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Die Vorstellung der schönsten Schweizer Läufe aus dem Heft \“Swiss Runners 2013\“ – Geburtsstunden des Jungfrau-Marathons – 21. Jungfrau-Marathon
24. Juli 1992 in Davos: Am Vorabend des Alpine Marathons treffe ich beim Eingang zum Eisstadion zufällig einen alten Bekannten – Heinz Schild, den geistigen Vater des Grand-Prix von Bern. «Ich habe eine Vision, die ich bei euch im Oberland oben verwirklichen möchte», sagt er zu mir. Mit leuchtenden Augen erzählt er von der Idee eines Jungfrau Marathons mit Start bei uns in Interlaken und mit Ziel bei der Kleinen Scheidegg. Noch im selben Jahr versammelt Heinz an einem frühen Samstagmorgen auf dem Höhenweg in Interlaken zwei Dutzend Langstreckenläufer, um mit ihnen die gesamte Strecke des Jungfrau-Marathons abzulaufen. Wenige Wochen später steigt am 25. September 1993 in Interlaken die Premiere: 1620 Läufer und 182 Läuferinnen aus 20 Ländern starten zum 1. Jungfrau Marathon. Schon am Vorabend entscheidet sich Heinz Schild, den Schlussaufstieg über die Moräne zum Eigergletscher aufgrund des anhaltenden Regens und der sinkenden Schneefallgrenze zu streichen: Bereits hinter dem Haneggschuss wird die Laufstrecke nach links zur Wengernalp und zum Ziel bei der Kleinen Scheidegg hinauf gezogen, was eine Streckenverkürzung von 2700 Metern zur Folge hat. Diese fehlende Strecke wird aber bereits in einer verlängerten Schlaufe bis nach Stechelberg im Talboden unten kompensiert.
Der Münsinger Zahnarzt Kabbour Khallef geht als Animator des ersten Jungfrau Marathons in die Geschichte ein – sorgt er doch bis zum Beginn des steilen Aufstiegs nach Wengen für das Tempo, ehe er dort von den «Kletterziegen» Jörg Hägler und Charly Doll (D) überholt wird. In dieser Reihenfolge laufen die drei Ersten denn auch auf der Kleinen Scheidegg ein, Sieger Hägler in 3:00:57 Stunden. Frauensiegerin wird die Deutsche Birgit Lennartz.
Der 2. Jungfrau Marathon im Folgejahr kann dann erstmals bei trockenen Bedingungen über die Originalstrecke stattfinden. Marco Kaminski gewinnt mit einer Minute Vorsprung auf den Berner Duathleten Urs Dellsperger. Es sollte der erste von vier Siegen in Serie für den gebürtigen Polen Marco Kaminski sein. Auch 1999 läuft er als Erster auf der Kleinen Scheidegg ein – notabene mit der heute noch gültigen drittschnellsten Siegerzeit – und er wird alleiniger fünffacher Jungfrau-Marathon-Champion.
Der Jungfrau-Marathon …
… ist heute kaum noch wiederzuerkennen: Aus der ländlichen Sportveranstaltung von damals wurde ein Anlass, der jährlich Scharen von weltbesten Athleten ins Berner Oberland lockt und bei seiner 20. Austragung 2012 zum zweiten Mal innert fünf Jahren Austragungsort der Langdistanz- Berglauf-WM war. Mit einem 1600-köpfigen Helferstab, 40 ehrenamtlichen OK-Mitgliedern und einem Budget von 2,5 Millionen Franken seien nur drei Superlative erwähnt. Mit dem Engagement des Schweizer Tourneetheaters «Das Zelt» haben der mittlerweile langjährige OK-Chef Christoph Seiler und seine Leute 2012 auch bezüglich Rahmenprogramm neue Dimensionen erreicht. Und während heute selbst die lukrativsten Laufveranstaltungen gegen schwindende Teilnehmerzahlen ankämpfen, kann sich das OK des Jungfrau-Marathons vor Anmeldungen aus der ganzen Welt kaum retten. Es wäre ein Leichtes, das Rennen jedes Jahr mit einem komplett ausverkauften Feld zweimal hintereinander durchzuführen.
«Mein» Jungfrau-Marathon
Als Leistungssportler, der während 25 Jahren ohne grössere Verletzungen Marathonlauf betreiben und auf diese Weise viele imposante Städte rund um den Globus erleben durfte, hat der Jungfrau-Marathon auch heute noch einen besonderen Platz in meinem Herzen. Er ist zweifellos der Marathon mit der grossartigsten Kulisse der Welt. Als Teilnehmer läuft man seiner Schirmherrin und Namensgeberin, der Jungfrau, vom ersten Meter an entgegen. Man hat den Viertausender immer im Blickfeld. Die Jungfrau ist die permanente Begleiterin auf dem beschwerlichen Weg, wo die drückende Hitze im vertikalen Kessel des Lauterbrunnentals das Frösteln entlang der Lütschine vergessen macht, wo sich der Belastungswechsel beim 500 Meter kurzen Abwärtslaufen zur Station Wixi mit aufkommenden Wadenkrämpfen rächt, und wo einem die ungemein steile Moräne des Eigergletschers die allerletzten Reserven aus den Muskeln saugt. Trotz aller Pein und Schmerzen – sie kommen immer wieder zurück, die Läufer aus aller Welt.
Bruno Petroni (Berner Oberländer)
Mehr zum Jungfrau-Marathon unter www.jungfrau-marathon.ch