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15
07
2016

„Wir müssen Doping verhandeln als psychische und physische Vergewaltigung“: Ines Geipel. ©Zentrum Deutsche Sportgeschichte

Doping-Opfer – Attacke auf den Minister – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der Blick auf das Doping von Kindern und Jugendlichen in der ehemaligen DDR verändert sich. „Wir müssen Doping verhandeln als psychische und physische Vergewaltigung“, sagt Ines Geipel, Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins in Berlin.

Die Dimension des Missbrauchs sei noch gar nicht zu überblicken. Beim Prozess gegen den DDR-Sportchef Manfred Ewald und seinen obersten Helfer, den Mediziner Manfred Höppner, im Jahr 2000 seien 19 Doping-Opfer Nebenkläger gewesen. Aus dem ersten Doping-Opfer-Hilfe-Fonds zahlte die Bundesrepublik zwei Jahre später bereits 194 anerkannten Opfern je 10.500 Euro.

Der Fonds des Jahres 2016 ist für tausend weitere Antragsteller ausgelegt:

„Glaubt ja nicht, dass dies das Ende ist, auch wenn Herr de Maizière noch so oft sagt, nun ist aber gut“, rief die Literatur-Professorin und ehemalige Sprinterin Geipel am Montag bei einer Veranstaltung des Verbandes der Sportjournalisten Berlin-Brandenburg.

Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte der Innenminister über den Nachschlag des Bundes von 10,5 Millionen Euro gesagt: „Wir machen es noch einmal und ein letztes Mal.“ Ines Geipel prognostiziert, dass die Zahl der Betroffenen bald auf 5000 gestiegen sein wird. Erst allmählich erkennen viele, dass Ursache ihrer schweren Erkrankungen Doping-Mittel und Missbrauch sind.

„Unsere Kliniken sind voll von solchen Fällen“, sagt Harald Freyberger, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Stralsund.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Jochen Buhrmann an der Universität Greifswald forscht er über Folgeerkrankungen durch Doping. Nur ein Bruchteil der Betroffenen artikuliere sich. „Opfer verspüren Scham und Schuld“, sagt er. „Wer im Stich gelassen wird, lernt zu schweigen.“ Es gebe einen Zusammenhang zwischen Doping und körperlicher und psychischer Krankheit. Der gesellschaftliche Durchschnitt von Menschen, die in früher Jugend Erfahrung mit massiver Gewalt oder sexueller Gewalt machten, betrage sechs bis acht Prozent.

Bei Kindern aus schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen werde er weit übertroffen; dies in Verbindung mit Sport und insbesondere Sport-Internaten stelle selbst das, was man über Missbrauch in der katholischen Kirche erfahren habe, in den Schatten.

„Ich bin erschüttert“, sagt Freyberger, „wie viel Jungs und Mädchen im Sport Gewalt und sexuelle Gewalt erlebt haben.“ Er warnt vor den Folgen der aktuellen Forderung, dass die Olympiamannschaft ein Drittel mehr Medaillen bringen solle: „Unser Innenminister ist ein in Doping-Fragen aufgeklärter Mann. Aber er kann sich nicht vorstellen, dass eine solche Vorgabe die Bereitschaft zum Doping erhöht.“

Der Journalist André Keil, von der Arbeit über Doping zu Recherchen über Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Hochleistungssport gekommen, sagt, er sei erschüttert von den Verbrechen, die in den Vernehmungen der längst aufgelösten Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität zur Sprache kamen. Er studiert nicht nur die Akten, sondern stellt fest, dass die Opfer des Missbrauchs, heute im fünften Lebensjahrzehnt, krank und depressiv würden. „Je mehr der Betroffenen nicht mehr zur Arbeit gehen können, desto mehr werden sie sich melden“, sagt er. „Gymnastinnen, um die vierzig, brechen reihenweise zusammen und wissen nicht, warum.“

Sie waren Opfer einer brutalen Trainerin, sie wurden ohne ihr Wissen gedopt und sie wurden zudem von Ärzten sexuell missbraucht, sagt Ines Geipel. „Sie trauen ihren eigenen Erinnerungen nicht.“ Erst im therapeutischen Gespräch, im Angesicht von Akten oder im Austausch mit einstigen Mannschaftskameradinnen und Leidensgenossinnen, sagt Ines Geipel, breche das Leid der Missbrauchten auf „wie Eiterpickel“.

Keil stößt überall auf den Zynismus der Täter. Den des Arztes etwa, der einer 13 Jahre alten Turnerin Wachstumshormon verabreichte.

„Höppner hatte das Thema Epo auf dem Schreibtisch“, sagt Keil. „Zum Glück hat er es nicht verstanden. Die DDR-Athleten sind haarscharf am Epo-Doping vorbeigekommen.“ Nach seiner Hochrechnung hat jeder Olympiasieger aus der DDR rund 500 interne Konkurrenten hinter sich gelassen; 300 von ihnen waren gedopt.

Stimmt die Gleichung, ergibt das bei 204 Goldmedaillen etwa 60.000 Gedopte; stimmt sie halbwegs, sind es immer noch 30.000.

Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 13. Juli 2016

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