Blog
26
03
2009

Ein Jahrzehnt nervten die Deutschen aus West und Ost den olympischen Sport, dann hatte der die Faxen dick. Unter anderem um die Fahne (im Bild der Einzug 1956 in Melbourne) und die Hymne ging es in den jahrelangen Querelen um eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft. (Foto: AP)

Die deutschen Querelen – 60 Jahre BRD – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Den Mitgliedern der Delegation aus Ostberlin knurrte der Magen und überhaupt: Sie seien ermüdet von der Reise nach Kopenhagen, den Zeitpunkt für das Treffen mit den Herren vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und den Kollegen vom Olympiakomitee der "BRD" könnten sie deshalb nicht einhalten. Sigfrid Edström, der greise Präsident des Fünfringe-Zirkels, zeigte zunächst Verständnis für die Unpässlichkeit der Besucher und verschob den Sitzungsbeginn um zweieinhalb Stunden.

17.30 Uhr: Im Haus des dänischen Sports warteten Edström und die Deutschen/West immer noch, als eine Nachricht hereingereicht wurde. Mit den Deutschen/Ost dürfe nicht mehr gerechnet werden. Obwohl nur in 300 Meter Entfernung untergebracht, war Ulbrichts angeblich erschöpften Vasallen der Weg zu Edström zu weit – und die Sitzung geplatzt.

Wer begreifen möchte, warum die Deutschen in den Sechzigern zum größten Problem des olympischen Weltsports avancierten, sei an diese "Provokation von Kopenhagen" aus dem Februar 1952 erinnert. Sie stand am Anfang der sogenannten Querelles d`allemandes, des Streits der Deutschen aus West und Ost um die gemeinsamen Olympiamannschaften für 1960 und 1964.
 
Mehr als eine Dekade nervte er das IOC und die internationalen Sportverbände. 1965 freilich hatte der olympische Weltsport die Faxen dick und gewährte dem DDR-NOK die volle Anerkennung. Drei Jahre später kapitulierte das IOC vollends vor der politischen Realität des "Kalten Kriegs" und beschloss, 1972 beim Olympia in München der Existenz zweier deutscher Staaten ohne jegliche Einschränkung Rechnung zu tragen.

Das bedeutete: Auflösung des unnatürlichen Konstrukts gesamtdeutsches Olympiateam und Akzeptanz der staatlichen Insignien, Deutschlandlied, Becher-Hymne, Schwarzrotgold mit Bundesadler respektive mit Hammer und Zirkel. Die Herren der Ringe verspürten nun vor allem Erleichterung, die Politruks des DDR-Sports indessen nur: Triumph. Auf die allseitige Zurkenntnisnahme der Zweistaatlichkeit hatten sie schließlich schon seit 1952 hingearbeitet und erkannt: vor allem das sportliche Muskelspiel mit dem Ziel, im gesamtdeutschen Team personell die Oberhand zu gewinnen, taugt als Mittel zum Zweck – Annäherung an die vollständige Souveränität des Staates DDR.

Zurück ins Jahr 1952. Es war der Wunsch von IOC-Präsident Avery Brundage (USA), des Freunds der (West-)Deutschen und Gegners der Kommunisten, eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft für Oslo (Winterspiele 1952) und Helsinki (Sommer 1952) zusammenzustellen. Darum hätte es in Kopenhagen gehen sollen zwischen den bundesdeutschen Funktionären des vom IOC mit Wohlwollen in der olympischen Familie wieder aufgenommenen "NOK für Deutschland" und den Gegenspielern vom damals noch nicht anerkannten "Nationalen Olympischen Komitee der DDR".

Der Sitzungsboykott durchkreuzte Brundages Plan. Erst für die Spiele 1956, nach der provisorischen Anerkennung des DDR-NOK im Jahr 1955, wurde er verwirklicht. 1952 waren nur Sportler der Bundesrepublik bei Olympia willkommen.

 60 Jahre BRD – Die deutschen Querelen – Das widerlichste Kapitel des Nachkriegssports

Das 56er-Team stellten die beiden NOKs eigenverantwortlich und deshalb problemlos auf. Der große Knatsch unter den Deutschen ging los, als das IOC für 1960 und 1964 eine nicht nach Gutdünken zusammengestellte Mannschaft am Start sehen wollte, sondern eine "nach dem sportlichen Leistungsprinzip". Daraus wurden: die berühmt-berüchtigten Ost-West-Ausscheidungen zur Besetzung aller Olympiadisziplinen mit Qualifikationswettkämpfen jeweils in einer deutschen Stadt hüben und drüben, das wohl widerlichste Kapitel des Nachkriegssports.

Die Teamfindung artete in ein Ränkespiel sondergleichen aus. 1964 balgten sich die Funktionäre während 1000 Sitzungsstunden am grünen Tisch um Formalitäten. Und es waren die dialektisch überlegenen und vom Staatsratvorsitzenden Walter Ulbricht gesteuerten DDR-Funktionäre, die ihre bundesdeutschen Kollegen ein ums andere Mal über den Tisch zogen. Immer wieder schossen die Ostberliner im Feuerschutz politischer Kommentatoren quer.

