Stuttgart hat gezeigt, dass Politik und Leichtathletik-Lobby den Forderungen des Unterhaltungsbetriebes Fußball-Bundesliga nicht einmal mit dem internationalen Saisonfinale standhalten können
DLV plant eigenes Sportfest in Berlin Leichtathletik im Olympiastadion – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
11. Juni 2009 Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) ist mit der Vorbereitung eines eigenen Sportfestes im Berliner Olympiastadion vom kommenden Jahr an offenbar weit fortgeschritten. Das Energieunternehmen Vattenfall, das sich bereits bei der Leichtathletik-WM im August in Berlin engagiert, steht nach Informationen dieser Zeitung als Sponsor für ein Meeting der neuen Diamond-League bereit.
Sportmanager Michael Mronz, Organisator der Reit-Weltmeisterschaft von Aachen, der für die Leichtathletik-WM Sponsoren akquiriert, Tickets verkauft und Promotion macht, könnte Meeting-Direktor werden. „Zwischen DLV und meiner Person ist besprochen, dass ich mit Freude dabei wäre und meinen Beitrag zu leisten bereit bin“, sagte er auf Anfrage. Als Veranstalter, zum Beispiel des CHIO in Aachen, sei er bei einer Vielzahl von Sportereignissen in unternehmerischer Verantwortung. Die Beteiligung an einer Veranstaltungs-GmbH, wie sie für das Sportfest in Berlin gegründet werden müsste, sei ihm nicht fremd.
Sprung in neue Zeiten: In Berlin soll es in Zukunft ein eigenes Sportfest des DLV geben
Werner Gegenbauer, Mehrheitsgesellschafter des Istaf, sagte (siehe auch: Präsident Gegenbauer: „Hertha ist meine Herzensangelegenheit“), er habe versprochen, das Sportfest bis 2009 weiterzuführen. Dieser Verpflichtung sei er nachgekommen: „Das ist es.“
Der Geschäftsführende Gesellschafter Gerhard Janetzky hatte deutlich gemacht, dass die Veranstaltung bei einem Etat von knapp drei Millionen Euro lediglich ihre Kosten decke. Er hatte angedeutet, aus dem Olympia- ins Jahnstadion von Berlin zu ziehen. Für volle Zuschauerränge mit 65.000 Besuchern wird wieder Sponsor DKB sorgen, der mit 800 Bussen Publikum anreisen lässt.
Patrick Magyar, Veranstalter des Meetings „Weltklasse in Zürich“ und Initiator der Diamond League, sagte: „Es ist schwer, ein Meeting zu akzeptieren, von dem man nicht weiß, ob es stattfindet.“ Leichtathletik im Olympiastadion sei ohne Fernsehübertragung nicht möglich. Janetzky müsse sich bis Ende Juni entscheiden, ob er Teil der neuen Tour mit voraussichtlich 14 Stationen in aller Welt werden wolle. Die Entscheidung über die für das Engagement von Sponsoren notwendigen Fernsehübertragungen soll im September fallen.
Auf den DLV sind die Aktionäre der Diamond League dem Vernehmen nach bereit, bis Herbst zu warten. „Deutschland hat kein Leichtathletik-Problem, sondern ein massives Fernsehproblem“, sagte Magyar. „Sport wird in Deutschland ausschließlich als Fußball definiert.“ Der Weltverband (IAAF) habe getan, was am meisten Öffentlichkeitswirkung entfalte: die WM nach Deutschland vergeben.
Der DLV betonte am Donnerstag, dass sich seine Aktivitäten nicht gegen das Istaf richteten. Allerdings müssten jetzt Überlegungen für ein eigenes Meeting angestellt werden, um für den Fall einer negativen Entscheidung des Istaf eine Chance für eine Teilnahme an der Diamond-League zu haben. „Die Hürden für ein solches Meeting sind sehr hoch, der DLV sieht sich jedoch aufgrund seiner Verantwortung für die Leichtathletik in Deutschland verpflichtet, jede auch nur denkbare Möglichkeit für die Teilnahme eines deutschen Meetings in der Diamond-League auszuschöpfen“, teilte der Verband mit.
