Duell mit den Beamten – Die britischen Leichtathleten sammelten in Barcelona 19 Medaillen – aber ausgerechnet vor Olympia 2012 droht der Verlust von Fördergeld. Frank Bachner im Tagesspiegel
Sie hätte es natürlich noch etwas spannender machen können. Sie hätte der Konkurrenz etwas länger das Gefühl geben können, dass die sogar eine Chance auf Gold hat. Sie hätte bloß nicht schon von Anfang an alles geben müssen. Eine nette, irreale Vorstellung, natürlich spielte Jessica Ennis nicht mit den Gegnerinnen. Leichtathletik-Europameisterschaften sind kein Experimentierfeld.
Und so machte Weltmeisterin Jessica Ennis von den ersten Sekunden an klar, dass sie diese Siebenkampf-Konkurrenz beherrschen werde. Sie sprintete 12,95 Sekunden über die Hürden – schnellste Zeit aller Läuferinnen. Sie sprang 1,89 Meter hoch – keine andere schaffte diese Leistung. Und am Ende hatte sie im besten Siebenkampf, den es je bei Europameisterschaften gegeben hat, mit 6823 Punkten gewonnen.
Dann ging sie zu den Reportern, etwas außer Atem noch, aber für die wichtige, gut verständliche Botschaft reichte es allemal: „Wir alle denken doch nur an die Olympischen Spiele 2012.“
Das ist der Kerngedanke. Die EM in Barcelona war für das britische Team nichts anderes als eine frühe Generalprobe für das absolute Highlight, London 2012, die Olympischen Spiele.
„Zehn bis 15 Medaillen müssen es werden“, hatte Cheftrainer Charles van Commenee vor der EM gefordert. 19 durfte er am Ende zählen, Plansoll übererfüllt. Sechs Gold-, sieben Silber- und sechs Bronzemedaillen, das müsste den neuen Erbsenzählern zu Hause im Schatzministerium oder in Downing Street 10 doch genügen.
Seit dem Regierungswechsel haben die britischen Leichtathletik-Funktionäre nämlich ein Problem. Sie müssen um ihre Fördermittel bangen. Die neue Regierung streicht konsequent alle Ausgaben zusammen. Olympia gilt nicht mehr als nationale Prestigesache, sondern als Teil einer kühlen Kosten-Nutzen-Analyse. Von den Sparmaßnahmen ist auch der Sport betroffen, gefördert werden sollen nur noch Athleten mit Medaillenchancen bei den Olympische Spielen.
Und am stärksten würden Einschnitte die Sparte Leichtathletik treffen. Der Leichtathletik-Verband erhält von allen olympischen Sportarten das meiste Geld, zudem fließen fast 65 Millionen Euro aus einem „Jahrhundertvertrag“ mit einem Versicherungsunternehmen.
Aber wer hat denn nun echte Medaillenchancen bei den Olympischen Spielen? Phillips Idowu zum Beispiel, der Dreisprung-Europameister. Der hatte gleich auch noch was fürs Ehrgefühl seiner Landsleute getan. Für ihn ging es ja auch ums Prestige. Er wollte unbedingt diesen jungen Franzosen besiegen, den sie jetzt alle so feiern, diesen Teddy Tamgho, der vor ein paar Wochen 17,98 Meter weit gesprungen war und dann tönte: „Zweite und dritte Plätze interessieren mich nicht.“
Dann muss er jetzt seine eigene Platzierung ignorieren. Den Sieg holte sich nämlich der Weltmeister Idowu mit persönlicher Bestweite (17,81 Meter). Auch wenn es ihn nicht interessiert, nur so für die Statistik: Tamgho wurde Dritter (17,45).
Für die überlegenen Siege war Mo Farah zuständig, ein gebürtiger Somalier, der als Flüchtlingskind auf die Insel gekommen war. Er gewann fast lässig über 5000 und 10 000 Meter. Über 10 000 Meter belegte sein Landsmann Chris Thompson Platz zwei.
Es blieb nicht der einzige britische Doppelsieg. Über 400 Meter Hürden gewann David Greene in 48,12 Sekunden vor Rhys Williams. Greene fiel aber nicht bloß als Sieger auf. Noch ein Spur interessanter war seine Regenerationsfähigkeit:
Hinter ihm sanken Gegner ausgepowert zu Boden, Mr. Greene aber schlenderte zum Ausgang, als hätte er gerade einen Spaziergang durch den Tower absolviert.
Frank Bachner im Tagesspiegel, Dienstag, dem 3. August 2010