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15
10
2024

Damit Roboter und Menschen sich gut ergänzen, müssen sie auf möglichst natürliche Weise interagieren können. - Illustration: Noyau - Universität Zürich - UZH

Digitalisierung – KI muss menschlicher werden – Universität Zürich – UZH – Thomas Gull

By GRR 0

 

Im Labor von Anand van Zelderen hat die schöne neue Zukunft der Arbeit bereits begonnen. Dort sitzen Johanna und Johan mit Menschen aus Fleisch und Blut am gleichen Bürotisch und arbeiten munter mit. Johan und Johanna sind KI-Avatare, die aussehen wie Menschen und die zumindest teilweise auch so reagieren wie Menschen, wenn auch mit etwas Verzögerung.

«Wenn man Johanna anspricht, antwortet sie, allerdings braucht sie dafür zwei bis drei Sekunden», erklärt Managementforscher Anand van Zelderen. Sein Spatial Computing Lab gehört zum Center for the Leadership in the Future of Work der UZH. Zudem ist der Wissenschaftler Teil der Digital Society Initiative (siehe Kasten).

Van Zelderen geht davon aus, dass viele von uns künftig mit Avataren wie Johanna und Johan zusammenarbeiten werden. Deshalb hat er experimentell getestet, wie wir auf Mitarbeitende mit künstlicher Intelligenz reagieren. Das Ergebnis: Wenn sie menschliche Züge haben, sind wir eher bereit, ihnen Wertschätzung entgegenzubringen und ihren Beitrag an die Teamarbeit zu würdigen, als bei einem Roboter oder traditioneller generativer KI wie etwa ChatGPT.

Integrative und offene virtuelle Welten

Das bedeutet: Je stärker KI optisch und in ihrem Verhalten dem Menschen gleicht, umso leichter fällt es uns, mit ihr zu kooperieren und ihr zu vertrauen. «Wenn wir KI erfolgreich in den Arbeitsalltag integrieren wollen, müssen wir virtuelle Arbeitsumgebungen schaffen, in denen die Menschen auf möglichst natürliche Weise mit KI interagieren können», lautet deshalb van Zelderens Fazit.

Solche Umgebungen werden zum Teil bereits angeboten, etwa «Metaverse» des Meta-Konzerns (ehemals Facebook). Metaverse sei in seiner aktuellen Form jedoch unattraktiv und werde deshalb von den Mitarbeitenden abgelehnt, sagt van Zelderen. Er hat deshalb die Openverse-Initiative gegründet, die sich mittlerweile über die ganze Welt erstreckt und derzeit 25 akademische Einrichtungen umfasst. Openverse hat zum Ziel, integrative, offene und ethisch verantwortliche virtuelle Welten zu schaffen. Anders als bei kommerziellen Entwicklungsprojekten stehen die digitalen Ressourcen, die eine gemeinsame Gestaltung mit KI ermöglichen, den Mitgliedern der Openverse-Gemeinschaft frei zur Verfügung. Sie können sie für ihre Forschung und den Unterricht nutzen. «Virtuelle Umgebungen, wie wir sie mit Openverse gestalten, können vollkommen verändern, wie wir arbeiten», sagt van Zelderen.

Wenn wir KI erfolgreich in den Arbeitsalltag integrieren wollen, müssen wir virtuelle Arbeitsumgebungen schaffen, in denen die Menschen auf möglichst natürliche Weise mit KI interagieren können.

Anand van Zelderen, Managementforscher

Wie verändert KI unsere Arbeit?

Und was bedeutet das für uns? Die technologische Revolution durch KI ermöglicht, dass auch kognitive menschliche Arbeit von Computerprogrammen erledigt wird. Das geschieht zum Teil bereits. Offen ist, was KI wirklich kann und welche menschlichen Tätigkeiten ersetzt werden können. «In der Vergangenheit haben neue Technologien Aufgaben übernommen, die gut strukturiert und klar definiert waren», sagt Informatik-Professor Abraham Bernstein, «die Frage ist, ob KI nun auch komplexere Arbeiten erledigen kann.»

Wenn KI halluziniert

Im Moment ist das aus seiner Sicht noch nicht der Fall. «Heute ist die Zusammenarbeit des Menschen mit generativer KI wie etwa ChatGPT ein eher langweiliges Pingpong mit Auftrag und Antwort. Wenn ich mit der Antwort nicht zufrieden bin, formuliere ich den Auftrag neu.» Dabei sei der KI-Algorithmus eine Blackbox, bei der man nicht wisse, wie die Ergebnisse zustande kommen. Was KI produziere, sei eine «probabilistische Rekombination von dem, was es gibt», so Bernstein, wobei am Schluss ausgespuckt wird, was am wahrscheinlichsten erscheint. Das muss aber nicht gut, richtig und wahr sein. Wenn KI Ergebnisse liefert, die falsch sind, spricht man von «Halluzinationen» oder «Konfabulationen». Die Herausforderung für den Nutzer besteht darin, zu merken, wann KI halluziniert. Das ist nicht einfach, weil auch falsche Antworten stets überzeugend formuliert daherkommen.

Wenn KI fabuliert, kann das Konsequenzen im realen Leben haben. Ein aktuelles Beispiel ist ein Chatbot von Air Canada. Dieser hat Kunden darauf hingewiesen, dass die Airline einen Rabatt auf Flüge an Beerdigungen von Angehörigen gewährt und dieser nachträglich noch geltend gemacht werden kann. Als ein Kunde genau dies tat, wurde ihm beschieden, der Rabatt werde nur vorgängig gewährt. Der Kunde stellte sich auf den Standpunkt, der Chatbot habe ihn falsch informiert. Das Gericht gab ihm recht.

