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2009

Fast exakt vor den legendären Chess-Studios in 2120 South Michigan Avenue begann diese an der 40 km Marke mit einem Schlussspurt, den es so in der Geschichte des Marathons noch nicht gegeben hat.

Die letzten 2195 Meter. Zwei neue Weltbestleistungen, und warum Irina Mikitenko den Chicago-Marathon 2009 nicht gewinnen konnte. Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Die letzten 2195 Meter sind jedem Läufer über die Marathondistanz nur zu vertraut. Es ist nicht mehr weit ins Ziel und mit weitgehend verbrauchten Reserven entscheidet insb. die Bewältigung des Finales über den Erfolg des gesamten Laufs. Das trifft für den Breitensportler in gleicher Weise zu wie für die Elite.

In diesem Zusammenhang sind die beeindruckenden Ereignisse vom vorletzten Wochenende von Chicago in Erinnerung zu rufen. Zwei Weltbestleistungen verbunden mit einem in der Tat außergewöhnlichen Resultat einer Frau sollen an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich gewürdigt werden.

Die erste der beiden Bestleistungen, die offiziell allerdings in keiner Liste geführt werden, erzielte die Russin Liliya Shobukhova im Schlussteil des Bank of America Chicago Marathons am 11. Oktober 2009. Fast exakt vor den legendären Chess-Studios in 2120 South Michigan Avenue begann diese an der 40 km Marke mit einem Schlussspurt, den es so in der Geschichte des Marathons noch nicht gegeben hat.

Dabei kam der Russin sicherlich ein sehr moderates Anfangstempo zu Gute (5 km 18:22, Halbmarathon 1:15:05), aber auch in Anbetracht dieses „Vorteils“ ist das Finale ohne Übertreibung als sensationell zu bezeichnen. Shobukhova lief in ihrem erst zweiten Marathon die letzten 2195 m in 6:36 und „pulverisierte“ geradezu die bisherige Bestmarke von Paula Radcliffe (GBR) von 6:56 bei ihrem Weltrekord von 2:15:25 beim London Marathon 2003. Während Paula die letzten 2 km in einem Kilometer-Schnitt von 3:10 spurtete, bedeutet die neue Bestmarke einen exakten 3 Minuten-Schnitt. Unglaublich!

Dies war der wesentliche Grund, weshalb unsere deutsche Favoritin Irina Mikitenko jenseits der 40 km den Kontakt zur Führenden verlor, obwohl sie mit 7:10 ebenfalls am Ende außergewöhnlich flott war und ihren Ruf als schnelle Frau auf den letzen Metern durchaus gerecht wurde. Nur Paula Radcliffe, Dire Tune und sie selbst waren bisher überhaupt jemals schneller den Schlusspart gelaufen.

Herbert Steffny, einer der letzten deutschen Marathonläufer internationaler Klasse und mittlerweile großartiger Co-Kommentator bei TV-Live-Übertragungen (so es diese noch gibt), hat auf seiner Homepage (www.herbertsteffny.de) die Dinge zum Teil statistisch gelistet, und nach dem Chicago Marathon ergeben sich aktuell in der ewigen Bestenliste die folgenden Spitzenpositionen bei den Frauen für das Marathonfinale:

6:36   Liliya Shobukhova (RUS)         Chicago 2009
6:56  Paula Radcliffe (GBR)            London 2003
6:57  Irina Mikitenko (GER)            Berlin 2008
7:07  Dire Tune (ETH)                    Boston 2008
7:07  Irina Mikitenko (GER)            London 2008
7:10  Paula Radcliffe (GBR)            Chicago 2002
7:10  Irinia Mikitenko (GER)           Chicago 2009

Hier ist also Irina auch bestens vertreten, nur war das Finish der Russin derart außergewöhnlich, dass der Lauf in Chicago von ihr nicht zu gewinnen war. Die überragende Qualität des Finales bei den Frauen in Chicago zeigt die Liste der besten Zeiten auf dem Schussabschnitt, in der Gesamtschau von Männern und Frauen. Und die zeigt, dass die beste Frau die letzten 2195 Meter schneller absolvierte als alle Männer (obgleich sie natürlich gut 20 Minuten nach dem Sieger ins Ziel kam).

