2008 Berlin Marathon Berlin, Germany September 28, 208 Photo: Victah Sailer@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
DLV-Plan für eine Laufserie in Großstädten – Eine Kampagne gegen individuelle Läufer – Stefan Merx in der ZEIT-Online
Es geht um 50.000 Feierabend-Jogger, die sich womöglich in diesem Sommer Woche für Woche zusammentrollen, um durch die City zu traben. Flashmobs? Nein: Organisierter Breitensport in Innenstädten, mit Sponsorenlogos, Musik, Afterwork-Atmosphäre. Mycityrun heißt das Treiben, das von Mai bis August geplant ist.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) bittet derzeit um Genehmigung der Straßensperrungen. Eine Homepage ist reserviert, auch eine Kooperation mit einem Fitnessmagazin sei unterschriftsreif. Der Hauptsponsor steht in den Startlöchern.
Der DLV-Präsident Clemens Prokop will die heterogene Läuferszene wieder um sich scharen: "Viele Jogger und Läufer pflegen zunehmend einen freien Zugang zum Sport, der nicht mehr ausschließlich an Vereine gebunden ist und sich über neue Netzwerke organisiert", sagt er. Die Sorge des Funktionärs: Die äußerst vitale Laufbewegung könnte auch in Zukunft munter am Verband vorbeilaufen. "Wir wollen möglichst viele Läufer aus dem unorganisierten Sport herüberholen", sagt Prokop.
Es geht nicht nur um Einfluss, sondern auch um Geld. Über zehn Millionen Deutsche sind nach Zahlen der Kölner Sponsoringberatung Sport + Markt im Laufsport aktiv, es ist nach Radfahren das zweitpopulärste Hobby. "Läufer sind eine tolle, kaufkräftige Zielgruppe für Sponsoren", sagt Frank Lebert, Chef der Vermarktungsgesellschaft des DLV. "In den siebziger Jahren waren wir der Motor der Laufbewegung, aber haben das – zugegeben – ganz schön aus den Augen verloren."
Kommerzielle Fitnessstudios und Straßenlaufveranstaltungen haben dem Verband buchstäblich den Rang abgelaufen. Ab dem Sommer soll sich das ändern.
Eine bereits für vergangene Woche angekündigte Pressekonferenz wurde zwar kurzfristig abgesagt, weil noch nicht alle angepeilten Städte den Vertrag unterschrieben hatten, das Konzept soll aber stehen: Es geht um fünf Städte mit jeweils mindestens 500.000 Einwohnern. Als sicher gilt nach DLV-Angaben die Zusage von Berlin und Düsseldorf, in einer Stadt gebe es noch Diskussionen um die konkrete Strecke. Es soll in Rundkursen mitten durch die Stadt gehen, zehn Wochen lang, jeweils an einem festen Wochentag.
"Zeitgemäß, ungezwungen und ganz ohne Leistungsdruck" – so sieht der DLV seine "neue Lauf- und Eventserie". Mit dabei: Der neue Premiumpartner des DLV, ein Lebensmittelmulti. Er will bei den Events für das erfrischende Nass sorgen und den Markennamen seines teuren Wasser in der Läufercommunity bekannt machen.
Die ist kommerziell höchst attraktiv. "67 Prozent der Läufer haben Abitur oder einen Hochschulabschluss, sie verdienen überproportional und haben längere Wochenarbeitszeiten als der Durchschnittsdeutsche", sagt Christoph Breuer, Sportökonomie-Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Es ist die Sportart, die perfekt in unsere flexible Arbeitswelt passt. Neben den Eventläufern gibt es auch viele, die sich einfach die Schuhe anziehen und im Wald rennen."
Sehr nachvollziehbar sei es, dass sich der DLV auf Großstädte mit über 500.000 Einwohnern konzentriere, wo nach Breuers Erkenntnissen "zwölf bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung aktive Läufer sind". Der Sport sei auch deshalb so beliebt bei Städtern, weil er so unkompliziert zu praktizieren sei. "Laufsport hat sich wegentwickelt aus Verbands- und Vereinsstrukturen. Genau das ist ein Erfolgsgrund."
