Er habe, erläuterte der Richter, eine Botschaft an Sportler richten wollen, die dopen und die Werte von harter Arbeit, Teamwork und Teamgeist übersehen
Dopingfall Marion Jones – Warnung vor den Giftküchen – Mit seiner Gefängnisstrafe für die gedopte Sprint-Olympiasiegerin Marion Jones will Richter Karas eine Botschaft an alle Sportler richten. Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung
Von zwei Polizisten bereits erwartet, klettert Marion Jones aus dem Auto. Sie ist dunkel gekleidet, ihr langes Haar streng zum Pferdeschwanz gebunden. Krampfhaft zwingt sie sich zu einem Lächeln. Es verrät Verlegenheit. Ehemann Obadele Thompson, in schwarz auch er, nimmt sie bei der Hand, und flankiert von ihren Anwälten betreten beide das Gerichtsgebäude. Dabei müssen sie vorbei an den Journalisten. Einer fragt, wie es ihr gehe und erhält ein knappes, aber deutliches "okay" als Antwort. Es soll, so hat es den Anschein, Optimismus signalisieren.
Als gegen Mittag am Freitag in White Plains/New York der Meineidsprozess in zwei Fällen gegen die "zur nationalen Schande" (Jones über Jones) degradierten Leichtathletin gelaufen ist, verlässt das Paar das Gericht wieder Hand in Hand. Jetzt lächelt die zuvor von Richter Kenneth Karas zu sechs Monaten Gefängnis und 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilte Frau nicht mehr. Sich über das verheulte Gesicht wischend, ihre Frisur korrigierend wendet sich die erschütterte Frau den Medienvertretern zu.
"Ich war immer bei euch, wenn ich gewonnen habe und heute auch", hebt sie an zu einem kurzen Statement. Tapfer bekämpft Jones einen Weinkrampf. "Ich bin extrem enttäuscht, respektiere aber das Richterurteil", sagt sie und fügt an, sie "hoffe wirklich, dass die Menschen aus meinen Fehlern lernen". Schließlich: "Danke, dass sie gekommen sind." Spricht’s und verschwindet mit ihrem Anhang im bereitstehenden Wagen. Polizisten sind jetzt keine mehr da.
Die Grenzen der Güte
Zwischen Auftritt und Abgang erlebte Marion Jones dramatische 20 Minuten. So lange hat Richter Karas gebraucht, um sein Urteil zu begründen. Es ist ein hartes Urteil, das Maximum dessen, was die Ermittlungsbehörden mit den Jones-Anwälten ausgehandelt und dem Gericht als Empfehlung vorgelegt hatten: null bis sechs Monate im Gefängnis. Allerdings beileibe nicht die Maximalstrafe.
Bis zuletzt hatte Jones gehofft, Karas würde das zwölf Seiten lange Memorandum ihrer Anwälte von vergangener Woche milde stimmen, in dem vor allem um Rücksichtnahme auf Jones als Mutter von zwei Söhnen, vier Jahre und sieben Monat alt, gebeten worden war. "Ich bitte sie inständig", wandte sie sich vor der Urteilsverkündung an Karas, "seien Sie so gütig, wie ein Mensch gütig sein kann". Nur, Karas wollte nicht übermäßig gütig sein. Da warf sich Jones weinend in die Arme ihres Mannes.
Er habe, erläuterte der Richter, eine Botschaft an Sportler richten wollen, die dopen und die Werte von harter Arbeit, Teamwork und Teamgeist übersehen. Athleten seien herausgehoben in ihrem gesellschaftlichen Status, hätten Vorbildcharakter vor allem für Kinder. Aber eben diese Kinder seien belogen worden.
Entscheidend für das Urteil waren wohl weniger moralisch-ethische Aspekte als vielmehr Karas’ Überzeugung, dass Marion Jones nicht die ganze Wahrheit preisgab, als sie im Oktober ihren Dopingbetrug gestand. Damals hatte sie eingeräumt, die von Victor Contes Firma Balco in Auftrag gegebene, lange Zeit nicht nachzuweisende und von ihrem Trainer Trevor Graham verabreichte Designerdroge THG konsumiert zu haben – nur die und nur im Zeitraum Frühjahr 2000 bis Juli 2001.
Ihre Superzeiten 2002, als ihr Freund Tim Montgomery mit Contes THG gedopt 100-m-Weltrekord lief, waren demnach sauber? Erst als sie sich nach 2001 von Graham getrennt habe, sei ihr bewusst geworden, THG genommen zu haben und nicht Leinsamenöl, wie er ihr weismachen wollte. Karas: "Ich bezweifele, dass ein hochklassiger Athlet die Drogenwirkung nicht bemerkt". Karas hatte Kenntnis von einem Hauptbuch und einem Kalender, die Chefermittler Jeff Novitzky bei einer Razzia im September 2003 im Hause Balco konfiszierte. Dort ist für eine Person mit dem Kürzel M.J. und unverschlüsselt für "Marion Jones" die Einnahme noch anderer Dopingmittel wie Epo, HGH und Insulin datiert.