Solche Fälle zeigen, dass die Programme teilweise noch nicht zuverlässig genug sind. Wie sich der Einsatz von KI in der Arbeitswelt weiterentwickelt, hänge stark davon ab, wie verlässlich die Programme sind, so Bernstein. Gemäss dem Informatiker hat die eingeschränkte Zuverlässigkeit von KI Konsequenzen für deren Nutzung und unsere künftige Ausbildung: «Wir müssen nach wie vor in der Lage sein, zu beurteilen, ob die von KI gelieferten Ergebnisse etwas taugen. Deshalb müssen wir auch in Zukunft Dinge lernen, die wir so nie gebrauchen werden, weil die Maschine das besser und schneller kann, wie heute das Kopfrechnen.» Der Taschenrechner übernimmt zwar das Rechnen, wir brauchen aber nach wie vor mathematische Grundkenntnisse, um etwa die Grössenordnungen von Zahlen einschätzen zu können.

Wir können besser denken

Zu den dystopischen Visionen, die mit KI verbunden werden, gehört, dass sie menschliche Arbeit weitgehend überflüssig macht. Bernstein hält das für ein eher unrealistisches Szenario. Berufe bestünden aus einem Bündel von Tätigkeiten, sagt der Informatiker. Einige davon könnten von KI übernommen werden, andere nicht. «Wir werden einen Teil unserer Arbeiten an die Maschinen abgeben und uns dafür auf andere Aufgaben konzentrieren können», lautet seine Prognose. So würden in der Wissenschaft beispielsweise gewisse Experimente automatisiert, während die Wissenschaftler:innen die verschiedenen KI koordinieren und mit ihnen zusammenarbeiten werden.

Menschliche Intelligenz wird es auch künftig brauchen. Denn der Mensch kann noch besser denken als KI, weil wir reaktives und reflexives Denken verbinden können, so Abraham Bernstein. «Die heute verwendete KI denkt primär reaktiv.» Wobei man unter reaktivem Denken versteht, schnell und unmittelbar auf Reize oder Situationen zu reagieren, ohne lange nachzudenken. KI-Systeme funktionieren reaktiv, indem sie basierend auf Wahrscheinlichkeiten oder zuvor gelernten Mustern Antworten generieren. Was diese Art von KI nicht kann, ist reflektieren und beispielsweise die eigenen Ergebnisse kritisch hinterfragen. Mittlerweile gibt es sogenannte neurosymbolische KI-Systeme, die diese beiden Denkarten kombinieren. Allerdings sind wir Menschen da den Maschinen noch überlegen, so Bernstein: «Unsere Art des Denkens kombiniert die beiden Denkarten besser, was uns gewisse Vorteile gegenüber den Maschinen verschafft.»

Wir kombinieren das reaktive und das reflexive Denken besser, was uns noch Vorteile gegenüber den Maschinen verschafft.

Abraham Bernstein, Informatiker

Der Einzug von KI in die Arbeitswelt bedeutet deshalb nicht, dass menschliche Arbeit obsolet wird, sondern vielmehr, so Bernstein, dass «Mensch und KI die richtige Beziehung finden müssen». Wenn wir das geschickt machen, können wir von den Fähigkeiten der intelligenten Maschinen profitieren. Bernstein sieht die ideale Nutzung von KI in der «Co-Kreation», indem Mensch und Maschine zusammenarbeiten und gemeinsam zu besseren Ergebnissen gelangen. Dafür braucht es eine Kombination der Stärken beider Seiten: die unendliche Ausdauer und Rechenleistung der Maschinen und das analytische Denken, das Wissen und die Intuition des Menschen.

Nicht zu bequem werden

Das klingt vielversprechend. Anand van Zelderen warnt aufgrund seiner Studie mit Avataren jedoch vor negativen Auswirkungen der Arbeit mit KI: «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu bequem werden und uns zu stark abhängig machen von unseren KI-Kollegen.» Wie seine Studie zeigt, engagieren sich die Menschen weniger, wenn sie mit KI zusammenarbeiten, und sie sind weniger zufrieden mit ihrer Arbeit. Van Zelderen hält es zudem für ungesund, den ganzen Tag in einer virtuellen Arbeitsumgebung zu verbringen. «Ideal ist eine Mischung von Realität mit virtuellen Elementen.» Die grosse Herausforderung für die Zukunft ist, die Zusammenarbeit mit KI so zu gestalten, dass sich die Menschen wohlfühlen.

Dazu muss KI humaner werden, ist van Zelderen überzeugt, etwa indem sie ein menschliches Gesicht erhält und menschenähnliches Verhalten zeigt, wie in seinem Experiment. Gleichzeitig sollte die Forschung generative KI nicht mehr nur als Werkzeug betrachten, sondern als Mitarbeitende, weil die Interaktionen zwischen Mitarbeitern und KI in vielerlei Hinsicht denen mit echten Menschen ähneln.

«Wenn es gelingt, eine harmonische Zusammenarbeit von KI und den Menschen zu schaffen, werden die neuen Technologien das menschliche Potenzial nicht untergraben, sondern unterstützen.» 

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers «Wie wir künftig arbeiten» aus dem Magazin 3/2014.

 

author: GRR