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2014

Kurz vor dem Start zum 37. Bank of America Chicago Marathon ©Helmut Winter

Die Gala-Show des Eliud Kipchoge – Anmerkungen zum 37. Bank of America Chicago-Marathon vom 12. Oktober 2014 – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Eine Rückschau in die Geschichte ist nicht selten aufschlussreich, sicher auch beim Chicago-Marathon.

Und da schauen wir zurück in das Jahr 2002, wo bei eisiger Kälte Paula Radcliffe mit 2:17:18 in neue Dimensionen des Frauen-Marathons lief und der große Paul Tergat in seinem zweiten Marathon in beachtlichen 2:06:18 „nur“ Vierter wurde (es siegte Weltrekordler Khannouchi in 2:05:56). Paulas Leistung ist bis heute Streckenrekord in Chicago und Paul war vor allem mit der Zeit hoch zufrieden.

Im Jahr 2014 „liefen“ die Dinge etwas anders und folgen scheinbar anderen Maßstäben. Einer der Superstars der Langstreckenszene und Multi-Weltrekordler und –Meisterschaftssieger, der Äthiopier Kenenisa Bekele, beendete den Lauf auf dem gleichen Platz wie Tergat in seinem gleichfalls zweiten Marathon in 2:05:51 und machte danach einen derart betrübten Eindruck, dass man schon das Ende seiner Marathonkarriere befürchten musste.

Dabei sollte dem äthiopischen Superstar nicht nur die Tatsache Auftrieb geben, dass Tergat schon ein Jahr später mit 2:04:55 in Berlin als erster Mensch die Barriere von 2:05 unterbot, sondern auch dass in Chicago eine ganze Kette von ungünstigen Randbedingungen sein „schlechtes“ Abschneiden förderten.

Dass im Übrigen der Angriff auf Paulas Fabelzeit durch die neue Halbmarathon-Weltrekordlerin Florence Kiplagat (KEN) gründlich daneben ging, hatte einen simplen Grund: Kiplagat ging schon leicht verletzt in das Rennen und war am Sonntag nie in der Lage eine Tempojagd zu realisieren. Da es für die zweite Favoritin im Frauenfeld, Rita Jeptoo (KEN), dann nur noch darum ging, den Sieg und damit das Preisgeld des Marathon Majors Jackpot zu sichern, wurden die hohen Erwartungen an den Lauf gründlich enttäuscht.

Das war statt Eliteliga der globalen Marathonszene bestenfalls zweitklassig. Kein weiteres Geld für einen Zeitbonus bei einer Zeit von 2:24:35 konnte die schnellste Marathonläuferin des Jahres 2013 und 2014 neben dem 500.000 US$ Jackpot und dem 100.000 US$ Siegerscheck locker verschmerzen. Die Kenianerin strahlte nach dem Lauf mit dem traumhaften Wetter um die Wette.

Diesbezüglich befand sich die Gefühlslage des Kenenisa Bekele am anderen Ende der Skala. Sicherlich trug der zum Teil recht scharfe Wind im Mittelteil des Rennens, der der „Windy City“ wieder alle Ehre machte, dazu bei, dass er deutlich hinter den 2:05:04 beim Debut in Paris zurückblieb. Aber das war – insbesondere auch in Hinblick auf den Sieg – nicht der wichtigste Grund.

Wenn sich Bekele in der Pressekonferenz über die Auswirkungen seines Jetlags beklagte, dann konnte man erst recht nicht nachvollziehen, warum er erst am Donnerstagabend in die USA einreiste. Bei der hohen Kompetenz in seinem Umfeld erscheint ein solches Verhalten kaum verständlich, hatte aber am Ende seine Folgen.

Nicht optimal war auch die Auswahl und die Arbeit der Tempomacher, deren Beitrag hinsichtlich einer Jagd auf den Streckenrekord von höchster Qualität (Kimetto 2013, 2:03:45) sehr wichtig wird. Es war sicher gut gemeint, seinen Bruder Tariku als Tempomacher bis zur Halbdistanz zu wählen, aber die fehlende Erfahrung konnte ein guter Wille nicht kompensieren.

Dies galt auch für die beiden anderen Tempogestalter, von denen der erst 18jährige Ghirmay Ghebreslassie (ERI) – bekannt in Deutschland durch seinen tollen Halbmarathon-Rekord vor einem Jahr beim Paderborner Osterlauf – nach 30 km zurücksteckte, aber in beachtlichen 2:09 beim ungeplanten Marathondebut durchlief.

Sicherlich war auch der Wind ein Faktor, aber beim Halbmarathon lag man mit 62:11 schon fast ½ Minute hinter der Marschtabelle zurück. Da war dann nicht nur die Jagd auf einen Weltrekord schon vorüber, wie die Grafik der projizierten Endzeiten als Funktion der Streckenlänge belegt. Dass hierbei auch ein wenig Pech im Spiel war, erklärt die Visum-bedingte späte Anreise des Marokkaners Al Falil, der im letzten Jahr bis 25 km einen einmaligen Job als Tempomacher gemacht hatte.

