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Doping-Skandal und Olympia-Aus – Warum nur die russischen Leichtathleten? Michael Reinsch, Wien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Unfair? Rune Andersen hat die Krokodilstränen und die scheinheilige Empörung kommen sehen, die Wladimir Putin vergoss über den Ausschluss der russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio.
Eine Verletzung aller Rechtsgrundsätze nannte der größte Sportfreund und Präsident Russlands am Samstag die Entscheidung. Den russischen Leichtathleten müsse ihre individuelle Schuld bewiesen werden, statt sie kollektiv abzustrafen.
„Unzweifelhaft würde die Nichtwiederzulassung des Russischen Leichtathletikverbandes bedeuten, dass einige saubere russische Sportler Rio verpassen werden“, schreibt dagegen Andersen, den der Leichtathletik-Weltverband IAAF als Sonderermittler in Sachen systematischen Dopings eingesetzt hatte.
Die Argumente der russischen Politiker kennt er zu Genüge. Und so hat er schon in seinem am Freitag vorgelegten Bericht auf die Argumentation geantwortet, mit der Putin ihm 24 Stunden später kommt.
Es sei ganz und gar nicht unfair, schreibt er, die Suspendierung aufrechtzuerhalten, auch wenn dies zunächst die Sportler treffe. „Obwohl dies unglücklich ist, ist es nichts im Vergleich zu der Ungerechtigkeit, die so viele Athleten in der Vergangenheit erlitten haben, indem sie von ihren russischen Mitbewerbern um Medaillen, Preisgeld und Ruhm betrogen wurden“, führt Andersen aus.
„Und so viele mehr würden in der Zukunft leiden, wenn diese Gelegenheit vergeben würde, das Problem zu lösen. Kurz: Dies ist der Preis, der für das Scheitern der russischen Autoritäten gezahlt werden muss, und die russischen Autoritäten allein sind daran schuld.“
Putin will gegen Olympia-Sperre in Rio vorgehen
Als sei die einstimmige Zustimmung des IAAF-Council nicht genug, weist Andersen zudem darauf hin, dass es merkwürdig sei, dass andere Personen, die mit dem russischen Verband verbunden sind, weiter international aktiv sein dürfen. Dies solle so schnell wie möglich überprüft werden. Da kommt womöglich auch noch die Sperre seiner Funktionäre auf den russischen Sport zu.
Konsequent wäre das.
Die IAAF sperrte die Russen im November. Eine unabhängige Kommission im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hatte die Vorwürfe von systematischem Doping in der Leichtathletik, von planmäßigen Manipulationen der Doping-Kontrollen und von grassierender Korruption an der Spitze des Weltverbandes bestätigt.
Seitdem erweist sich das Gebilde von Fair Play, Chancengleichheit und null Toleranz gegenüber Doping, in dem sich der Sport einzurichten versucht, als Kartenhaus.
Längst ist deutlich geworden, dass die Doping-Bekämpfung auf der ganzen Welt überfordert und nicht allein die Leichtathletik betroffen ist. Obwohl Andersen angehalten war, sich auf Leichtathletik und Russland zu konzentrieren, machen doch die An- und Deutungen darüber hinaus seinen Bericht erst recht zur derzeit heißesten Lektüre des Weltsports – bis am 15. Juli Richard McLaren seinen Bericht über all das vorlegen wird, was er über die Kooperation des betrügerischen, inzwischen in die Vereinigten Staaten geflohenen Chefs des Moskauer Doping-Kontrolllabors, Grigori Rodschenkow, mit dem russischen Geheimdienst herausgefunden hat.
Gemeinsam sollen sie bei den Winterspielen von Sotschi 2014 für das Verschwinden von mehr als hundert Doping-Proben gesorgt haben.
Vorab hat McLaren, ein Jurist aus Kanada, die Leichtathleten wissen lassen, dass sie wohl den sportlichen Wert ihrer Weltmeisterschaft 2013 in Moskau abschreiben dürfen.
