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18
08
2011

Der deutsche Diskuswerfer Robert Harting - Foto: Victah Sailer

Diskuswerfer Robert Harting – Nur kein braves Bübchen sein – Michael Reinsch, Kienbaum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

„Wir haben am Dienstag eine Geschichte erlebt! Da kamen Dopingkontrolleure und hatten keine Nadeln mit. Eine Athletin haben sie, um ihr Blut abnehmen zu können, mit nach Berlin genommen. Wenn sie nicht mitgefahren wäre, hätte sie einen ,missed test‘ gehabt. Hätten sie das mit mir gemacht, hätte ich meinen Anwalt angerufen und sie verklagt.“

Robert Harting ist in Rage, endlich. Vor vier Wochen, als er mühelos deutscher Meister geworden war, hatte er geschimpft, dass es ihm an Herausforderung fehle. Alle Diskuswerfer der Welt hatte er besiegt im Laufe der Saison, er führte in der Diamond League. Keine Chance, sich in Fahrt zu bringen für die Weltmeisterschaft in zwei Wochen. Jetzt hat er die Herausforderung: Sein Knie. Weil die Schmerzen unerträglich wurden, hat sich Harting vorübergehend zurückgezogen aus dem Wettkampfzirkus.

„Das Knie ist eine Herausforderung“

Als wir ihn im Trainingslager Kienbaum treffen, kühlt er sein linkes Knie mit einem Eisbeutel. Er leidet an einer Entzündung der Patellasehne. Die Kortisonbehandlung ist am Ende angelangt, weil sie die Sehne brüchig zu machen droht. „Wie ein trockener Strick“, sagt er. Heilung ist nicht zu erwarten, es geht nur darum, den Schmerz auszuhalten. Sechs Spritzen hat Harting bereits bekommen in diesem Jahr, eine einzige ist sein Arzt bereit ihm noch zu geben, vor dem Abflug nach Korea. Schlagen die Therapien nicht an, die nach der WM vorgesehen sind, muss Harting sich operieren lassen – ein Risiko vor den Olympischen Spielen im nächsten Jahr, die der Höhepunkt seiner sportlichen Laufbahn werden sollen.

„Ich verzichte auf aggressive Würfe, auf Kniebeugen und das Gefühl, mich wirklich spritzig zu fühlen“, sagt Harting. Er trainiert mit Scheiben, die mehr wiegen als die üblichen zwei Kilo, und er rotiert langsamer als im Wettkampf. Im Zeitlupentempo, hofft er, perfektioniert er den Bewegungsablauf.

Der Mann, der den Diskus aus voller Drehung mehr als 69 Meter weit schleudern kann, bringt sich nun mit einem gedanklichen Dreh in Form. „Das Knie, es ist hinderlich, aber es ist eine Herausforderung“, sagt Harting und beschreibt, wie die Verletzung sein turbulentes Innenleben in eine Richtung zwingt. „Du bist eine kleine Mannschaft in dir selber: der aggressive, der nachdenkliche, die vielen Hartings arbeiten alle zusammen und bringen mich weiter.“ Er sei optimistisch, dass er in Daegu seinen Titel verteidigen wird. „Es ist cool, dass ich es in diese Richtung drehen kann“, sagt er.

Die Auflehnung passt nicht zur mönchischen Abgeschiedenheit

Damit ist es nicht getan. „Ich will weit werfen. Mit Gelassenheit schaffe ich das nicht“, sagt Harting. „Man braucht eine Grundaggressivität.“ Diese demonstrierte er im Übermaß, als er vor zwei Jahren in seiner Heimatstadt Berlin Weltmeister wurde. Eine Protestaktion von Dopingopfern der DDR mit Pappbrillen, auf denen stand „Ich will das nicht sehen“, nahm er persönlich. Er hoffe, sein Diskus springe in Richtung der Brillen, schimpfte Harting, und plötzlich stand er als böser Bube da, der Doper verteidigt. „Das war crazy, Mann. Das war unglaublich“, erinnert er sich wie an eine Drogenerfahrung. Die Tragweite seiner Äußerung ahnte er nicht, doch mit dem Gewinn der Goldmedaille, davon ist er überzeugt, hat er Wiedergutmachung betrieben.

„Ich hatte Glück, dass ich den Wurf getroffen habe“, sagt er. „Er hätte auch daneben gehen können. Aber ich habe ihn getroffen, und damit war die Sache erledigt.“ Jetzt braucht der Riesenkerl wieder Stoff, um sich in Fahrt zu bringen für Daegu, eine Droge, die auf keiner Verbotsliste steht, so lange sein riesiger Körper sie selbst produziert: Adrenalin.

Das Rezept? Er habe aufgehört, ein braves Bübchen zu sein und Stress zu vermeiden, erzählt Harting. „Ich war immer früh ins Bett gegangen, ich hatte versucht, alles vorher zu bestimmen, um einigermaßen sicher“ – er hebt die Stimme, als imitiere, als ironisiere er jemand anderen – „diesem großen, schönen Traum näher zukommen.“ Dann wieder er selbst: „Gar nix is. Ich hatte mich dem Sport untergeordnet. Das darf nicht passieren.“

Das Lebensgefühl der Auflehnung scheint nicht recht zu der mönchischen Abgeschiedenheit zu passen, für die Harting seine Teilnahme an dem Diamond-League-Meeting von London und damit die Führung in der mit 40.000 Dollar dotierten Gesamtwertung aufgegeben hat. „Das Geld juckt mich nicht, dafür mache ich das alles nicht“, sagt er. „Ich mache es dafür, dass meine Gegner sich ärgern das ganze Jahr, für meinen persönlichen Triumph und dafür, ihnen zu zeigen, dass sie mich schlagen müssen, wenn sie etwas gewinnen wollen.“

Drei Mal am Tag lässt er sich vom Physiotherapeuten behandeln. Noch wichtiger als das Knie, so scheint es, ist die Haltung, die sich Harting für das Finale am Dienstag, den 30. August erarbeitet hat. „Ich komm‘ hier an mich ran“, sagt er. „Ich habe keine Angst vor der WM, ich freue mich drauf.

Das wird ein geiler Abend.“

 Michael Reinsch, Kienbaum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 16. August 2011

author: GRR

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