Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - Doping-Experte Franke - „Der Westen in seiner Verschlagenheit“ ©privat
Doping-Experte Franke – „Der Westen in seiner Verschlagenheit“ – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
23.10.2013 · Werner Franke, der bedeutendste Doping-Enthüller der Republik, übergibt sein Archiv der Öffentlichkeit. Immer mehr schwer geschädigte Sportler melden sich. Und Franke wird für seine Verdienste geehrt.
Das gibt es selten: Applaus bei einer Pressekonferenz. Doch wenn Werner Franke seine Erkenntnis aus Jahrzehnten im Kampf gegen Doping zusammenfasst, bleibt kein Auge trocken. „Der Osten war preußisch. Der Westen hat das anders gemacht: christlich“, donnert er in den Saal: „Es herrschte das Pontius-Pilatus-Prinzip: Jemand wird das Kreuzigen schon übernehmen… Und er ging hinaus und wusch seine Hände in Unschuld.“ Da gibt es im Auditorium kein Halten mehr.
Erst recht nicht bei Franke. Der Zellbiologe und Anti-Doping-Kämpfer aus Heidelberg, auch körperlich eine mächtige Figur, hat zwar seine Redezeit weit überzogen. Doch er will eben nicht nur darüber sprechen, dass bald sein Archiv zum Doping in beiden Teilen Deutschlands mit Geheimdissertationen und bislang unveröffentlichten Vernehmungsprotokollen der Staatsanwaltschaften etwa zum Doping bei Minderjährigen bei der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin zugänglich sein wird. Es ist so viel zu sagen.
Etwa, dass neben endlosen Regalmetern auch ein Fernsehgerät aufgestellt werden solle, damit Interessierte den scheinheiligen Politikern und Sportärzten aus Westdeutschland ins Gesicht schauen können, die mehr oder weniger deutlich und nicht selten von Brigitte Berendonk in Talkshows in die Ecke getrieben, Doping befürworten. „Da kann man ihn sehen“, ruft Franke, „den Westen in seiner Verschlagenheit.“
Kein Feind des Ostens und des Sports
Gut möglich, dass manchem erst in den vergangenen Jahren und Monaten, vielleicht sogar in den letzten Minuten deutlich geworden ist, dass Werner Franke kein Feind des Ostens und schon gar kein Gegner des Sports ist, als der er manchmal dargestellt wurde, von ehemaligen Ost- und von bis heute aktiven West-Funktionären des Sports. Er wendet sich, seit er in den sechziger Jahren darauf stieß, gegen die bösartigen Manipulationen junger Menschen für ein bisschen Gold und Ruhm. „Die Sportler sind doch nicht die Täter“, sagt er, und die vom Doping im DDR-Sport gezeichneten Frauen und Männer in der ersten Reihe nicken. „Jan Ullrich geht doch nicht in die Bibliothek und sucht die neuesten Epo-Derivate!“
Doping-Opfer-Hilfe © dpa
Wortgewaltiger Kämpfer gegen Dopingsverharmlosung:Werner Franke
73 Jahre alt ist Werner Franke, und wenn es ihn nicht gäbe, würde der Sport im vereinten Deutschland anders aussehen als heute: vermutlich erfolgreicher und wohl auch zynischer. Franke war es, der praktisch im Alleingang die Strategen und die Handlanger des DDR-Dopings identifizierte und anzeigte, so wie er im Westen (schon vorher) die Staatsanwaltschaft etwa auf den Dopingtrainer Hans-Jochen Spilker und dessen Modellklub in Hamm aufmerksam gemacht hatte. Er trieb die Aufklärung voran und schuf ein bisschen Gerechtigkeit. Auch der erste Erfolg einer Spitzensportlerin aus der DDR mit einer Klage auf Opferrente, der einstigen Kanutin Kerstin Spiegelberg, dürfte auf Frankes Konto gehen.
Ein Kämpfer in der Sache
Er widerlegte als Gutachter die bei Ämtern und Behörden immer noch vertretene skandalöse Auffassung, dass es Doping in der DDR nicht gegeben habe, sowie die Expertise eines Münsteraner Wissenschaftlers, dass Doping mit Testosteron keine schädlichen Nebenwirkungen hervorrufe. Dieser Fall könnte sich als Dammbruch erweisen, sagte Ines Geipel, die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins (DOHV); rund fünfzig Verfahren seien anhängig. Fast wöchentlich meldeten sich schwer geschädigte Opfer; ihre Zahl ist auf 256 Frauen und 126 Männer gestiegen. Der Präzedenzfall Spiegelberg macht einen Stand der Aufarbeitung deutlich, der erschüttert. Sechs Jahre dauerte das Verfahren der arbeitsunfähigen ehemaligen Athletin vor dem Sozialgericht – „quasi ein Stillstand der Rechtspflege“, klagte ihr Rechtsanwalt Sven Leistikow.
Aus Erfahrung wissen die Vereinsvorsitzende und ihr Sprecher, als sie während der hoffnungslos überzogenen Redezeit ans Podest treten: Franke ist nicht zu stoppen. „Bleib bei deiner Wissenschaft!“, ruft Ehefrau Berendonk aus einer der hinteren Reihen in einen verwegenen Exkurs. Wie es scheint, wird der Mann von dem Verein, der auf seine Initiative hin entstand, weiterhin gebraucht. Nicht mehr nur Opfer aus DDR-Zeiten suchten Rat und Hilfe, berichtet Ines Geipel.
Immer mehr Athleten und Trainer meldeten sich, die nach dem Fall der Mauer aktiv waren. Auch deshalb öffnet der Verein in der kommenden Woche in den Räumen der Havemann-Gesellschaft eine Beratungsstelle und wird damit Zentrum für Beschädigungen durch den Sport nicht nur gestern, sondern, wie es Ines Geipel sagte: „Navigator für das Jetzt.“ Das Innenministerium wird eine halbe Stelle finanzieren – eine Anerkennung durch den Staat, die beweist, wie wirkungsvoll Frankes Engagement ist.
Ein Werner-Franke-Tag
Der emeritierte Krebsforscher will in seinem Kampf um die Unversehrtheit von Athleten dem DOHV eine neue Aufgabe zuweisen: den Kampf gegen den plötzlichen Herztod.
Ein Teil dieser Fälle basiere auf einem angeborenen Defekt, der mit einem einfacher Gentest festgestellt werden kann. Es ist fraglich, ob Athleten mit einem positivem Ergebnis noch Spitzensport treiben sollten – aber ihr Leben kann eine Kapsel unter der Haut dadurch retten, dass es bei Aussetzern des Herzens Impulse wie ein Defibrilator gibt. Wenn niemand anders sich des Themas annehme, sagte Franke, könnte dass doch gut der Doping-Opfer-Hilfeverein tun.
Nach der naturwissenschaftlich, historisch und auch kabarettistisch anspruchsvollen Stunde von und mit Werner Franke machte Ines Geipel bekannt, dass der DOHV die Andreas-Krieger-Medaille dieses Jahres Franke verleihen werde.
Mehr noch als diese Auszeichnung wird ihn freuen, dass sie, am 21. Januar 2014 in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, während eines Symposiums verliehen werden wird: ein ganzer Werner-Franke-Tag.
Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 23. Oktober 2013