Krokodilstränen der Funktionäre
Vier Jahre lang hatte die Sprinterin geleugnet, je Dopingmittel genommen zu haben und auf 160 unbeanstandete Dopingkontrollen verwiesen, auch Ende 2003 unter Eid gegenüber einer Grand Jury der kalifornischen Justizbehörden. Ihr Dopinggeständnis, das die Aberkennung sämtlicher Olympia- und WM-Titel und Wettkampfleistungen seit 2000 durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF nach sich zog, ist im Übrigen laut New York Times erst durch die eindeutige Beweislage in der zweiten Strafsache gegen Jones ermöglicht worden:
Als sie ihre Verwicklung in den Scheckfälscherbetrug (fünf Millionen Dollar) ihres letzten Trainers Steve Riddick und ihres Ex-Freundes Montgomery nicht länger abstreiten konnte, legte man ihr gleich noch nahe, die Dopinglüge zuzugeben. Riddick wurde am Freitag nach dem Jones-Prozess von Richter Karas zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Ihre Haftstrafe muss Marion Jones am 11. März antreten. Ob sie im Prozess wegen uneidlicher Falschaussage gegen ihren früheren Trainer Trevor Graham als Zeugin auftreten muss, ist offen. Was bis dahin geschieht? Die Hoffnung der Sportoffiziellen, der Fall möge auf Doper abschreckend wirken, wird sich in Wohlgefallen auflösen, und die am Wochenende vergossenen Krokodilstränen der Funktionäre trocknen.
"Eine Menge Traurigkeit für Marion und ihre Familie", empfand die IAAF, und Travis Tygart von der Antidopingagentur Usada registrierte "einen traurigen Tag für den Sport". Victor Conte ("Sie hat eine gigantische Lektion erteilt bekommen") fühlte sich gar unwohl.
Wegen "Mutter Marion und ihrer zwei Kinder", oder weil er sie vor neun Jahren in seine kalifornische Giftküche gelockt hatte?
Michael Gernandt
Süddeutschen Zeitung am Montag, dem 14. Januar 2008
Dopingfall Marion Jones – Der Sport schaut nur zu
Dass die gedopte Sprinterin Marion Jones wegen Meineids ins Gefängnis muss, ist kein Ruhmesblatt für das Kontrollsystem des Sports. Ganz im Gegenteil, es hat hochkant versagt.
Ein Kommentar von Michael Gernandt in der SZ vom 14. Januar 2008
Damit das klar ist: Marion Jones geht nicht als die erste gedopte Athletin in die Sportgeschichte ein, die ins Gefängnis muss. So weit sind selbst die Amerikaner noch nicht, dass sie Doper hinter Schloss und Riegel bringen können. Nachgewiesener Konsum von illegalen leistungssteigernden Mitteln unterliegt wie überall auch in den USA nur dem Sportrecht. Den Missbrauch hat Jones zugegeben – nachdem sie ihn vorher unter Schwur geleugnet hat.
Bei Meineid aber, Doping hin oder her, hört für die Amis der Spaß auf. Dass die Haftstrafe für die weiland Ikone der Leichtathletik dennoch künftig immer zuerst mit dem Sportbetrug in Verbindung gebracht wird, ist kein Webfehler der Justiz – aber auch kein Ruhmesblatt für das Kontrollsystem des Sports. Ganz im Gegenteil, es hat hochkant versagt.
Ein System, das eine gedopte Athletin 160 Mal unbeanstandet durchwinkt, taugt nichts. Einerseits. Auf der anderen Seite erhärtet der Fall Jones die Erkenntnis: Die Trickser in den Pharmalabors werden das System immer überlisten und zwar nicht nur in Kalifornien. Es lässt sich leider nur ahnen, wie viele wie Jones unauffällig manipulierte Sportler weltweit zu Gange sind.
Ein essentieller Beitrag der Sportverbände – IOC, IAAF, USATF – zur Enttarnung der Amerikanerin speziell in der Zeit nach dem Auftauchen des ersten Verdachts Ende 2003 ist nicht erinnerlich. Über die Rolle von Trittbrettfahrern sind sie am Ende nicht hinaus gekommen, weil die Funktionäre, wie Kontrolleure gegen Pharmafälscher, chancenlos waren gegen die behördlichen Strafverfolger und ihre Möglichkeiten.
Den bisher prominentesten Dopingsünder, Ben Johnson, vermochte der Olympiasport noch selbst überführen, in der Angelegenheit der nicht minder exklusiven Marion Jones sah er nur zu. Überzeugender kann nicht belegt werden, wer den Dopern auf die Schliche kommen kann. Den Widerstand vor allem des IOC gegen noch mehr Staat bei der Bekämpfung der Seuche und der Sanktionierung der Übeltäter wird das gleichwohl nicht brechen.
Zudem ist zu befürchten, dass der Sport und die Gesellschaft weiterhin nicht viel unternehmen werden, den Kräften entgegen zu wirken, die Marion Jones, die aufgrund ihres überragenden Talents Sportbetrug nicht nötig gehabt hätte, verführten: Geld, Glamour und, besonders verhängnisvoll, die in den USA zu beobachtende quasi Duldung des Dopings. Jetzt Tränen zu vergießen, weil Jones für sechs Monate von ihren Kindern getrennt wird, ist blanker Zynismus.