Leichtathletik-Kommentar – Angriff als Verteidigung – Michael Reinsch
Kein hinterhältiger Angriff: der DLV und sein Präsident Clemens Prokop
11. Juni 2009 Was für eine Attacke aus heiterem Himmel: Der Deutsche Leichtathletik-Verband will im Berliner Olympiastadion ein eigenes, erstklassiges Sportfest veranstalten (siehe auch: Leichtathletik: DLV plant eigenes Sportfest in Berlin). Dabei eröffnet just an diesem Sonntag und just im Berliner Olympiastadion das traditionsreiche Istaf, das Sportfest mit den meisten Zuschauern der Welt, die Golden League der Leichtathleten; eine Serie, die im kommenden Jahr von der weltweiten Serie Diamond-League ersetzt werden soll.
Doch der DLV und sein Präsident Clemens Prokop wollen ihre Initiative nicht als hinterhältigen Angriff auf einen arglosen Mitstreiter verstanden wissen. Schließlich hat Gerhard Janetzky, Geschäftsführender Gesellschafter des Istaf, seit Wochen mehr als deutlich gemacht, dass er mit seiner Veranstaltung wohl eher nicht in der neuen Liga mitspielen und lieber in ein kleineres Stadion umziehen wolle.
Der Berliner Unternehmer Werner Gegenbauer, der das Istaf aus der Insolvenz erwarb, als er die Bewerbung der Stadt um diese Weltmeisterschaft 2009 anführte, hat sich längst von der Leichtathletik abgewandt; er macht jetzt Schlagzeilen als Präsident des Berliner Fußball-Bundesligavereins Hertha BSC (siehe auch: Werner Gegenbauer: „Istaf-Verpflichtung bis 2009. Das ist es“).
Zusätzliche Sitzplätze, wo 1993 Geschichte geschrieben wurde
Das aber würde der nächste Rückschlag für diese Sportart sein: wenn gleich nach der WM im August die Diskussion darüber begänne, dass die blaue Bahn im Stadion zu viel Distanz schaffe zwischen Fußballspielern und ihren Fans – ein Oval, für das es keinen Bedarf und keine Zukunft außer vielleicht eine Berliner Olympiabewerbung 2024 gebe.
Stuttgart hat gezeigt, dass Politik und Leichtathletik-Lobby den Forderungen des Unterhaltungsbetriebes Fußball-Bundesliga nicht einmal mit dem internationalen Saisonfinale standhalten können. Derzeit werden im Stuttgarter Mercedes-Benz-Stadion viertausend zusätzliche Sitzplätze eingebaut, wo bei den Weltmeisterschaften 1993 noch Heike Drechsler und Sergej Bubka abhoben, wo Merlene Ottey und Frank Fredericks, Michael Johnson und Haile Gebrselassie freie Bahn hatten.
Solch eine Entwicklung in Berlin wäre mehr als der Verlust einer Sportstätte für die Leichtathletik. Sie würde auch nicht nur die Preisgabe des zentralen europäischen Marktes mit 80 Millionen Menschen für diese Sportart und ihre Sponsoren sein. Die Aufgabe des Olympiastadions von Berlin würde all jene desavouieren, die sich dafür eingesetzt haben, es bei seiner Modernisierung als Leichtathletik-Arena zu erhalten, einschließlich des Weltverbandes IAAF, der sich mit der WM für dieses Engagement bedankte.
Man mag den Zeitpunkt kritisieren. Aber irgendwann musste der Verband handeln, um der Tradition und der Bedeutung seiner Sportart und seinem Anspruch als Ansprechpartner der Politik gerecht zu werden.
Ob im kommenden Jahr ein, zwei oder überhaupt kein Leichtathletik-Sportfest in Berlin stattfinden, liegt trotz allen Streits und aller Mühen außerhalb der Macht des Sports.
Das Fernsehen definiert den Wert der Veranstaltung für Sponsoren. Davon sind Istaf wie Verband abhängig.
Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 11. Juni 2009
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