Erst am Samstagabend (!) war Falil endlich vor Ort, wurde aber deshalb nur für eine zweite Gruppe mit den japanischen Topläufern eingesetzt. Während an der Spitze ein Mann seiner Klasse dringend von Nöten gewesen wäre, brachen seine Japaner im Kollektiv ein und erreichten eher bescheidene Zeiten.

Wenn auch das Abschneiden Bekeles und das Ende einer einmaligen Serie von Verbesserungen des Streckenrekords der Männer in Chicago in den letzten Jahren die Stimmung etwas trübten, waren die Resultate bei den Männern erstklassig. Das war zum vor allem die Galavorstellung des Eliud Kipchoge, dessen Siegerzeit von 2:04:11 bei den windigen Verhältnis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden muss. Kipchoge hatte damit Bekele nicht nur nach 2003 auf der Bahn sondern nun auch auf der Straße besiegt.

Seine Leistung im Schlussteil des Laufs zeigte deutlich, dass der sympathische Kenianer endgültig im Marathon angekommen ist. Ohne Frage zählt er aktuell zu den stärksten Läufern der globalen Szene. Vielleicht sehen wir ihn mit großen Ambitionen im kommenden Jahr wieder in Berlin.

Es waren überforderte Tempomacher sowie ein vom Wind beeinflusster 5 km-Abschnitt von 25 km nach 30 km, der in nur 15:03 absolviert den Streckenrekord (2:03:45) kostete. Über welche Reserven Kipchoge am Ende verfügte, zeigte nicht nur sein mit einem Lächeln begleiteter Zwischenspurt auf dem 41. km, mit dem er sich von seinen Mitstreitern Sammy Kitwara und Dickson Chumba absetzen konnte. Dabei wurde im letzten Teil das Rennen ausgesprochen schnell, in tollen 29:06 lief er von 30 km nach 40 km.

Auch Kipchoges 6:18 Minuten von der 40 km-Marke bis ins Ziel sind in Chicago unerreicht und absolute Weltklasse in einem derartigen Regime von Endzeiten. Durch das schnelle Finale kam Kipchoge noch ganz dicht an seine Bestzeit von 2:04:05 heran, die er im letzten Jahr als Zweiter hinter Weltrekordler Wilson Kipsang in Berlin lief.

Sammy Kitwara wurde in ebenfalls glänzenden 2:04:28 Zweiter und ist damit nach dem Gesetz der Serie ein Aspirant auf den Sieg im kommenden Jahr: 2012 Vierter in Chicago in 2:05:54, 2013 Dritter in 2:05:16, 2014 in 2:04:28. Damit sollte er 2015 als Sieger den Streckenrekord brechen …

Dritter wurde in gleichfalls hochwertigen 2:04:32 Dickson Chumba, der damit seinen Sieg beim Tokyo-Marathon im Frühjahr eindrucksvoll bestätigte. In der Weltjahresbestenliste belegen die Herren damit die Plätze 3,4 und 6. Nur in Berlin war man in diesem Jahr noch schneller.

Drei Läufer unter 2:04:33 hatte es bisher noch nie in einem Lauf gegeben, was auch Konsequenzen im Kampf um die Spitzenpositionen der schnellsten Marathonkurse hat. Hier setzte der Chicago-Marathon nach vielen Jahren der wetterbedingten Rückschläge seinen Marsch in die Topregionen konsequent fort, mit einem Zehnermittel von 2:04:40 machte man einen Sprung von Platz 5 auf den zweiten Platz und liegt nun nur noch hinter dem Berlin-Marathon, der mit dem schier unfassbaren Mittel von 2:03:55 das Ranking deutlich anführt.

Die aktuelle Reihung nach dem Chicago-Marathon 2014:

1. Berlin 2:03:55
2. Chicago 2:04:40
3. Dubai 2:04:46,
4. Rotterdam 2:04:52
5. London 2:05:04
6. Boston 2:05:40*
7. Frankfurt 2:05:40
8. Amsterdam 2:06:00

Somit war der leistungssportliche Aspekt bei den Männern alles andere als enttäuschend, die Erwartungen sind allerdings heutzutage derart hoch und werden auch von den Veranstaltern zusätzlich geschürt. Chicago zeigte aber deutlich, dass der Umstieg von der Bahn auf den Marathon auch für Superstars wie Bekele kein Selbstläufer ist. Er wird sein Trainingskonzept überdenken müssen, das kaum angemessen erscheint, und seinen nächsten Marathon ohne die Gefahr eines Jetlags bestreiten.

Dubai oder ein anderer Frühjahrsmarathon in Europa lassen grüßen …

Eine Enttäuschung war in der Tat das Rennen der Frauen, wo nur die Siegerin Rita Jeptoo in der Schlussphase ein hohes Tempo zeigte. Bis nach 10 km war es sogar die Amerikanerin Amy Hastings, die die Fahrt bestimmte. Aber da war der Traum von einer Zeit in den Regionen einer Paula Radcliffe schon lange vorbei.

