Jones hatte vor zwei Monaten ein Doping-Teilgeständnis abgelegt und hofft, dadurch eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen Meineids umgehen zu können.
Disqualifikation nach sieben Jahren – Das IOC streicht Marion Jones‘ Namen aus den Ergebnislisten von Sydney, der Fall Jan Ullrich steht noch aus – Jens Weinreich in der Berliner Zeitung
LAUSANNE. Der Name Marion Jones ist aus den olympischen Geschichtsbüchern getilgt. Bis zum Mittwochmorgen galt die 32-jährige US-Amerikanerin noch als zweimalige Olympiateilnehmerin. Bei den Sommerspielen 2000 in Sydney hatte sich die Leichtathletin drei Gold- und zwei Bronzemedaillen ergaunert. Bei den Sommerspielen 2004 in Athen ist sie noch einmal Fünfte im Weitsprung geworden.
Sämtliche Resultate werden gestrichen. "Sie hätte überhaupt nicht an den Spielen teilnehmen dürfen", sagte IOC-Präsident Jacques Rogge nach der Sitzung seines Exekutivkomitees im olympischen Hauptquartier in Lausanne. "Sie ist nun auch keine Olympiateilnehmerin mehr."
Medaillenneuverteilung vertagt
Jones hatte vor zwei Monaten ein Doping-Teilgeständnis abgelegt und hofft, dadurch eine mehrjährige Gefängnisstrafe wegen Meineids umgehen zu können. Ein Gerichtsurteil darüber wird im Januar 2008 erwartet. Ihre olympischen Plaketten hat sie bereits zurückgegeben. Die Entscheidung über die Neuvergabe der Olympiamedaillen und die endgültige Reihenfolge der sechs Wettbewerbe vertagte das IOC-Exekutivkomitee erwartungsgemäß.
Die Situation hatte sich auch deshalb zugespitzt, weil Victor Conte, der Gründer des Doping-Labors Balco, das auch Jones beliefert hatte, jüngst ankündigte, weitere Dopingsünder aus dem olympischen Hochleistungssport zu enttarnen. Conte wollte sich am Mittwoch in New York mit Richard Pound treffen, dem scheidenden Präsidenten der Weltantidopingagentur (Wada). Am Nachmittag mitteleuropäischer Zeit hatte IOC-Chef Rogge noch keine Informationen über dieses Gespräch. "Aber wie schon ein Kollege in unserer Exekutivsitzung gesagt hat, wir müssen uns sicher keine Sorgen machen, dass wir von Dick Pound nichts hören", sagte Rogge.
Der Fall Jones richte beträchtlichen Imageschaden an, stärke allerdings auch den Kampf gegen Doping, erklärte Rogge. "Ich sehe da auch positive Aspekte. Je mehr Doper enttarnt werden, desto glaubwürdiger sind unsere Bemühungen." Rogge erläuterte das Vorgehen des IOC in der Affäre Jones: Zum einen will die IOC-Disziplinarkommission, geleitet vom Deutschen Thomas Bach, im Januar die Staffelkolleginnen von Jones anhören. "Wir müssen sie hören, wir werden rechtsstaatliche Grundsätze beachten", sagte Rogge. Dennoch wird damit gerechnet, dass die amerikanische Sprintstaffel Bronze abgeben muss. Der Rundenstaffel dürfte der Olympiasieg aberkannt werden. Dies soll bis zur nächsten Exekutivsitzung im April in Peking geklärt werden.
Zudem hat das IOC das US-Justizministerium um Einsichtnahme in die Ermittlungsergebnisse zum Balco-Kriminalfall gebeten. Daraus könnten sich Verwicklungen weiterer Olympiateilnehmer ergeben, etwa von Ekaterini Thanou, die in Sydney über 100 Meter Zweite hinter Jones war, deren Trainer auch Balco-Kunde gewesen sein soll. Sollte dies bewiesen werden, könnte man die Vergabe der Goldmedaille an Thanou verhindern, die gerade eine mehrjährige Dopingsperre abgesessen hat – wegen der Vorfälle vor den Olympischen Spielen 2004 in Athen.
Für die Sydney-Spiele jedoch gilt Thanou noch als unbelastet. Möglicherweise wird am Ende auch ihr Kompagnon Kostas Kenteris in den Strudel gezogen, der in Sydney Olympiasieger über 200 Meter geworden war. Chefdoper Victor Conte bezifferte die Zahl der Doper in Sydney auf sagenhafte 5 000. Das hieße, die Hälfte der Olympiateilnehmer hätte mit unerlaubten Mitteln nachgeholfen. In Sydney wurden 2 000 Dopingtests durchgeführt, nur zwölf waren positiv.
Und noch ein anderer Olympiasieger von Sydney muss weiter um seine Goldmedaille fürchten: Jan Ullrich. Der Schweizer Dennis Oswald, Chef der IOC-Disziplinarkommission, die sich mit dem systematischen Doping im Team Telekom befasst, sagte dieser Zeitung: "Wir wollen aber zunächst die Ergebnisse der unabhängigen Untersuchungskommission zur Uni Freiburg abwarten." Oswald glaubt nicht, dass Ullrich auf die olympische Verjährungsfrist von acht Jahren bauen könnte: "Ich werde das noch einmal genau prüfen, aber ich denke, dass die Verjährung dann ausgesetzt ist, wenn die Untersuchung des Falls beginnt", sagt er. Theoretisch würden die Sydney-Vergehen Anfang Oktober 2008 verjähren. Aber auch IOC-Präsident Rogge erklärte: "Die Anwälte sagen mir, dass die Verjährung aussetzt, wenn wir an den Fällen arbeiten."
Rogge sieht das IOC nicht unter Zeitdruck. Möglicherweise, sagte er, falle der Beschluss über die Neuvergabe der Olympiamedaillen in den Einzelwettbewerben mit Marion Jones erst im kommenden Herbst – nach den Spielen von Peking.
Jens Weinreich
Berliner Zeitung, Donnerstag, dem 13.12.2007