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Die Vorstellung der schönsten Schweizer Läufe aus dem Heft „Swiss Runners 2013“ – Im Bauch der Mutter ins Ziel – Schweizer Frauenlauf am 9.6.2013
Nach 36:43 Minuten hat es Basile Piguet endlich geschafft. Er überquert die Ziellinie des Schweizer Frauenlaufs – grosses Kino! Proteste hagelt es aber keine, verachtende Blicke bleiben ebenso aus. Warum auch sollte ein solches Theater gemacht werden? Basile fällt niemandem auf im Neufeldstadion. Eine Finisherin nach der anderen läuft wortlos an ihm vorbei. Basile hat sich nicht etwa als Frau verkleidet – er trägt weder Perücke noch Minirock. Ein bisschen getarnt ist er aber schon. Er steckt im Bauch seiner Mutter.
Verena Piguet war 1999 im neunten Monat schwanger, als sie am Schweizer Frauenlauf teilnahm. «Mit leichtem Jogging bewältigte ich die Distanz mühelos», sagt die heute 42-Jährige aus Gurzelen. Sie habe sich keine Sorgen gemacht. «Ich bin Hebamme.» Die 5 Kilometer lange Strecke habe ohnehin am Engeried- und am Lindenhofspital vorbeigeführt, erzählt die Laufsportbegeisterte mit einem Schmunzeln. «Weiter als zwei Kilometer war ich nie von einem Spital entfernt.» Ihr Sohn habe sich übrigens ganz ruhig verhalten. «Nur am Start hat er sich mit sanften Fuss-trittchen bemerkbar gemacht.» Während des Laufs habe er auf Kapriolen verzichtet, sagt Verena Piguet. Um anzufügen: «Aber er dachte wahrscheinlich, dass seine Mutter spinnt!» Dachte er das? «Nein», antwortet Basile 13 Jahre später. «Ich wollte doch geschaukelt werden.» Obwohl man es vermuten könnte: Der Laufsport wurde Basile nicht in die Wiege gelegt. Der Sekundarschüler spielt lieber Fussball. Das tut er recht erfolgreich bei den C-Junioren des FC Wattenwil. «Wenn ich schon «seckle» muss, dann wenigstens einem Ball hinterher.»
Streckenplan statt Schnittmuster
Verena Piguet gehört zu den 44 Teilnehmerinnen, die alle bisherigen 26 Austragungen des Schweizer Frauenlaufs bestritten haben. «Ich richte meine Jahresplanung nach diesem Anlass. Eine Absage kommt für mich nicht in Frage. Ich bin stolz, dass ich nie gefehlt habe», sagt die Bernerin. An die Premiere mag sich Verena Piguet noch gut erinnern: «Ich stolperte in 'Meyer's Modeblatt' über ein ungewöhnliches Schnittmuster – es war der Streckenplan des Schweizer Frauenlaufs.» Sie habe sich gefragt: «Werde ich in Bern die gleiche Frauenpower erleben wie im Spital Riggisberg?» Die damals 16-Jährige war überwältigt vom Wettkampf, von der grossartigen Stimmung – und auch ein wenig von der Laufzeit: 21:43 Minuten. Schneller als 1987 ist sie nie mehr gelaufen. Aber länger. Und weiter. 2005 absolvierte Verena Piguet in New York ihren ersten Marathon (4:22 Stunden). Ein Jahr später wiederholte sie die Ausdauerprüfung in Berlin (4:23 Stunden). Bestzeit lief sie 2007 in Zürich (4:21 Stunden). Die drei Medaillen haben in ihrem Büro einen Ehrenplatz bekommen. «Das sind meine Schmuckstücke. Ich werde sie einmal meinen Söhnen Basile und Amédée vererben.»
Verena Piguet wird am 9. Juni, wenn der Frauenlauf zum 27. Mal stattfindet, aufgeregt an der Startlinie stehen.Vielleicht werden erstmals ihre drei Schwestern geschlossen dabei sein. «Ich fände es wunderbar, wenn ich sie motivieren könnte, mitzumachen.» Natürlich wird Verena Piguet ihre Bestzeit ein weiteres Mal angreifen. Eines ist ihr aber so oder so gewiss: «Ich werde im Ziel eine tiefe Zufriedenheit verspüren und bin gespannt, wie viele Antworten ich unterwegs auf meine Lebensfragen finden werde.»
Politikerinnen im Visier
Antworten auf politische Fragen finden während der Stadtbesichtigung möglicherweise auch ein Dutzend Nationalrätinnen. Diese Teilnehmerinnenzahl ist bekanntlich der Wunsch von Catherine Imhof. «Im vergangenen Jahr machten sieben Nationalrätinnen mit. Das hat uns sehr gefreut», sagt die Projektleiterin des Schweizer Frauenlaufs. Yvonne Feri, Regula Rytz, Franziska Teuscher, Ruth Humbel, Hildegard Fässler-Osterwalder, Barbara Gysi, Margret Kiener Nellen – für sieben Parlamentarierinnen endete der grösste Frauensportanlass in der Schweiz direkt vor der Arbeitsstätte. Nach dem Motto «Im Bundeshaus sind wir Gegenspielerinnen – am Frauenlauf finishen wir gemeinsam» gingen 2012 erstmals Nationalrätinnen verschiedener Parteien an den Start der 5-Kilometer-Lauf- oder Walkingstrecke.
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Thomas Wälti (Berner Zeitung)