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09
11
2010

Nicht so moderater Gesundheitssport. Nach jeder Trainingseinheit patrouillieren Immunglobuline – Abwehrstoffe des Immunsystems – und Abwehrzellen mit doppelter Aufmerksamkeit durch den Organismus.

Dr. Hartmut WEWETZER vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin: Eine Nase für das Virus – Heute: Sport senkt das Schnupfenrisiko

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Mit etwas Glück können Sie Ihrem Schnupfen davonrennen. Oder davonradeln. Das hat eine amerikanische Studie ergeben, in der 1000 Männer und Frauen zwischen 18 und 85 über zwölf Wochen im Herbst und Winter 2008 beobachtet wurden. Je fitter die Teilnehmer waren, umso seltener wurden sie von Infektionen der oberen Atemwege geplagt, berichten die Forscher im „British Journal of Sports Medicine“. Wer sich viel bewegte, hatte etwa 40 Prozent weniger Schnief- und Hustentage als Sportmuffel. Auch der Schweregrad der „Erkältungen“ fiel deutlich geringer aus.

Ebenso interessant ist die Frage, warum Bewegung Schnupfenviren verscheuchen kann. Dabei muss man jedoch unterscheiden. Intensivsportler setzen ihrem Immunsystem eher zu, Entzündungen und Atemwegsinfekte werden durch Leistungssport gefördert. Der Dauerstress macht den Körper anfälliger für Keime.

Nicht so moderater Gesundheitssport. Nach jeder Trainingseinheit patrouillieren Immunglobuline – Abwehrstoffe des Immunsystems – und Abwehrzellen mit doppelter Aufmerksamkeit durch den Organismus. Nach ein paar Stunden haben sich die Killerzellen beruhigt, aber das hat möglicherweise genügt, um die Bazillen in die Schranken zu weisen. Oder, um korrekt, zu sein: die Viren. Denn die mehr als 200 Arten von Schnupfenviren sind die Hauptübeltäter bei der „Erkältung“. Auch wenn der volkstümliche Name nahelegt, dass Kälte die entscheidende Ursache ist – sie spielt im Vergleich zu Viren kaum eine Rolle.

Nasen-Viren sind noch aus einem weiteren Grund interessant, auf den die amerikanische Autorin Jennifer Ackerman in ihrem Buch „Ah-Choo!“ („Hatschi!“) hinweist. Quälende Schnupfensymptome gehen nicht etwa auf das Konto der Krankheitserreger, sondern werden vorzugsweise durch das Immunsystem selbst hervorgerufen. Entzündungsfördernde Zytokine, Prostaglandine und manch andere Abwehrmoleküle sind es, die dazu führen, dass die Nase verstopft und tropft, dass Niesen, Husten und Gliederschmerzen uns zu schaffen machen.

Die Viren selber ließen sich schmerzlos per Antikörper wieder entfernen. Das ist auch bei etwa jeder vierten Infektion mit einem Schnupfenvirus der Fall, berichtet Jennifer Ackerman. Es gibt keine Symptome, die Infektion verläuft unbemerkt. Aber meist macht das Immunsystem ein großes Trara um den banalen Atemwegsinfekt. Als wollte es sagen: „Schau mal, wie wichtig ich bin!“

„Hatschi!“-Autorin Ackerman schließt daraus, dass eine wache Körperabwehr nicht immer ein Segen ist. Im Fall harmloser Schnupfenerreger wünschte man sich mehr Gelassenheit seitens der Körperpolizei. Ein starkes Immunsystem ist ein zweischneidiges Schwert.

Vielleicht ist es ja der Freizeitsport, der die Dinge ins Lot bringt. Denn Krankfühlstoffe wie Zytokine werden dabei nicht vermehrt ausgeschüttet, lediglich die „normale“ Immunabwehr wird verbessert. Und anders als die vielen Mittelchen, mit denen man angeblich sein Immunsystem festigt, ist Bewegung auch noch kostenlos.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel.  Sonntag, dem 7. November 2010

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