Diese Entscheidung, so sie denn in 2012 zum Tragen kommt, wird negative Auswirkungen auf die Mehrzahl der Athletinnen und Athleten haben, der größten Leichtathletik-Fangemeinde.
Dr. Matthias Reick – „Eine Katastrophe“ – Ein Interview zu der seltsamen Entscheidung des DLV-Verbandsrates der Änderung der Altersklassen.
Der DLV-Verbandsrat hat in der letzten Woche mehrheitlich beschlossen, den Seniorensport ab dem Jahr 2012 mit der Altersklasse M/W 40 beginnen zu lassen. Im Interview nimmt der zuständige DLV-Vizepräsident Dr. Matthias Reick Stellung und liefert Hintergründe.
Herr Dr. Reick, am vergangenen Wochenende ist für die Senioren eine schwerwiegende Entscheidung gefallen. Sie hatten inzwischen etwas Zeit zum Verarbeiten. Wie bewerten Sie die Entscheidung des Verbandsrates jetzt mit etwas Abstand?
Dr. Matthias Reick:
Diese Entscheidung, den Seniorensport ab 2012 erst mit der Altersklasse M/W 40 beginnen zu lassen, ist eine Katastrophe. Sie betrifft ja nicht nur die Deutschen Senioren-Meisterschaften, sondern hat Auswirkungen auf alle Sportfeste und Volksläufe bis hin zum kleinsten Citylauf, bei denen zukünftig dann die Altersklassenwertung erst ab M/W 40 greift. Darüber hinaus gehen die Athletinnen und Athleten, die mit 30, 35 Jahren keinen Hochleistungssport mehr betreiben können, der Leichtathletik verloren.
Wie konnte es überhaupt zu dieser Entscheidung kommen?
Dr. Matthias Reick:
Diese Entscheidung entsprach nicht der Empfehlung des Bundesausschusses Senioren, der in seiner Tagung vor drei Wochen in Erfurt dem Verbandsrat einstimmig empfohlen hatte, zumindest analog zur internationalen Regelung, also ab Altersklasse M/W 35, zu verfahren und auch den Bundesausschuss Wettkampforganisation davon überzeugen konnte. Begründet wurde der Antrag im Verbandsrat mit den zu geringen Teilnehmerzahlen in den beiden Altersklassen M/W 30 und 35.
Das DLV-Präsidium folgte einstimmig meiner Empfehlung, uns an der internationalen Regelung zu orientieren, wie es auch der Bundesausschuss empfohlen hatte. Einige Landesverbandsvertreter waren jedoch anderer Auffassung, so dass der Antrag mit knapper Mehrheit abgelehnt wurde, da bei der Abstimmung das qualifizierte Stimmrecht galt. Dazu muss man wissen, dass der Verbandsrat sich aus den Mitgliedern des Präsidiums (Anm. zwölf Personen), den Präsidenten und Vorsitzenden der 20 Landesverbände sowie dem gewählten Athletensprecher zusammensetzt. Jedes Mitglied des Verbandrates hat eine Stimme.
Bei der Verabschiedung und Änderung der Ordnungen haben die Präsidenten und Vorsitzenden der 20 Landesverbände qualifiziertes Stimmrecht. Hierbei richtet sich die Stimmenzahl nach der Mitgliederzahl der dem LV angehörenden Leichtathletikvereine bzw. -abteilungen (für je angefangene 5.000 Mitglieder eine Stimme).
Ich habe trotz intensiver Lobbyarbeit bis weit in die Nacht und am Freitagmorgen hinein die betreffenden LV-Präsidenten nicht überzeugen können und im Nachgang der Entscheidung, da ich mir der Tragweite bewusst bin, erwogen, von meinem Amt zurückzutreten.
Margit Jungmann als BA-Vorsitzende hatte Gleiches angedacht. Wir kamen jedoch zu der Überzeugung, dass dieser Schritt der falsche sei, da die Seniorenleichtathletik dadurch in ihrer Position zu deutlich geschwächt würde, da neue Kräfte sich zunächst in diesem, offensichtlich auch politisch begründeten Abstimmungsverhalten der LV-Präsidenten, denn nachvollziehbare objektive Gründe wurden nicht vorgetragen, neu orientieren müssten.
Welche Auswirkungen wird diese Entscheidung kurz- und langfristig auf die Senioren-Leichtathletik haben?
Dr. Matthias Reick:
Diese Entscheidung, so sie denn in 2012 zum Tragen kommt, wird negative Auswirkungen auf die Mehrzahl der Athletinnen und Athleten haben, der größten Leichtathletik-Fangemeinde. Leichtathletik ist ein Familiensport, der ganze Familien vom Kind und Enkel über die Eltern bis zu den Großeltern verbindet und bewegt. Mit der Streichung der beiden Altersklassen 30 und 35 geht uns der „Seniorenunterbau“ verloren. Wir verlieren Leichtathleten, die in der Aktivenklasse nicht mehr starten können oder wollen, aber keine zehn Jahre pausieren werden, um dann als 40-Jährige wieder einzusteigen. Damit werden in absehbarer Zeit auch die weiteren Altersklassen ausgedünnt, da nichts nachrückt.
Wie bewerten Sie die Reaktionen der Seniorensportler?
Dr. Matthias Reick:
Ich achte den Willen der Betroffenen und erachte ihre selbstorganisierte Meinungsbildung und ihren Lobbyismus als sehr förderlich, um denjenigen, die die Entscheidung getroffen haben, die Tragweite vor Augen zu führen und zu einem besseren Meinungsbild zu kommen. Ich als Vizepräsident, der Bundesausschuss Senioren und die DLV-Geschäftsstelle respektieren natürlich das demokratische Abstimmungsergebnis des aus der Satzung dafür zuständigen Gremiums, auch wenn wir es für falsch erachten und es absolut kontraproduktiv für die Athletenbindung in der allgemeinen Leichtathletik ist.
Gibt es eine Chance, die Entscheidung noch einmal zu korrigieren?
Dr. Matthias Reick:
Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um innerhalb meiner satzungsgebundenen Möglichkeiten diesen Beschluss zu revidieren. Bereits in Leipzig habe ich angekündigt, die Altersklassen-Regelung spätestens im Sommer in Kassel erneut auf die Tagesordnung setzen zu lassen. Diesem Vorschlag ist Präsident Dr. Clemens Prokop gefolgt und hat bereits angekündigt, spätestens in Kassel erneut abstimmen zu lassen.
DLV