Blog
18
04
2011

Diese angenehm kritische Distanz zum Sujet bleibt bei aller Nähe und Faszination.

Die wundersame Welt des Sports – Museum zum Mitmachen: Die Ausstellung „Auf die Plätze“ beleuchtet auf informative und unterhaltsame Weise die gesellschaftliche Rolle der Leibesertüchtigung – Christian Hönicke, Dresden im Tagesspiegel

By GRR 0

Es beginnt mit einem der denkwürdigsten Augenblicke der Sportgeschichte. „… Archimedes an der Mittellinie, und er hat offenbar eine Idee: ,Heureka!‘ Archimedes sieht Sokrates, der spielt zurück zu Archimedes, Archimedes zu Heraklit, der geht vorbei an Marx, Gefahr vorm deutschen Tor, Archimedes völlig frei am langen Pfosten, kommt an den Ball, flankt zu Sokrates, Sokrates Kopfball und Tor! 1:0 durch Sokrates!

In der letzten Sekunde erzielt Sokrates das entscheidende 1:0, und die Griechen drehen durch. Doch die Deutschen disputieren! Hegel argumentiert, dass die Wirklichkeit a priori nur ein Nebenumstand non-naturalistischer Ethiken sei, Kant protestiert mittels des kategorischen Imperativs, das Tor existiere ontologisch nur in der Imagination und Marx behauptet, es war Abseits.

Konfuzius antwortet mit dem Schlusspfiff – das Spiel ist zu Ende!"

Das „Fußballspiel der Philosophen" erwartet die Besucher gleich am Eingang. Der legendäre Monty-Python-Sketch aus dem Jahr 1972 läuft im ersten Raum der Ausstellung „Auf die Plätze" im Deutschen Hygiene-Museum zu Dresden, die sich seit diesem Wochenende der wundersamen Welt des Sports widmet. Monty Python darf da nicht fehlen, zumindest wenn man den Begriff so definiert wie die Kuratorin Susanne Wernsing. Sie wirft gleich am Anfang die Kernfrage auf: Was ist eigentlich Sport? Gehören auch der ulkige Museumslauf auf dem Bildschirm neben den kickenden Philosophen dazu oder der neuartige Schwimmstil „Snaking", was ist mit Autorennen oder Schach? Die genaue Antwort hat auch Wernsing nicht, sie gibt mit ihrer Exposition aber einen Deutungsansatz.

Deutlich wird in „Auf die Plätze" in jedem Fall, wo der Sport ist: mittendrin und zwischen allen Stühlen. Er ist allgegenwärtig, zu einer Lebenseinstellung mit angedockter Industrie aufgestiegen und fliegt doch noch immer knapp unterhalb des Seriositätsradars. „Sport ist so ein Zwischending", sagt Wernsing. „Einerseits spielt er in unserer Gesellschaft eine große Rolle, andererseits wird er nicht ganz ernst genommen. Denn es ist ja nur Sport."

„Auf die Plätze" nimmt den Sport ernst – so ernst, dass all die kleinen ironischen Widersprüche und absurden Details deutlich werden. Die Ausstellung begleitet die sportliche Evolution in vier Themenräumen von der Antike über die Wettläufe zum Nordpol bis zur subtil durchkommerzialisierten Skaterszene. Dabei pendelt sie bei dem Versuch, dem Mysterium des Sports auf den Grund zu gehen, zwischen Detailaufnahmen, Helikopterblick, fachlichem Exkurs und Kunst. Da gibt es etwa das Langzeitprojekt eines Probanden, der sich dabei filmte, wie er sich in eineinhalb Jahren zum Bodybuilder aufpumpte. Brutale Formungsinstrumente künden stumm vom in allen Epochen ausgeprägten Streben nach dem idealen Körper, martialische Sportgeräte von der (meist) befriedenden Rolle als Ersatzkrieg.

Diese angenehm kritische Distanz zum Sujet bleibt bei aller Nähe und Faszination. Auch bei dem interaktiven Terminal, auf dem beim Auflegen von paniniähnlichen Karten die Transferwege von Fußballstars aufblinken. Aus diesem Spaß wird nämlich ersichtlich, dass die Besten ihres Berufs in einem abgeschlossenen Kolonialsystem aus höchstens zehn Klubs hin- und hergeschoben werden.

Wahrscheinlich konnte auch wegen dieser kritischen Reflexion trotz des renommierten Ortes kein einziger Sponsor aus dem riesigen Sportkosmos gewonnen werden. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn so können auch Schattenseiten wie Doping ohne Einschränkungen beleuchtet werden. Bei diesem Thema verzichtet Wernsing darauf, einzelne schwarze Schafe herauszupicken, sondern stellt das unerlaubte Nachhelfen als unvermeidliche Begleiterscheinung und Teil der professionellen Strukturen dar. Auf den erhobenen Zeigefinger wird glücklicherweise ebenso verzichtet, stattdessen gibt es ironisch betitelte Pillenpäckchen zu sehen und einen echten Arzneikoffer eines Tour-de-France-Fahrers von 1954.

Das Grundthema schreit natürlich geradezu danach, aus dem üblichen Ausstellungsdilemma auszubrechen und den schweigenden Betrachter zum Mitmachen zu animieren. Neben dem Futter für den Geist bietet „Auf die Plätze" dann auch jede Menge Gelegenheiten zum Mitmachen und Ausprobieren und verwandelt das Museum in einen kleinen Abenteuerspielplatz mit pädagogischem Nebeneffekt. Auf der modernen Variante von „Hau den Lukas" wird der Besucher je nach Härte der Schläge mit kreischenden Rennautogeräuschen entlohnt, man kann auf Sprossenwänden herumklettern, zu Videoinstallationen von Extrembergsteigern von einer Plattform auf Mattenberge springen oder an einer Wand mit tellergroßen, leuchtenden Druckknöpfen seine Reaktionsfähigkeit testen. Ebenfalls zum Anfassen sind die Exponate des ungarischen Künstlers Antal Lakner, der Fitnessutensilien und Alltagsgeräte kombiniert wie eine Malerrolle mit einer Hantelbank.

Mit dieser Mischung aus Information, Aktion und Kultur will Susanne Wernsing nicht nur die ohnehin Sportinteressierten gewinnen, sondern auch ihre natürlichen Gegner. „Die passionierten Sporthasser können hier die gesellschaftliche Dimension des Sports erfahren", sagt Wernsing. „Damit sie am Ende vielleicht nicht mehr sagen:

Ist ja nur Sport."

Christian Hönicke, Dresden im Tagesspiegel, Sonntag, dem 17. April 2011

 

„Auf die Plätze" läuft bis zum 26. Februar 2012 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Eintritt 7 Euro, ermäßigt 3 Euro.

author: GRR

Comment
0

Leave a reply