Die Wetterbedingungen waren überaus hart für Rennstuhlfahrer.
Die Rollstuhlfahrer beim Berlin-Marathon … und in Chicago – Dr. Reiner Pilz berichtet
Dauerregen in Berlin und ein erfolgreicher Tag für die Athleten aus dem Land der Morgenröte – kein Widerspruch. Sie kamen, um zu siegen und das gelang auf breiter Front: Sieg für Wakako Tsuchida bei den Damen und Sieg für Masazumi Soejima sowie zweiter Platz für Kota Hokinoue bei den Herren.
Die Wetterbedingungen waren überaus hart für Rennstuhlfahrer. Nicht nur das Problem völlig durchnässt auf „Betriebstemperatur“ zu kommen, auch die Sichtverhältnisse bei Wasser von oben und Spritzwasser von unten, Fremdkörper auf und bald in den Reifen als Nahrung für die Defekthexe, vor allem jedoch die problematische Kraftübertragung vom Handschuh auf den triefenden Greifreifen sind die widrigen Begleiter bei diesem Wetter.
Besonders der Routinier und Favorit aus der Schweiz, der 19malige Sieger von Berlin Heinz Frei, kam damit überhaupt nicht zurecht. Defekte am Rollstuhl und völlig unterkühlt kam er nach indiskutablen 1:46:39 h als Neunter durchs Ziel, um sich sofort Richtung wärmende Badewanne zu bewegen. Ja, auch solche Tage gibt es, selbst für einen Top-Sportler mit sage und schreibe 108 Marathonsiegen.
In diesem Licht sind die Leistungen der japanischen Sportler besonders zu würdigen. Wakako Tsuchida und Sandra Graf (SUI) als Vorjahressiegerin und Weltrekordlerin waren mit einer dreiköpfigen Männergruppe bis kurz vor dem Ziel gemeinsam unterwegs, bevor sie das Tempo verschärften und zum Spurt ansetzten, den Tsuchida für sich in einer Siegerzeit von 1:46:15h, eine Sekunde vor ihrer Konkurrentin Graf entscheiden konnte.
Damit fügte sie in diesem Jahr ihren Siegen in Boston und London einen weiteren hinzu. Dritte wurde 15min später Sandra Hager (SUI, 2:00:16) knapp vor der Exweltrekordlerin Francesca Porcellato (ITA, 2:00:19).
Bei den Herren setzte sich sofort eine Dreiergruppe mit den Japanern Masazumi Soejima und Kota Hokinoue sowie dem Schweizer Marcel Hug vom Feld ab und vergrößerten ihren Abstand von Kilometer zu Kilometer. Aber auch die Verfolgergruppe, dazwischen Heinz Frei, zerbröckelte, so dass nach halber Distanz kaum mehr als drei Fahrer zusammenblieben – typisch für Rennen im Regen. Mit einer taktischen Meisterleistung schüttelten die beiden Japaner Marcel Hug bei der Halbmarathonmarke ab und fuhren bis km 25 satte 45sec Vorsprung heraus.
Soejima ging auf sicher und lag 8km vor dem Ziel bereits allein auf Siegkurs, wobei er die letzten 4km mit einem platten Reifen hinter sich brachte. Seine Siegerzeit von 1:28:46 unter diesen Bedingungen ist absolut anerkennenswert. Sein Landsmann und Freund Kota Hokinoue folgte mit 1:30:08 vor Marcel Hug (1:35:58). Vierter wurde Kyle Shaw (CAN, 1:40:55) vor Ebbe Blichfeldt (DEN, 1:43:49). Als bester Deutscher kam Alhassane Baldé als 10. in 1:52:01 ins Ziel.
Bei den Tetras (T1/2) gewann Rob Smith (GBR) unangefochten in 2:31:50 vor Lars Bakaas (NOR, 3:09:47) und Sirko Wehr vom SCC Berlin (3:18:29).
Nachtrag vom Chicago-Marathon am 10.10.2010:
Heinz Frei meldet sich eindruckvoll zurück, mit neuem Streckenrekord von 1:26:56 vor Masazumi Soejima (1:28:01).
Amanda Mc Grory (USA, 1:47:25) stoppt die Siegesserie von Wakako Tsuchida (1:47:27) im Spurt und verhindert so Wakako’s 4. Sieg bei den Big Five der Weltmarathons in diesem Jahr.
Dr. Reiner Pilz