Die Marathonszene schaut auf Chicago
Zwei Tage vor dem Start des 32. Bank of America Chicago Marathon beherrschten noch die Vergabe des Friedensnobelpreises an Präsident Obama, der Einschlag von Raketen der NASA auf dem Mond sowie die privaten Dinge eines bekannten Late-Night-Entainers die Medien. Aber zunehmend gerät auch der Marathon am Ufer des Lake Michigan in den Fokus der Öffentlichkeit. 45000 Läuferinnen und Läufer gehen am 11. Oktober bereits um 7:30 Uhr Ortszeit (14:30 MESZ) auf die Strecke. Diese konnten sich ab dem 1. Februar anmelden, am 23. April war das Kontingent bereits erreicht; der Zuspruch der Marathon Majors durch den Breitensport auch hier enorm. Dabei zeigt sich ein US-typischen Phänomen auf den Laufstrecken, der erfreulich hohe Frauenanteil. Auch ohne speziellen Beauftragten und Quote hat sich hier die Gleichberechtigung der Geschlechter durchgesetzt. 19944 (44.3 %) Frauen und 25056 Männer (55.7 %) sind am Start, dabei besonders interessant, dass in den Altersklassen bis 30 Jahre die Frauen eindeutig das Feld dominieren. Erst in den fortgeschrittenen Jahrgängen liegen die Männer sehr deutlich vorne. Wenn man dann noch die Zahlen des jungen Nachwuchses betrachtet (Teilnehmer unter 19 Jahre), 302 Mädchen und 264 Jungen, dann zeigt das nur wie weit auch hier der Laufsport den gesellschaftlichen Entwicklungen „vorweg läuft“.
Natürlich ist der Chicago Marathon nicht nur der Breitensport, sondern gerade die Elite macht auch in diesem Jahr wieder von sich Reden. Und wie! Carey Pinkowski, der Race Director vor Ort, hat in einer einmaligen Erfolgsstory den Chicago Marathon als einen der größten und bedeutendsten Läufe weltweit etabliert, das zeigen die Zahlen der Finisher und vier Weltrekorde. Grund genug für die Stadt Chicago diese einmaligen Verdienste mit der Umbenennung einer Straße in „Carey Pinkowski Drive“ zu würdigen. Auch hier ist man offensichtlich viel weiter als entsprechende Entwicklungen in der Heimat. 20 Jahre zeichnet Carey für die Geschicke des Marathons verantwortlich, der organisatorisch sowie sportlich zur absoluten Weltspitze gehört.
In den letzten Jahre ist es von der leistungssportlichen Komponente etwas ruhiger um Chicago geworden, lange Zeit war man im Wettbewerb um die schnellste Strecke (Mittel der zehn besten Zeiten) vorne, mittlerweile sind aber Berlin und London weit enteilt; Berlin ist aktuell mit 2:05:30 deutlich schneller als Chicago. Damit sich das ggfs. ändert und auch der Weltrekord wieder hierhin zurückkommt, dafür hat man in der Tat viel getan. Die Verpflichtung von Sammy Wanjiru (KEN) war sicher der Coup der Veranstalter dies ändern zu wollen. Nach zwei Jahren mit viel zu hohen Temperaturen sieht es in diesem Jahr wieder weitaus günstiger aus, der Regen am Freitag hat sich verzogen, bei leichter Bewölkung werden Temperaturen von 5 bis 10°C für den Sonntag gemeldet. Allein der Wind lässt sich nur schwer vorhersagen und wird wie schon immer hier die entscheidende Rolle spielen. Mit Pacemakern der Extraklasse (u.a. der ehemalige Chicago Champion Ivuti) will man je nach Wind auf jeden Fall unter 62 Minuten den Halbmarathon anlaufen, der Rest wird sich zeigen. In den Vorberichten wurde das Teilnehmerfeld bereits vorgestellt, deshalb auch nur die Notiz, dass bis auf den Vorjahressieger Evans Cheruiyot auch alle angekündigten Eliteathleten vor Ort sind und zum Teil in einer Pressekonferenz vorgestellt wurden. Dort sprach man nur sehr zögerlich von möglichen Siegerzeiten und konzentrierte sich auf den Streckenrekord aus dem Jahre 2002 von Khalid Khannouchi (2:05:42). Aber es ist klar, dass bei ausreichend guten Bedingungen zum Angriff auf Hailes Bestmarke in Berlin geblasen wird. In jedem Fall wird es ein tolles Rennen werden. Mit hohem Aufwand überträgt NBC-Chicago das Rennen live vier Stunden lang, in Deutschland kann man ab 14 Uhr im Internet der Radioübertragung vom AM670 „The Score“ folgen, die Videobilder von Universalsports könnten leider durch rechtliche Randbedingungen bei uns nicht ohne weiteres zu sehen. Aktivitäten der deutschen TV Sender (öffentlich rechtlich oder Sparte) sind hier nicht bekannt.
Dies ist umso betrüblicher als mit Irina Mikitenko eine Favoritin an den Start geht und über eine zumindest in der Schlussphase gute Vorbereitung auf ihren ersten Lauf in den USA berichtet. Nachdem es in der 80 Jahren Salzmann, Herle und Steffny gelang jeweils einmal fünfter zu werden, sind die Aussichten auf einen deutschen Sieg so gut wie nie. Dabei trifft Irina auf eine erstaunlich selbstbewusste Deena Kastor (USA), die trotz ihres mäßigen Abschneidens beim New Yorker Halbmarathon im August sehr optimistisch ist, nach 18 Monaten Abstinenz von der Marathonstrecke wieder an das alte Leistungsniveau anzuknüpfen. Eine Prognose auf eine mögliche Siegerzeit war den Damen nicht zu entlocken, man zitierte immer wieder das Wetter und den Wind. Aber schon die Tatsache, dass die Frauen ohne speziell ausgewiesene Schrittmacher an den Start gehen, deutet daraufhin, dass der Streckenrekord von Paula Ratcliffe nicht in Gefahr gerät. Da aber nach dem gescheiterten Experiment im letzten Jahr wieder alle (!) Läufer zur gleichen Zeit an den Start gehen, sollten sich sicher starke Männer finden, die die Frauenspitze begleiten.
Die Jagd auf die Rekorde am Lake Michgan kann beginnen.
hw
Die bedeutendsten Eliteathleten:
Sammy Wanjiru (KEN) 2:05:10
Abderrahim Goumri (MAR) 2:05:30
Vincent Kipruto (KEN) 2:05:47
Tadese Tola (ETH) Debut
Irina Mikitenko (GER) 2:19:19
Deena Kastor (USA) 2:19:36
Berhane Adere (ETH) 2:20:42
Teyba Erkesso (ETH) 2:24:18
Lidiya Grigoryewa (RUS) 2:25:10