomery und steckte schnell mitten im Dopingsumpf. „Als im Flughafen von Miami mein Handgepäck durchsucht wurde, bekam ich Angst. Ich hatte genug Dopingmittel dabei, um einen Elefanten zu töten und hatte keine Ahnung ob sie legal waren oder nicht“, schreibt Chambers. „Eine Frage mehr von den Kontrolleuren und ich hätte mich gestellt.“ Doch dazu kam es nicht, stattdessen schluckte und spritzte Dwain Chambers mehr und mehr verbotene, damals nicht nachweisbare Mittel. Im Sommer 2002 wurde er dann in München 100-m-Europameister.
In jenem Jahr hat Dwain Chambers 300 verschiedene Dopingmittel genommen, die 30.000 US-Dollar kosteten. Nachdem er mehrfach gesundheitliche Probleme hatte und sich mit Magenschmerzen auf dem Boden krümmte, begann sich Chambers nach dem Sinn seines Handelns zu fragen: „Als ich sauber war, stand meine Bestzeit bei 9,97 Sekunden. Nach einem Jahr mit schlaflosen Nächten, Ängsten, Krampfschmerzen … stand meine Bestzeit bei 9,87 … Wahrscheinlich hätte ich diese Zeit auch auf natürlichem Weg erreicht.“ Doch Chambers bestellte weitere Dopingmittel bei Victor Conte. „Ich hatte Angst davor, was mir passieren könnte: Ich hatte einen Vertrag mit einem Sponsor über 200.000 Pfund – die Summe würde sich halbieren, wenn ich nicht unter den drei schnellsten wäre.”
Schon Anfang 2003 wunderte sich Dwain Chambers, warum eine Expresssendung mit Dopingmitteln aus den USA plötzlich mehrere Tage länger benötigte als üblich. Er fragte sich, ob das FBI dahinter stecken könnte. Im August 2003 wurde Dwain Chambers im Rahmen des Balco-Skandals schließlich positiv getestet und zwei Jahre gesperrt – die Mittel aus dem Balco-Labor waren nun nachweisbar.
2006 kam Dwain Chambers zurück und gewann bei der EM mit der britischen 4×100-m-Staffel. Das löste nicht nur Freude aus: Darren Campbell verzichtete auf die gemeinsame Ehrenrunde. Ein Jahr später schien die Leichtathletik-Karriere von Dwain Chambers beendet zu sein, denn er spielte American Football bei den Hamburg Sea Devils in der NFL Europe und erklärte in einem Interview: „Die Wissenschaft ist dem Testsystem immer einen Schritt voraus.“
Doch im Football hatte er wenig Erfolg und so kam Chambers vor gut einem Jahr zur Leichtathletik zurück. Er qualifizierte sich für die Hallen-WM, für die der britische Verband ihn nicht nominieren wollte. Aus rechtlichen Bedenken nahmen die Briten ihn doch mit nach Valencia, wo Chambers Silber gewann.
Da ehemals gedopte Athleten nicht für ein britisches Olympiateam nominiert werden dürfen, fuhr Chambers nicht nach Peking. Vergeblich hatte er versucht, rechtlich gegen die Regelung vorzugehen. Ein zwischenzeitlicher Versuch, in der englischen Rugby-Liga Fuß zu fassen, endete nach einem Testspiel mit zahlreichen Prellungen ebenso erfolglos. Im vergangenen Sommer hatte Dwain Chambers so gut wie keine Startmöglichkeiten bei Sportfesten und damit praktisch keine Einnahmen. Die führenden europäischen Meetings hatten sich darauf geeinigt, bei ihren Sportfesten keine ehemals gedopten Athleten mehr starten zu lassen.
Die nun erscheinende Biographie dürfte zwar die finanzielle Lage von Dwain Chambers verbessern. Aber sie führt ihn wohl auch in eine neue Sackgasse. Während die Angriffe auf Sebastian Coe sich offenbar auf dessen Privatleben beziehen, beschuldigt er Christine Ohuruogu aufgrund drei verpasster Kontrollen des Dopings. Die Athletin wurde deswegen 2006 für ein Jahr gesperrt.
Mit seinen Äußerungen zu Christine Ohuruogu und anderen sorgt Dwain Chambers wohl selbst dafür, dass seine Geschichte noch um einige Kapitel erweitert wird. Der britische Verband will den neuen Fall Chambers untersuchen.
Ein Ende ist nicht abzusehen.
Jörg Wenig