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03
07
2008

Prokop: Eines der entscheidenden Doping-Motive der Sportler ist so etwas wie eine Nachteilsvermeidungsabsicht. Die Sportler unterstellen, dass ihre Konkurrenten unerlaubte Mittel einnehmen und sehen darin Anlass und Rechtfertigung, selber verbotene Mittel einzunehmen.

Doping in der Leichtathletik – „Wir müssen die Gesetze nachbessern“ – Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop über Strafbarkeit von Dopingbesitz, wirkungslose Maßnahmen und das Vorbild Frankreich. Interview: Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

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SZ: Die Franzosen haben vor zwei Wochen ein Gesetz eingeführt, das den Besitz von Dopingmitteln unter Strafe stellt. Gab es im deutschen Sport schon Reaktionen darauf?

Prokop: Ich habe keine gehört. Ich werde mir noch erlauben den Deutschen Olympischen Sportbund zu fragen, ob er nach den neuesten Entwicklungen Anlass sieht, seine Position gegen die Besitzstrafbarkeit zu überdenken. Ich habe außerdem dem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble einen Brief geschrieben mit der Bitte, doch angesichts der Novellierung des französischen Antidopinggesetzes zu prüfen, ob nicht auch in Deutschland eine Verschärfung sinnvoll wäre. Ich habe aber logischerweise noch keine Antwort erhalten. Die Zeit war ein bisschen knapp.

SZ: Warum wäre die Verschärfung des Gesetzes notwendig in Deutschland?

Prokop: Eines der entscheidenden Doping-Motive der Sportler ist so etwas wie eine Nachteilsvermeidungsabsicht. Die Sportler unterstellen, dass ihre Konkurrenten unerlaubte Mittel einnehmen und sehen darin Anlass und Rechtfertigung, selber verbotene Mittel einzunehmen. Die Frage ist: Wie kann ich diese Motivation durchbrechen? Der Ansatz des Sports ist ein Dopingkontrollsystem, das sich auf Urin- und Bluttests bei Sportlern beschränkt. Dieses Kontrollsystem des Sports ist – wie man aus der Vergangenheit und wohl auch Gegenwart ableiten kann – nicht ausreichend, um diese Motivation zu beseitigen. Also muss man über zusätzliche Maßnahmen nachdenken. Da wäre eine funktionierende staatliche Strafdrohung sinnvoll.

SZ: Es gab die Nachbesserung des Gesetzes vor eineinhalb Jahren. Warum hat das nichts gebracht? Weil es im deutschen Sport so rechtschaffen zugeht?

Prokop: Das würde ja unterstellen, dass es in Deutschland kein Doping mehr geben würde. Nein. Wenn ich die Untersuchungen von Eike Emrich (Saarbrücker Sportökonom und Vizepräsident Leistungssport des DLV, Anm. d. Red.) sehe, nach denen bei einer anonymen Befragung 23 bis 48 Prozent der Sportler Kontakt mit Dopingmitteln hatten, muss man davon ausgehen, dass Doping auch im deutschen Sport ein aktuelles Problem ist. Das spricht eher dafür, dass das jetzige Gesetz seinen Zweck nicht erreicht.

SZ: Warum tut es das nicht?

Prokop: Nach dem deutschen Arzneimittelgesetz ist nur die Weitergabe von Dopingmitteln strafbar oder der Besitz "von nicht geringen Mengen". Die Grenze dieser nicht geringen Mengen, die Grenze zur Strafbarkeit also, ist aber so hoch angesetzt worden, dass sie wohl kaum jemals in der Praxis zutreffen wird, weil es unwahrscheinlich ist, dass jemand so große Mengen mit sich herumträgt. Die Verschärfung ist seit Oktober 2007 in Kraft. Schon damals gab es aus der Justiz – zum Beispiel von Bayerns Justizministerin Beate Merk – Warnungen, dass dieses Gesetz keine Verbesserung bringt gegenüber der alten Lösung, die unbestritten so etwas wie eine Nullnummer war. Nach meinem Kenntnisstand sind in den ersten acht Monaten keine Ermittlungsverfahren auf die neue Regelung gestützt worden. Die Befürchtungen der bayerischen Justizministerin scheinen sich zu bewahrheiten.

SZ: Oder es gab keinen Verdacht.

Prokop: Es hat auch in der Zwischenzeit Dopingfälle gegeben. Wir im DLV hatten einen Dopingfall im Nachwuchsbereich in Hessen, bei dem wir Strafanzeige erstattet haben. Das Verfahren wurde aufgrund nicht hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

SZ: Was können die Franzosen jetzt, was die Deutschen nicht können?

Prokop: Die Franzosen können gegen einen Sportler, der positiv getestet worden ist, unmittelbar ermitteln. Das können wir in Deutschland nicht, weil wir nur dann gegen einen Sportler ermitteln können, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass er Dopingmittel in nicht geringer Menge besitzt. Aus dem bloßen Testergebnis leiten die Staatsanwaltschaften keinen weitergehenden Verdacht ab. Die Franzosen nehmen als Anknüpfungspunkt für die Ermittlungen gegen die Hintermänner der Dopingnetzwerke den Sportler, wir beharren immer noch darauf, dass nur derjenige, der die Mittel vertreibt, Anknüpfungspunkt für solche Ermittlungen ist.

SZ: Bei den Franzosen stand vorher auch nur die Weitergabe von Dopingmitteln unter Strafe. Warum waren sie trotzdem erfolgreicher damit?

Prokop: Der französische Staat war meines Wissens der erste, der angefangen hat, Doping engagiert zu bekämpfen. Die Polizei-Razzien bei der Tour de France 1998, die zum Festina-Skandal führten, waren beispielhaft. Aber offenbar sind Frankreichs Behörden zu der Erkenntnis gelangt, dass mit einer Begrenzung der Strafverfolgung auf die Weitergabe die strafrechtlichen Ziele nicht in vollem Umfang erreichbar sind. Anders ist die Verschärfung nicht zu erklären.

SZ: Erwarten Sie jetzt eine neue Diskussion um ein verschärftes Antidopinggesetz in Deutschland?

Prokop: Ich bin da nicht allzu optimistisch. Wir haben ja bei der vergangenen Diskussion festgestellt, dass der deutsche Sport mit großer Mehrheit kein dezidiertes Interesse daran hat, dass der Staat stärker gegen den dopenden Sportler kämpft. Momentan habe ich auch in der Politik keine klaren Engagements erkennen können, nochmal in die Diskussion einzutreten. Das ist bedauerlich, weil das Kontrollsystem des Sports trotz aller Verbesserungen der Nationalen Antidoping-Agentur seine Grenzen hat. Man muss nüchtern sehen: Wir können nicht alle verbotenen Mittel nachweisen.

SZ: Will Deutschland Doping nicht verfolgen?

Prokop: Die Gegner eines verschärften Antidopinggesetzes empfinden das Kontrollsystem des Sports und das staatliche Recht als ausreichend. Sie geben den Schwarzen Peter an die Strafverfolgungsbehörden weiter, welche die Gesetze nicht konsequent umsetzen würden.

SZ: Wie liegt die deutsche Dopingbekämpfung im internationalen Vergleich?

Prokop: Im Mittelfeld. Frankreich ist mit seiner Antidoping-Gesetzgebung voraus, Italien, auch Schweden und die USA verbieten den Besitz bestimmter Substanzen. Wenn Deutschland den Anspruch hat, einen Spitzenplatz zu besetzen, müssen wir nachbessern.

Interview: Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Donnerstag, dem 3. Juli 2008

author: GRR

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