Michael Reinsch, Köln, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - Doping in Russland - „Lassen Sie uns nicht am Telefon weiterreden“ ©privat
Doping in Russland – „Lassen Sie uns nicht am Telefon weiterreden“ – Michael Reinsch, Köln, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
„Haben Sie auch sauberes Testosteron?“, fragt der Anrufer. „Ja“, antwortet der russische Trainer. „Und was kostet das?“ 350 Rubel, lautet die Antwort, knapp 4,50 Euro. Ob er das auf Lager habe. „Ja, schon. Aber lassen Sie uns jetzt echt nicht am Telefon weiterreden.“
Der WDR hat sich wieder mit Doping in Russland befasst, und in einer Reportage, die „Sport Inside“ am Sonntagabend ausstrahlte, geht ihm dieser Trainer auf den Leim.
Der Mann heißt Juri Gordeev, ist Trainer von Nachwuchs-Leichtathleten in Pensa und versorgt laut WDR russische Top-Athleten mit Dopingmitteln. Bei dem fingierten Anruf jedenfalls scheint er den Vorwurf zu bestätigen.
Man kann der Kommission, die für den Weltverband der Leichtathleten (IAAF) über die Bedingungen zur Rückkehr des ausgeschlossenen Verbandes befinden soll, nur wünschen, dass sie ähnlich offene Gespräche führt wie der vermeintliche Athlet mit dem Dealer. Der WDR jedenfalls will mit dem Beitrag „Geheimsache Doping – Russlands Täuschungsmanöver“ belegen, dass die angebliche Läuterung eine Täuschung ist.
So bereitet der wegen Dopings gesperrte Trainer Wladimir Mochnev in Gubkin in der russischen Provinz Athleten auf die russische Hallen-Meisterschaft vor.
Und auf einer alten Aufnahme spricht Anna Antseliowitsch mit Athleten geduldig den Zeitpunkt von Dopingproben ab. Das ist pikant, denn damals war sie Leiterin der Abteilung für Ermittlungen und Ergebnis-Management der russischen Anti-Doping-Agentur (Rusada), heute ist sie deren Leiterin. Jeder einzelne in dem Film genannte Sachverhalt müsse aufgeklärt werden, sagte der Präsident der Allrussischen Leichtathletik-Föderation, Dimitri Schljachtin, wie die Agentur Tass prompt am Montag meldete.
Auch der Mann, der Lance Armstrong überführte, fordert den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Sport.
„Wir stehen als Anti-Doping-Gemeinschaft an einem entscheidenden Punkt. Wollen wir den Kampf führen und gewinnen für saubere Athleten – oder stuft sich die Wada, der globale Wächter, ab zu einer weiteren zahnlosen Bürokratie?“, sagt Travis Tygart, der Vorstandsvorsitzende der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (Usada) und stützt damit eine Darstellung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat Russland zu einer Compliance-freien Zone erklärt.
Weil das umfassende Überwachungssystem zum Kampf gegen Doping in Russland nicht den Wada-Vorgaben entsprechend funktioniert. Das gilt nicht nur für Leichtathleten. „Sie bekommen einen Zeitraum, in dem die Sportler einen Vorteil gewinnen können, und dann tauchen sie plötzlich wieder auf und dürfen auf der größten Bühne antreten?“, sagt Tygart: „Das ist kein faires System. Das ist kein System, dem Menschen vertrauen können, denen die olympischen Werte am Herzen liegen. Saubere Sportler warten darauf, wie die Wada reagiert.“
„Wo bleibt die abschreckende Botschaft?“
Tygart ahnt, dass ein Auftrittverbot für russische Sportler bei internationalen Wettkämpfen nicht durchsetzbar ist. Aber er fordert, dass es zumindest zum Ausschluss der russischen Leichtathleten aus dem internationalen Sport und damit von den Olympischen Spielen in diesem Jahr in Rio de Janeiro kommt.
„Doper werden zwei Jahre gesperrt oder vier. Warum soll es bei einem staatlich unterstützten Doping-Programm nicht ähnliche Strafen geben?“, fragt er:
„Natürlich wollen wir eine universelle Beteiligung an den Olympischen Spielen, aber doch nicht auf Kosten der sauberen Sportler. Wir sagen also: Wir glauben euch jetzt, auch wenn wir wissen, dass euer Wort nicht viel wert ist, wenn wir Belege haben, dass eben nicht aufgeräumt wurde – und lassen euch direkt wieder teilnehmen? Wo bleibt die abschreckende Botschaft?“
Tygart spricht gegenüber der amerikanischen Tageszeitung „USA Today“ den Zustand der Non-Compliance an, der in Russland durch die Suspendierung der nationalen Anti-Doping-Agentur (Rusada) und den Entzug der Akkreditierung des Doping-Kontrolllabors in Moskau erreicht ist – auf den aber lediglich die Leichtathleten mit dem Ausschluss des russischen Verbandes reagiert haben. Sportlerinnen und Sportler aller anderen russischen Verbände nehmen ohne Einschränkungen am internationalen Sportbetrieb teil.
Um dem Eindruck einer Freigabe des Dopings in Russland entgegenzuwirken, ist die britische Anti-Doping-Agentur mit Kontrollen in allen Sportarten beauftragt; Sperren soll der unabhängige Sport-Gerichtshof in Lausanne (Cas) verhängen. Aber die Wada sieht die Compliance, die Übereinstimmung mit ihrem Kodex in Russland, bisher nicht wiederhergestellt.
„Wir müssen die sauberen Athleten schützen“
Der Welt-Leichtathletikverband (IAAF) hatte den russischen Verband am 26. November aufgrund des ersten Berichtes einer unabhängigen Kommission der Wada suspendiert. Der Kommissionsvorsitzende Richard Pound, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Gründungspräsident der Wada, sprach bei der Vorstellung des Berichts von der Spitze eines Eisberges. Nichts spreche dafür, dass allein in der Leichtathletik gedopt worden sei. Weder Verbände noch Wada und das Internationale Olympische Komitee reagieren auf die Hinweise, dass über die Leichtathletik hinaus in Russland systematisch gedopt wurde.
IOC-Präsident Thomas Bach begründete das im Januar so: „Wir müssen die sauberen Athleten schützen und das heißt auch, dass wir sie vor dem Generalverdacht schützen müssen. Wir hatten in vielen Ländern Doping-Skandale, und wir mussten sichergehen, dass nach einem Skandal in einer Sportart nicht jede Sportart verdächtigt wurde.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 7. März 2016
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