Auch Irina und eine weitere Russin sind in der Liste bestens platziert. Ein in der Tat außergewöhnliches Resultat, dass es bei einem hochkarätigen Marathon vermutlich noch niemals gab. Dabei lässt sich allerdings das hohe Tempo der Siegerin in der Schlussphase durchaus nachvollziehen, wenn man sich die Leistungen von Shobukhova auf den Unterdistanzen ansieht. 14:23:75 über 5000m, erzielt erst im letzten Jahr, sind absolute Weltklasse.

Die besten Zeiten auf den letzten 2195 m beim Chicago Marathon 2009:

1. Liliya Shobukhova (RUS)    6:36
2. Adherrahim Goumri (MAR)  6:42
3. Sammy Wanjiru (KEN)        6:45
4. Vicent Kipruto (KEN)           6:52
5. Irina Mikitenko (GER)         7:10
6. Wesley Korir (KEN)             7:18
7. Charles Munyeki (KEN)       7:23
8. Patrick Rizzo (USA)            7.24
9. Lidiya Grigoryeva (RUS)      7:26
10. Richard Limo (KEN)           7:30

Auch ein Blick auf weitere bedeutende Marathonläufe des Jahres 2009 bestätigt, wie außergewöhnlich die 6:36 der Russin sind. Sie ist dabei hervorragend im Feld der besten männlichen Finisher platziert.

Berlin 2009
7:34 Haile Gebrselassie (ETH)

7:12 Francis Kiprop (KEN)
6:31 Negari Terfa (ETH)

London 2009
6:38 Sammy Wanjiru (KEN)

6:47 Tesgaye Kebede (ETH)

Boston 2009
7:18 Deriba Merga

Rotterdam 2009
6:33 Duncan Kibet (KEN)

Paris 2009 (keine Chipmessung bei 40km, Timecode Videostream)
6:12 Vincent Kipruto (KEN)

Um aber abschließend die Ehre der männlichen Mitstreiter zu retten, muss man zum einen berücksichtigen, dass diese zuvor Tempoläufe am absoluten Limit hinter sich hatten, und dass am gleichen Tag im niederländischen Eindhoven Geoffrey Mutai (KEN) die Weltbestleistung der Männer auf 6:05 schraubte.

Das sind etwa 2:46 pro km (nach bereits einem 5 km Abschnitt von 35 km nach 40 km in 14:22). Auch dies ist eine Fabelzeit, wie die ewige Bestenliste der Zeiten bei den Männern ausweist. Mutai scheint hier ein ausgesprochener Spezialist für schnelle Schlusskilometer zu sein.

6:05 Geoffrey Mutai (KEN)         Eindhoven 2009
6:10 Geoffrey Mutai (KEN)        Eindhoven 2008
6:10 Ronaldo da Costa (BRA)   Berlin 1998
6:12 Vincent Kipruto (KEN)        Paris 2009
6:14 Wilfred Kigen (KEN)          Frankfurt 2005
6:16 Martin Lel (KEN)               London 2008
6:17 Paul Tergat (KEN)             Berlin 2003
6:18 Sammy Korir (KEN)           Berlin 2003
6:18 Wilfred Kigen (KEN)          Frankfurt 2007
6:19 Haile Gebrselassie (ETH)   Berlin 2007

Fazit: Die beiden neuen Rekordler auf der Schlussdistanz dürften in künftigen Läufen nur schwer zu besiegen sein. Es sei denn, die Konkurrenz sieht ihre Chance in ausgeprägten Tempoläufen am Leistungslimit.

In Chicago hatte man diesbezüglich Liliya Shobukhova in die Hände gespielt, die Schlussfolgerungen für Irina und Co. sollten offensichtlich sein.

Helmut Winter

author: GRR

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