Nur einmal stand er auf der »falschen« Seite: Im »Prager Frühling«, als er auf dem Wenzelsplatz von einem Panzer herab die sowjetischen Soldaten aufforderte, nach Hause zurückzukehren.
Die Buchvorstellung bei GRR: Laufen – Jean Echenoz – Roman – Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel – Berlin Verlag
Auf der ersten Nachkriegsolympiade in London holt er Gold für die CSR. Er wird zum Leutnant befördert. Vier Jahre später, in Helsinki, dreimal Gold. Die Welt jubelt ihm zu. Er hält acht Weltrekorde. Er wird zum Hauptmann befördert. Und läuft immer in Rot, der Farbe der proletarischen Revolution: Er ist zur Symbolfigur für den Erfolg des realen Sozialismus geworden.
Nur einmal stand er auf der »falschen« Seite: Im »Prager Frühling«, als er auf dem Wenzelsplatz von einem Panzer herab die sowjetischen Soldaten aufforderte, nach Hause zurückzukehren. Er wird für acht Jahre in ein Uranbergwerk verbannt, darf nach Prag zurück, aber wenn er, zur Müllabfuhr relegiert, hinter einem Karren durch die Vorortstraßen läuft, jubelt ihm die Bevölkerung immer noch zu …
Die atemberaubende Karriere des Langstreckenläufers Emil Zatopek ist zwischen zwei historische Daten gespannt: die Besetzung seiner Heimat 1939 durch die Deutschen und der Einmarsch der Russen 1968, der dem »Prager Frühling« ein Ende machte. Und wie nebenher gerät Echenoz der kleine Roman, den er aus Zatopeks Leben spinnt, zu einer bestürzenden Parabel der Diktatur.
Die Urlaubslektüre der Kanzlerin
»Es war also Zeit, in den Schweizer Bergen neue Gedanken zu schöpfen. Dort hat Angela Merkel getan, was sie gern tut. Sie hat gelesen. Meist liest sie Kluges, oft Sachbücher. Diesmal ist es ein Roman gewesen. Genauer gesagt ein biographischer Roman über Emil Zatopek, den tschechischen Wunderläufer. Nun könnte man auch da meinen: Na und? Doch zum einen hat Merkel den Roman mit Genuss gelesen, zum anderen gibt Zatopek mehr her, als man zunächst erwarten konnte.
Zatopek nämlich hieß nicht nur »die tschechische Lokomotive«, er war berühmt für seinen ebenso effizienten wie unorthodoxen Laufstil. Er rannte nicht wie andere Läufer, er lief und trainierte und gewann anders als alle seine Konkurrenten. Im Roman heißt es, sein Laufstil lasse zu wünschen übrig, aber er sei sein eigener Coach, trainiere mit schwerem Schuhwerk, hänge sich Gewichte ans Bein und habe den Endspurt erfunden.
Den Endspurt. Selbstverständlich hat der Kanzlerin dieses Buch ausnehmend gut gefallen.« Süddeutsche Zeitung, 16. Januar 2010