Schon im Sommer vor Sotschi soll Rodschenkow den Trick beherrscht haben, die angeblich nicht manipulierbaren Probenfläschchen unbemerkt zu öffnen. Die russische Justiz hat gegen Rodschenkow inzwischen Ermittlungen eingeleitet. Ihm werde Missbrauch vorgeworfen, sagte Wladimir Markin, Sprecher der russischen Ermittlungsbehörde, am Samstag in Moskau.
Rodschenkow habe versucht, eigene Versäumnisse und Fehlverhalten zu vertuschen.
Damit habe er dem Ruf Russlands geschadet und die Anti-Doping-Politik der Sportmacht diskreditiert. McLaren hat allerdings herausgefunden, dass das Ministerium für Sport, Tourismus und Jugendpolitik unter der Leitung von Witali Mutko spätestens von 2011 an bestimmte, welche Athleten positiv getestet werden dürfen und wessen Resultate unterschlagen wurden. Dies passe zum Vorwurf, dass der Sportminister vor zwei Jahren angeordnet habe, die positive Probe eines Erstliga-Fußballspielers verschwinden zu lassen.
Putin nennt die Sperre durch die IAAF „unfair“
Falls also bei Moskau 2013 und Sotschi 2014 betrogen wurde, was bedeutet das für Kasan 2015, die Schwimm-Weltmeisterschaft? Auch Schwimmern bot Rodschenkow an, unliebsame Testergebnisse verschwinden zu lassen. Und was ist mit all den anderen Sportarten, in denen Russland Gastgeber von Weltmeisterschaften und Weltcups war?
Was ist mit Skilanglauf und Gewichtheben, mit Ringen und Bobfahren, mit Eisschnelllauf, Biathlon und Radfahren? Spätestens der McLaren-Report wird die Frage aufwerfen: Was ist mit den Russen und Rio 2016? Werden sie überhaupt teilnehmen dürfen? Und was bedeutet dies für die Fußball-WM 2018 in Russland?
Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV), hat am Samstag darauf hingewiesen, dass Russland in dieser Hinsicht nicht nur ein Problem mit der Leichtathletik, sondern mit der gesamten Sportorganisation des Landes habe.
„Ich kann nicht nachvollziehen, warum in anderen Sportarten noch nicht einmal darüber diskutiert wird“, sagte der Jurist. Angesichts der gravierenden Doping-Probleme müsse über den „Ausschluss der russischen Mannschaft insgesamt“ bei internationalen Wettkämpfen nachgedacht werden.“
Dem Sport steht jedenfalls eine Zerreißprobe zwischen Integration und Ausschluss bevor.
Doch auch das fadenscheinige Doping-Kontrollsystem gehört auf den Prüfstand. „Der Nachweis negativer Tests beweist gar nichts“, sagt Andersen, und damit meint er nicht nur die vierzehn russischen Leichtathleten, die sich selbst im November in einem offenen Brief Sauberkeit attestierten, und verlangten, sie dürften nicht für die Verfehlungen anderer zur Verantwortung gezogen werden.
Bei den Nach-Tests von Doping-Proben der Olympischen Spiele von Peking 2008 und London 2012 wurden zwei von ihnen überführt, die Hochspringerin Anna Tschitscherowa und die Speerwerferin Maria Abakumowa.
Andersen kann jede Menge sprechender Details anführen. Besonders lustig ist die öffentliche Klage der Stabhochsprung-Olympiasiegerin Jelena Isinbajewa und des neuen Cheftrainers Juri Borsakowski, der Bericht der unabhängigen Kommission sei falsch.
Im Gespräch stellte Andersen fest, dass beide den Bericht nicht gelesen hatten. Das werden sich diejenigen, die nun versuchen müssen, den Sport zu retten, nicht leisten können.
Michael Reinsch, Wien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 19. Juni 2016
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