Horst Milde, 73 Jahre alt, Träger des Verdienstordens des Landes Berlin zählt zu den Urgesteinen der Volkslaufbewegung, auf die sich der DLV gerne beruft. 1964 stellte Milde seinen ersten Volkslauf im Grunewald auf die Beine, später organisierte er viele Jahre lang den Berlin-Marathon. Milde nimmt eher belustigt zur Kenntnis, dass der DLV gerade versuche, beim Thema Laufen "auf ein galoppierendes Pferd aufzuspringen". Nicht mehr lustig findet er den Umstand, dass der Bundesfachausschuss Laufen im DLV, dem er angehört, nicht einmal informiert worden sei. "Da wusste kein Mensch etwas davon. Die sind alle sauer."
Beliebte Spielweise für Sponsoren
Milde ärgert sich über den DLV und seine Vermarktungstochter DLP. "Hier werden an den Vereinen vorbei Events geschaffen, nur um Sponsoren ins Spiel zu bringen und dem Verband Geld zu beschaffen. Der Verband müsste seine Vereine, die Urzelle des Laufsports, die Ehrenamtlichen stützen. All jene, die bereits Volksläufe organisieren. Stattdessen macht der DLV denen aber obendrein Konkurrenz. Es ist, als würde der DFB eine eigene Fußball-Liga einführen", sagt Milde. Der DLV-Chef Prokop entgegnet: "Es geht nicht um Wettkampf, es soll keine Konkurrenz zu den Vereinen entstehen."
Die Entwicklung hin zu kommerziell motivierten Läufen – raus aus dem Wald, rein in die Stadt – sei nicht mehr aufzuhalten, sagt Milde. Was der Deutsche Leichtathletik-Verband gerade plane, sei in den USA schon als Konzept erfolgreich eingeführt worden: "Da tummeln sich mehrere Zehntausend bei solchen Veranstaltungen. Mit Leistungssport hat das natürlich nichts mehr zu tun, es ist Volksbelustigung mit Sport."
Seit Jahren sind die über 3.000 Volks-, Firmen- und Städteläufe eine zunehmend beliebte Spielwiese für Sponsoren. Die Veranstalter kämpfen um jeden Teilnehmer. Ein Sportartikelhändler hat im Jahr 2011 in 17 Städteläufen knapp 80.000 Teilnehmer auf die Beine gebracht. Auch ein großer, deutscher Automobilhersteller ist im Vorjahr voll in das Thema Laufen eingestiegen, weil die Zielgruppe lockt. Der Autohersteller sponsert fünf Marathons und die Sportscheck-Läufe, die anders als die DLV-Events einen sportlicheren Anstrich haben.
Die neuen Partner des DLV gehen es ebenfalls strategisch an. Eine gereichte Flasche Wasser nach einem anstrengenden Lauf prägt sich im Zweifel besser ein als eine kurz erblickte Bandenwerbung bei der Formel-1. Aber muss der Verband von höchster Stelle aus den Läufern hinterherlaufen, anstatt die Vereinsarbeit zu stärken?
Brauchen die Innenstädte von Mai bis August tatsächlich jede Woche durch Jogger verstopfte Innenstädte? Und das 2012 im Zweifel zusätzlich zu Public-Viewing-Veranstaltungen zur Fußball-Europameisterschaft? Je nach Blickwinkel wird es diverse Antworten geben. Eines aber ist klar: "Es ist wohl eine größere Chance für den Hauptsponsor als für den DLV", sagt der Ökonom Breuer.
Stefan Merx in der ZEIT-Online, Mittwoch, dem 15. Februar 2012
Laufserie in Großstädten – Eine Kampagne gegen individuelle Läufer
Das Video zum Interview finden Sie unter https://youtu.be/JhLYo_HYZzg,
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