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21
05
2014

Die Nacht, sie macht es aus. Unterbrochen wird die Stille durch den Applaus im nächsten Dorf. Danach geht’s wieder durch die dunkle Nacht über Land und Feld.

Die Vorstellung der schönsten Schweizer Läufe aus dem Heft “Swiss Runners 2014” – Im Kopf unbesiegbar – Bieler Lauftage vom 12.06. – 14.06.2014

By GRR 0

Regine Aeberhardt gluckst. Eine kurze Pause. Jetzt lacht sie. Und dann sagt sie es: «Ja, es ist ein brutaler Kampf zwischen Kopf und Körper, wenn ich einen Laufs absolviere.» Bisher war der Kopf stärker. Fast immer. Erst einmal hat Regine Aeberhardt einen Lauf abgebrochen, «aber einen kurzen», betont sie, «mein Ego würde den Abbruch eines längeren Laufs nicht zulassen. Das könnte ich mir nicht verzeihen».

Regine Aeberhardt ist 46 Jahre alt. Sie wohnt mit Mann und drei Kindern in Kirchberg. Sie ist die einzige in der Familie, die läuft. Das tat sie schon immer. In Gohl, Emmental, ist Regine Aeberhardt aufgewachsen. Bauernhof, zehn Geschwister, viel Betrieb. Der Schulweg sei lang gewesen, sagt sie, sehr lang. Zurückgelegt hat sie ihn dennoch immer zu Fuss. Aber nie im Gehen. Gelaufen sei sie, jedes Mal, nicht, weil sie zu spät unterwegs war, sondern aus Freude. Und die Freude begleitet sie beim Laufen bis heute.

Regine Aeberhardt läuft und läuft, vor allem weite Strecken, treibt die Beine mit grosser Willenskraft von Kilometer zu Kilometer. Die Marathondistanz mag sie am liebsten. Laufen sei für sie anstrengend und befreiend zugleich, «ich laufe mich im Kopf frei», sagt sie. Wenn sie etwas belaste, dann schnüre sie die Laufschuhe und mache sich auf den Weg. Alleine. «Das sieht aus wie eine Flucht, dabei hole ich mir Hilfe in der Bewegung.» Wieder zurück, ist der Körper erschöpft – und der Geist frei. Das Laufen ist ihr Ausgleich zum Beruf. Regine Aeberhardt betreibt in Kirchberg ein eigenes Kosmetikstudio.

«Das ist meine Nacht»
Regine Aeberhardt ist viele Strecken gelaufen. National und international. Aber, da gibt es einen Lauf, der in Kirchberg praktisch vor ihrer Haustür vorbeiführt, den sie lange ausgelassen hatte. Die 100 Kilometer von Biel. Gut, bei der «Nacht der Nächte» war Regine Aeberhardt schon zigmal dabei. Nachtmarathon, Partnerlauf, Teamlauf. «Das ist meine Nacht», sagt sie. Und dann, 2013, hat sie es gewagt, ging zum ersten Mal alleine an den Start über 100 Kilometer. «Einmal, ja, einmal musst du das gemacht haben», sagt sie.

Besser als New York
Wenn Regine Aeberhardt eine Startlinie überquert, dann hat sie immer ein Ziel, eine Zeit im Kopf. Läuft eine Uhr, beginnt der Kampf gegen sie. Anders geht das nicht. Zumindest heute noch. «Ich will bis ins hohe Alter laufen», sagt sie, «aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr Wettkämpfe auf Zeit, das wäre mit abnehmender Kraft zu frustrierend.» Doch halt, dieser Punkt ist noch lange nicht erreicht. 2013 hat sie fünf bis sechs Mal pro Woche trainiert, um bereit zu sein, für die 100 Kilometer. Sie hat den Trainingsplan exakt eingehalten.

Unter zehn Stunden, also einen Kilometerschnitt von unter sechs Minuten, wollte Regine Aeberhardt laufen. «Ich wollte es, unbedingt, aber bis fast zum Schluss habe ich nicht wirklich daran geglaubt», sagt sie. Angetrieben von der Familie, die immer wieder am Streckenrand auftauchte, und von ihrem Trainer, war sie aber schnell unterwegs. Sehr schnell. Nach 9 Stunden und 35 Minuten überquerte sie die Ziellinie vor dem Bieler Kongresshaus.

Als fünfte Frau. Und als dritte Schweizerin. Ein Platz auf dem Podest auf Anhieb, «ein grossartiges Gefühl». Regine Aeberhardt sagt, dieser Lauf, der habe alles übertroffen, jeden Marathon den sie bislang absolviert habe, «und ich war schliesslich auch schon in New York am Start».

«Unglaubliche Atmosphäre»
Die Nacht, sie mache es aus. Zuerst durch Biel, vom Publikum beklatscht, dann durch die dunkle Nacht über Land und Feld, um im nächsten Dorf wieder mit Applaus empfangen zu werden. «Ich liebe es, durch die Natur zu laufen», sagt Regine Aeberhardt, «Diese Atmosphäre ist unglaublich». Bei ihrem ersten «Hunderter» habe sie ihre persönliche Grenze nie überschreiten müssen, «das hat mich selber überrascht».

Eine grosse Krise blieb aus. Auch deshalb will sie es wieder tun, «ganz bestimmt». Ob 2014, weiss sie noch nicht. «Ich habe Respekt vor der Vorbereitung.» Nicht gut vorbereitet würde Regine Aeberhardt nicht an den Start gehen. Nicht bei diesem Lauf. Dafür ist sie zu ehrgeizig. Eine gute Zeit muss möglich sein. Der Kopf siegt über den Körper. Immer. Anders geht es nicht.

 

Lino Schaeren

Mehr zu den Bieler Lauftagen unter www.100km.ch

author: GRR

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