Karl-Eduard von Schnitzler vom Staatssender der DDR, der den bundesdeutschen NOK-Präsidenten Willi Daume einen "Vollzugsbeamten" von Innenminister Höcherls nannte, polemisierte: "Die gesamtdeutsche Mannschaft besteht nur aus Verkleisterungen, Täuschungen, Illusionen und Verleugnungen der Realitäten." Während die Bundesdeutschen naiv der Idealvorstellung von einer unpolitischen Basis für die friedliche Koexistenz der Sportverbände nachhingen, ging es der DDR-Seite allein darum, den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik auszuhöhlen.

Die DDR-Seite bestand auf eigener Fahne ("Spalterflagge"), die Avery Brundage ebenso verhinderte wie die Ausklammerung von Sportlern aus Berlin/West, für die sie, nun einer Dreistaaten-Theorie folgend, ein eigenes NOK forderte. Das DDR-NOK saß meist am längeren Hebel. Nur die Nominierungsverweigerung für Republikflüchtlinge erreichte es nicht. Den während der Olympia-Qualifikation in Köln abgesprungenen Radsportler Jürgen Kissner versuchte die DDR zur Umkehr zu bewegen. Man holte seine Mutter nach Köln und ließ sie auf den Sohn einreden. Vergeblich.
 
Der 1963 aus Magdeburg in den Westen geflohene Kanu-Olympiasieger von 1960, Günter Perleberg, wurde zur Qualifikation in der DDR von Willi Daume begleitet. Daume damals: "Ich muss dem Jungen die Moral stärken und außerdem zeigen, dass ich vor den Verrückten keine Angst habe." Perleberg holte 1964 noch mal Silber.

Für die Spiele 1968 hieß es dann: Schluss mit dem Hickhack um die Nominierung. In die Arenen von Grenoble (Winter) und Mexiko City (Sommer) zogen aufgrund des 1965er-Beschlusses die "doppelten Deutschen". Erstmals getrennt, aber noch ein letztes Mal hinter gemeinsamer Flagge (Schwarzrotgold mit weißen Olympiaringen) und mit gleichermaßen gestaltetem Emblem auf dem Trikot. Und die Sieger lauschten noch mal der sogenannten Beethoven-Hymne (Ode an die Freude).

Die gesamtdeutsche Mannschaft sei ein "Triumph des Sports über die Politik" hatte Brundage 1964 gesagt. Vier Jahre nach Mexiko City musste er in München erkennen: Die Politik hat den Sport im Würgegriff und ließ ihn nie mehr los.

Antwerpen 1920/Paris 1924

Spätestens der Erste Weltkrieg machte die Olympischen Spiele politisch: Eigentlich war die Veranstaltung für 1916 an Berlin vergeben worden, doch das große Blutvergießen zwischen 1914 und 1918 machte die Pläne zunichte.

Die nächsten Spiele wurden 1920 im belgischen Antwerpen veranstaltet, von denen die Verliererstaaten des Ersten Weltkrieges – Deutschland, Österreich, Bulgarien, die Türkei und Ungarn – ausgeschlossen waren. Auch vier Jahre später in Paris durften deutsche Sportler nicht antreten.

Berlin 1936

Die Entscheidung, die Olympischen Spiele in Berlin (Sommer) und Garmisch-Partenkirchen (Winter) stattfinden zu lassen, fiel noch vor der Machtergreifung Adolf Hitlers und seiner Schergen. Die Vergabe bedeutete eine große internationale Aufwertung Deutschlands. Der Verlierer des Ersten Weltkrieges war, so die Botschaft, wieder in den Kreis der Völkergemeinschaft aufgenommen worden.

Mit Beginn des Nazi-Regimes setzte eine kraftvolle Bewegung gegen die Spiele in Deutschland ein: Eine Gegenolympiade wurde in Barcelona geplant, das US-amerikanische Nationale Olympische Komitee erwog einen Boykott, außerdem wurde auch im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) eine Verlegung der Spiele auf die Tagesordnung gesetzt.

Doch es kam anders: Die Gegenspiele wurden wegen Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges abgesagt, die amerikanischen Olympiafunktionäre stimmten knapp (58:56) für eine Teilnahme in Berlin – und das IOC glaubte den Nazis.

Denn Diktator Hitler gab sich lammfromm. Seine Regierung verpflichtete sich, die olympischen Regeln konsequent zu erfüllen und versprach freien Zugang für alle Rassen und Konfessionen in die Olympiamannschaften. In der Tat wurden während der Spiele Maßnahmen gegen Juden ausgesetzt, ein bekennender Kommunist war im deutschen Team, auch durfte beispielsweise das ekelhafte Hetzblatt Der Stürmer in Berlin nicht offen verkauft werden.

Die Spiele wurden ein Propaganda-Coup für Nazideutschland, Leni Riefenstahls verklärender Streifen "Fest der Völker" setzte dem Ganzen ein filmisches Monument.

Star der Olympischen Sommerspiele war zum Ärgernis der Nazis jedoch ein schwarzer Amerikaner: Jesse Owens gewann vier Goldmedaillien.

Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung, Montag, dem 16. März 2009

author: GRR

Comment
0

Leave a reply