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05
11
2006

Grönemeyers Bekenntnis zum Sport ist weitaus tiefgründiger. Sport schafft einzigartige Glückserfahrungen.

Die Buchbesprechung von Dr. Detlef Kuhlmann: Dietrich Grönemeyer und Gregory Berns – Was „Lebenskunst“ und „satisfaction“ mit dem Laufen zu tun haben …

By GRR 0

Zugegeben – allein die Titel der beiden hier vorzustellenden Bücher lassen nicht unbedingt auf Anhieb vermuten, dass sie irgendetwas mit dem Laufen zu tun haben könnten. Und selbst wenn man eine wörtliche Verbindung wie etwa „Laufe mit Herz und Seele“ oder „satisfaction by running“ nachträglich herstellen würde, hört sich das immer noch irgendwie schräg an. Doch gemach … und erstmal der Reihe nach:

Dietrich Grönemeyer ist der Bruder von Herbert Grönemeyer. Dietrich Grönemeyer ist einer der bekanntesten Ärzte Deutschlands. Dieser Dietrich Grönemeyer hat jetzt ein Buch geschrieben. Es ist nicht sein erstes, aber ei-nes, in dem es auch immer mal wieder tatsächlich um Bewegung und Sport und an machen Stellen sogar um das Laufen geht. Grönemeyer will uns insgesamt aufzeigen, wie wichtig es ist für ein Leben „mit Herz und Seele“ sein kann, regelmäßiges Sporttreiben in seinen Alltag zu integrieren bzw. seinen Alltag zu einem bewegten Alltag werden zu lassen.

Seine „Sieben Haltungen zur Lebenskunst“ (so der Untertitel) geben dazu reichlich Einblicke und schildern auch immer wieder persönliche Eindrücke aus der eigenen Bewegungs- und Sportbiografie des heute 54-jährigen: „Ich war kein einfacher Schüler, aber ein guter Sportler“, blickt er auf seine eigene Schulsportzeit zurück.
Und ein paar Seiten weiter lesen wir dann, dass er im „Sport fast alles durchgemacht, was man so machen kann“.

Heute dagegen liegt neben den täglichen 20-minütigen Yoga-Übungen am Morgen wirklich sein Schwerpunkt beim moderaten Ausdauertraining: „Ich laufe zum Beispiel am Wochenende und täglich im Urlaub“. Dafür nennt er sogar gleich mehrere Gründe, einer davon liest sich so:
„In diesem meditativen Ruhezustand, der sich dann auf einmal in mir breit macht, kommen mir plötzlich die besten Gedanken. Viele Entscheidungen treffe ich beim Laufen“. Dies ist aber offensichtlich nur ein willkommener Nebeneffekt – denn:

Grönemeyers Bekenntnis zum Sport ist weitaus tiefgründiger. Sport schafft einzigartige Glückserfahrungen. Im Gegensatz zu Fun und Spaß, die mit schnellem Konsum und kurzfristigem Vergnügen einhergehen, ist Sport per se immer mit Anstrengungen und mit der Überwindung von selbst gesetzten Schwierigkeiten verbunden. Nur daraus resultiert die Freude an der eigenen Leistung, die hinterher von tiefer Befriedigung durchtränkt wird.
Davon ist jedenfalls in seiner dritten Lebenshaltung die Rede: „Freue dich am Leben und überwinde das Leiden“ lautet das Motto. Auf den Punkt gebracht ist daraus für die körperlich-seelische Verfasstheit eines jeden zu folgern: „Wer sich bewegt, kann etwas bewegen, innerlich und äußerlich“. Das regelmäßige Laufen kommt – wenn man so will – dabei als Prototyp dieser „beweglichen“ Lebenshaltung daher.
Damit kann übergeleitet werden zum zweiten Titel:

Gregory Berns

Gregory Berns ist Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung an der Emory University in Atlanta (USA). Sein Buch ist die ins Deutsche übersetzte englische Originalausgabe mit dem Titel “Satisfaction. The Science of Finding True Fulfillment“. Berns vermutet, dass irgendwo in den Windungen unseres Gehirns eine Region liegt, die Einfluss daran hat, wie wir handeln und wie gut wir uns dabei fühlen. Diese Region lebt primär von Herausforderungen und von neuen Erfahrungen.