Selbst die wackeren „Hasen“ Simon Kosgei und Richard Kikalum konnten die Damen nicht motivieren, ein Tempo von 1:09 für die ersten Hälfte aufzunehmen. Als man dann mit 3 ½ Minuten Verspätung den Halbmarathon erreichte, war in der Tat nichts mehr drin. Statt an Zeitboni sollte man vielleicht auch einmal über Reduktionen des Preisgeldes jenseits gewisser Schwellen nachdenken.

Chicago ließ bei den Frauen einiges erwarten, am Ende gab es hier unerwartet schwache Resultate, die in der Liste der schnellsten Zeiten des Jahres 2014 nicht unter den ersten 20 Positionen rangieren.

Da war die Zahl der Finisher weitaus beeindruckender. Nach 2013 mit 38.879 Läufern im Ziel konnte man diese Zahl weiter auf 40.802 steigern und liegt damit hinter New York City gleichfalls auf Platz 2 eines weltweiten Rankings. Bemerkenswert ist sicher auch, dass nur 10 % der vorangemeldeten Läufer das Ziel im Grant Park nicht erreichten. Auch dies sind internationale Spitzenwerte.

Und einen Spitzenplatz wird man in Chicago auch in Sachen Sicherheitsmaßnahmen einnehmen. Der Grant Park glich wieder einem Hochsicherheitstrakt, Start und in gewissen Grenzen auch der Zieleinlauf erfolgten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In wieweit solche Prozeduren angemessen erscheinen, soll hier nicht bewertet werden, aber die Effekte sind schon durchschlagend: Insbesondere auf die Zuschauerzahlen, die sichtbar gegenüber den Vorjahren wegbrachen.

Wenn man da im Media Guide der Veranstaltung von „estimated on-course spectators = 1.7 million“ liest, dann liegen solche Zahlen – wie übrigens nicht nur in Chicago – jenseits aller Realitäten.

Die Zuschauer bleiben selbst den großen Marathonveranstaltungen zunehmend fern.

1,7 Millionen Zuschauer an einer 42195 m langen Stecke bedeuten 40 Personen pro m oder 12 pro Fuß. Solche Zahlen gab es bestenfalls an einigen besonders attraktiven Stellen der Strecke.

Ansonsten war bei einem Start am Sonntag um bereits 7:30 Uhr in der Frühe in weiten Bereichen wenig los, die tollen Stimmung insgesamt beeinträchtigte das aber nur wenig.

Helmut Winter

Ergebnisse der Männer

1.

Kipchoge, Eliud

KEN

2:04:11

2.

Kitwara, Sammy

KEN

2:04:28

3.

Chumba, Dickson

KEN

2:04:32

4.

Bekele, Kenenisa

ETH

2:05:51

5.

Koech, Bernard

KEN

2:08:30

6.

Ghebreslassie, Ghirmay

ERI

2:09:08

7.

Rutto, Lani

KEN

2:10:42

8.

Korir, Wesley

KEN

2:11:09

Inoffizielle Splits der Männer:

5 km

14:42

 

2:50, 2:54, 2:55, 2:56, 3:07

10 km

29:30

14:48

3:02, 2:54, 2:57, 2:57, 2:58

15 km

44:16

14:46

2:59, 2:50, 2:59, 2:59, 2:59

20 km

59:01

14:45

2:53, 2:56, 2:55, 2:58, 3:03

Halbmarathon

1:02:11

 

 

25 km

1:13:42

14:41

2:53, 2:54, 2;56, 2:58, 3:00

30 km

1:28:45

15:03

2:58, 3:02, 3:00, 2:59, 3:04

35 km

1:43:17

14:36

2:53, 2:56, 2:59, 2:49, 2:58

40 km

1:57:53

14:33

2:55, 2:57, 2:56, 2:54, 2:52

Marathon

2:04:11

6:18

2:50, 2:56, 0:33

Ergebnisse der Frauen:

1.

Jeptoo, Rita

KEN

2:24:35

2.

Dibaba, Mare

ETH

2:25:37

3.

Kiplagat, Florence

KEN

2:25:57

4.

Dibaba, Birhane

ETH

2:27:02

5.

Hastings, Amy

USA

2:27:03

6.

Santucci, Clara

USA

2:32:21

7.

Crouch, Sarah

USA

2:32:44

8.

Burka, Gelete

ETH

2:34:17

Offizielle Splits der Frauen:

5 km

17:12

 

10 km

34:22

17:10

15 km

51:42

17:20

20 km

1:08:57

17:15

Halbmarathon

1:12:35

 

25 km

1:25:52

16:55

30 km

1:43:27

17:35

35 km

2:00:45

17:18

40 km

2:17:22

16:37

Marathon

2:14:35

7:13

author: GRR

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