Foto. Erdmute Nieke
Die zwei Seiten des Laufens – Buchtipp von Dr. Erdmute Nieke
Sommertage sind Urlaubs- und Ferientage, Sommertage sind auch Lesetage. Das im Mai 2022 von Wolfgang W. Schüler im Arete-Verlag Hildesheim herausgegebene Buch „Lauftherapeutin, Lauftherapeut – eine Qualifikation für Dich?“ (ISBN 978-3-96423-085-0) kann den Sommerurlaub bereichern, obwohl dieser Buchtipp eigentlich nur bedingt auf die GRR-Website gehört.
Die Homepage für Straßenläufe, Wettkämpfe, Sieger:innen, Bestzeiten und neuen Trainingsplätzen für die Laufelite widerspricht ein wenig dem Konzept der Lauftherapie.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann hat diese Neuerscheinung hier bereits gewürdigt https://germanroadraces.de/?p=199741 und ich möchte mich anschließen.
Das Laufen hat zwei Seiten, die eine – in der breiten Öffentlichkeit wahr genommene ist die berühmte, manchmal auch ungläubige Frage: „Du läufst Marathon?!?“ Dass es Marathon-Läufe überall auf der Welt gibt – das hat selbst der unsportlichste Mensch schon bemerkt – vielleicht nur im Verkehrsfunk wegen der Straßensperrungen oder wegen des Beitrags über den großen Berlin-Marathon in der Sportschau vor dem Fußball…
Die andere Seite des Laufens: „Lauftherapie? Was ist das denn??“ Diese Frage wurde mir in letzter Zeit häufig in meinem Lauftreff beim (Marathon-)Training gestellt.
Beiden Gruppen – den Läufer:innen und den Unsportlichen sei dieses Buch empfohlen. Warum?
Für den unsportlichen Menschen könnte das Buch der Einstieg in ein neues Leben mit mehr Lebensqualität, mit mehr Gesundheit, mit mehr Zufriedenheit, mit mehr seelischem und körperlichem Wohlbefinden werden. Damit wird deutlich, was Lauftherapie ist und kann: Sie ist eine psychosoziale Bewegungstherapie zur Stärkung der Selbstwirksamkeit und des Wohlbefindens. Die Lauftherapie enthält keinen Leistungssportgedanken (s.o.).
Für die Läufer:in will das Buch eine Anregung sein, aus dem Läufer:innen-Leben zusätzlich noch ein Lauftherapeut:innen-Leben zu machen.
Im Geleitwort von Dr. Teresa Kostrubala, wird klar, was Lauftherapie ist. Teresa beschreibt, wie ihr Mann Thaddeus (1930-2020) als Psychiater in den USA der siebziger Jahre seine Patient:innen nicht mehr im geschlossenen Raum in Ruhelage behandelte, sondern feststellte, dass sich das draußen Bewegen, Gehen oder sogar Laufen sehr positiv auf seine Patient:innen auswirkte. Weg mit dem berühmten Sofa von Sigmund Freud – das war die Geburtsstunde der Lauftherapie.
Dr. Teresa Kostrubala – Foto: privat
Dem Herausgeber Wolfgang W. Schüler gelingt es mit 18 Fragen unter der Überschrift „FAQs zur Lauftherapie“ sehr gut strukturiert darzustellen, was Lauftherapie heute ist und kann und auch, was sie nicht ist und was sie nicht kann. Hier wird gleichzeitig deutlich, warum das Buch Prof. Dr. Alexander Weber gewidmet ist, der die Lauftherapie in Deutschland etabliert hat und in Bad Lippspringe im „Deutschen Lauftherapiezentrum“ (DLZ) fast 800 Lauftherapeut:innen weiter gebildet hat. Gerade hat Alexander Weber seinen 85. Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch!
Im Buch folgen 22 Beiträge von Lauftherapeut:innen, die alle am DLZ ihre Weiterbildung absolviert haben. Die Texte beschreiben eine bunte und riesige Palette, wo und mit welchen Personen Lauftherapie angewendet wird. Die Zielgruppen reichen von Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, über Menschen mit Beeinträchtigungen bis hin zu Inhaftierten. Manch spannende Anekdote ist dabei auch zu lesen, diese seien hier nicht verraten.
Die letzten beiden Beiträge von Klaus Assenmacher und Wolfgang W. Schüler widmen sich dem „Verband der Lauftherapeuten e. V.“ und den internationalen Kontakten. Im Anhang finden sich die derzeitigen Ausbildungsträger:innen und Literaturempfehlungen.
Das Buch erhellt die andere Seite des Laufens: Wohlfühlen statt Wettkampf, gesünder statt schneller und weiter! Diese Erfahrung darf ich mit allen Lauftherapeut:innen nun teilen, denn ich habe vor zwei Wochen die Weiterbildung zur Lauftherapeutin an der HAWK Hildesheim mit elf anderen Läufer:innen aus ganz Deutschland abgeschlossen. Das Thema meiner Abschlussarbeit war: Laufen ist Medizin und Lebensfreude. Eben diese andere Seite des Laufens!
Dr. Erdmute Nieke