Seine These, die quasi alle neun essayartig verfassten Kapitel durchzieht, lautet daher stark vereinfacht: dass wir eine wirklich befriedigende Erfahrung (auf gut Deutsch: satisfaction) eigentlich immer nur erst dann genießen können, wenn wir uns vorher in einem gewis-sen Maß angestrengt haben.
So unterscheidet er jedenfalls eine Stunde Fernsehen mit dem „fulfillment feeling“ nach einer Stunde Sport. Fast könn-te man meinen, Berns habe an dieser Stelle von Grönemeyer abgeschrieben … oder umgekehrt. Aber das wird mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht der Fall gewesen sein. Trotzdem kommen sich hier beide Autoren auf verblüffen-de Weise ganz nahe: Sport verbindet eben so oder so!

In dem Buch von Berns muss uns Läuferinnen und Läufer aber zu allererst das Kapitel sieben interessieren, das da überschrieben ist mir „Laufen wie auf Drogen“.
Moment mal: Hier geht es weder um die Zufuhr von Rauschmit-teln oder die Einnahme von verbotenen Dopingsubstanzen: Dopamin ist das Zauberwort von Berns, jene körpereigene chemische Verbindung, von der man früher annahm, dass sie eine Art Luststoff des Gehirns sei, weil sie während angenehmer Tätigkeiten ausgeschüttet wird, sei es beim Essen, beim Sex oder bei anderen „schönen“ Gelegenheiten. Berns verrät aber nun eine andere (seine) Erklärung für die Funktion von Dopamin, und zwar dahingehend, dass es uns auf eine bestimmte Handlung festlegt:
„Wenn das stimmt, dann gewinnen wir das Gefühl der Befriedigung weniger daraus, dass wir ein bestimmtes Ziel erreichen als dadurch, dass wir auf dem Weg dorthin Herauforderungen bewältigen“, schreibt er schon am Anfang.

Zurück und auf die Piste zum langen Lauf zur Befriedigung, dem in den USA wohl bekanntesten und ältesten Ultramarathon, dem „Western States 100 Miles Endurance run“, den Berns für seine Studien beobachtet und wo er sogar als Streckenposten bei Meile 93 mitgewirkt hat. Dieser 32-seitige Abschnitt im Buch ist nicht nur ein Streckenreport aus der Sicht der beiden Läuferinnen Janice Anderson und Ragan Petrie, mit denen der Autor Gespräche geführt hat; Berns unterfüttert den Text z. B. mit Ausflügen zum Flow als das Geheimnis des Glücks, wenn wir ganz in unserem Tun (also auch dem Laufen) aufgehen.

Berns greift ferner den Mythos um den Begriff Runner`s High auf, den man nach seinen Ausführungen auch so deuten kann: Ein Runner`s High – wenn es dieses Phänomen denn wirklich gibt – liegt dann vor, wenn einem das lange Laufen (plötzlich) nicht mehr weht tut. Berns erläutert schließlich einmal mehr den positiven Zusammenhang von körperlicher Aktivität auf das Gehirn – einfach und mit seinen Worten auf den Punkt gebracht: „Wie man es dreht und wendet, körperliche Betätigung ist gut für das Gehirn … weil sie die Neuronenbildung ankurbelt und das Gehirn buchstäblich umbaut“.

Und was ist mit den 75 % der Läuferinnen und Läufer, die tatsächlich das Ziel beim 100-Meilen-Lauf nach höchstens 30 Stunden erreicht haben: „Der Körper erholt sich wieder, doch ich glaube, die Veränderungen im Gehirn sind dauerhafter“, resümiert Berns einerseits eindeutig, andererseits vorsichtig. Die Suche nach Nahrung, um den Hunger nach Neuem zu stillen, geht also weiter – nicht nur, aber auch beim Laufen.
Im Buch von Bens übrigens auch in jenen Kapiteln, wo dann von Geld, gutem Essen, der Schmerzzufuhr im SM-Club und anderen Lüsten (sorry: Herausforderungen) reichlich die Rede ist.
Der Sound bleibt immer der gleiche … satisfaction!

Dr. Detlef Kuhlmann

Dietrich Grönemeyer: LEBE mit Herz und Seele. Sieben Haltungen zur Le-benskunst (Herder: Freiburg 2006; ISBN 3-451-29290-4; 219 S.; 16,90 EURO)

Gregory Berns: satisfaction. Warum nur Neues uns glücklich macht (Campus: Frankfurt 2006; ISBN 3-593-37910-4; 332 S.; 24,90 EURO)

Der Beitrag erschien auch in:
SPIRIDON 11/2006

author: GRR

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