Michael Reinsch: Doping-Kommentar: Russische Sündenböcke ©Horst Milde
Doping-Kommentar: Russische Sündenböcke – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Russische Skilangläufer sind des Dopings überführt und werden gesperrt, lebenslang. Recht so!
Auf den ersten Blick scheint das Internationale Olympische Komitee (IOC) Härte zu zeigen mit der Aberkennung der beiden Goldmedaillen von Alexander Legkow, dem vermeintlichen Olympiasieger von Sotschi 2014, sowie mit der Disqualifikation seines Mannschaftskameraden Jewgeni Below: Ihre Resultate werden annulliert!
Sollen sie sich bloß nicht mehr bei Olympischen Spielen sehen lassen, nicht als Sportler und nicht in anderer Funktion!
Das ist nur gerecht als Strafe dafür, dass sie bei den Winterspielen bei sich zu Hause ihre Konkurrenten nach Strich und Faden betrogen haben. Schließlich dopten sie nicht nur, sondern bedienten sich auch der Hilfe des Geheimdienstes, um bei Nacht und Nebel ihre Proben austauschen oder manipulieren zu lassen. Sollen sie doch vor den obersten Gerichtshof des Sports ziehen, den Cas in Lausanne. Die Sportrichter werden gar nicht anders können, als die gerechte Strafe zu bestätigen.
Oder etwa doch? Rund tausend Sportlerinnen und Sportler, das ergab die Untersuchung des kanadischen Juristen Richard McLaren, gehörten seit 2011 zum staatlich gelenkten Doping-System Russlands.
Mehr als hundert Proben wurden in Sotschi manipuliert – für den Triumph des russischen Sports und Platz eins im Medaillenspiegel.
Im Ernst: Das haben die drei Mitglieder der IOC-Kommission Legkow und Below nachgewiesen? Vielleicht gibt es wirklich einen Beleg dafür, dass die beiden, sagen wir: die Nummern ihrer Doping-Proben weitergegeben haben im Wissen, dass jemand sich darum kümmern würde. Aber wären sie damit verantwortlich für den Betrug?
Niemand außerhalb des inneren Zirkels des olympischen Sports weiß, auf welchen Beweisen dieses Urteil basiert. Was man weiß, ist, dass die ständige Rechtsprechung des Cas den lebenslangen Ausschluss dopender Athleten (im Gegensatz zu Funktionären, die Doping gefördert haben) nicht zulässt.
Das IOC habe vom frühesten Beginn des Falles im Juli 2016 seine Entschlossenheit gezeigt, saubere Athleten zu schützen, indem es zwei Kommissionen gegründet habe – behauptet das IOC.
In Wirklichkeit zögerte es die Sanktionierung des Skandals hinaus, übertrug sie kurz vor den Spielen von Rio de Janeiro den überforderten Verbänden und ermöglichte so die Teilnahme eines russischen Teams. Allein Leichtathleten und Paralympischer Verband schlossen russische Teams pauschal aus – mit D’accord vom Cas.
So muss man die vermeintlich harten Strafen für die Skilangläufer interpretieren: Sie sind angreifbar vor Gericht. Und sie zielen darauf ab, einzelne schwarze Schafe zu identifizieren, da eine ganze Herde in die falsche Richtung getrieben wurde. Das IOC will nicht den Schäfer bestrafen, sondern Sündenböcke opfern.
Der Fall Legkow wirkt wie die Ankündigung, dass auch zu den Winterspielen in Pyeongchang im Februar eine Mannschaft unter russischer Flagge einmarschieren wird.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag dem 3. November 2017