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12
2011

Die BLAUE Kirche ©Horst Milde

Die Berliner Läufer-Predigt 2011 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche – Pfarrer i.R. Klaus Feierabend

By GRR 0

Am Sonnabend, dem 27. September 1985 fand das erste Ökumenische Abendgebet mit etwa 300 Besuchern in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg statt. Die Mitwirkenden waren Pfarrer Knut Soppa (Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche), Pfarrer Klaus Schimpf (ev.), Pfarrer Michael Töpel (r.-kath.), Paul Abram – British Military Chaplain (angl.) und Organist Hanns-Martin Lehning. Die Kollekte war bestimmt für die Erdbebenopfer in Mexiko.

Seit der Premiere von 1985 ist es eine schöne und eindrucksvolle Tradition des Berlin-Marathon jeweils am Vorabend des Marathon in der Kirche, die bis 2002 auch praktisch unweit des Zielstriches des Laufes am Kurfürstendamm liegt, dieses gemeinsameAbendgebet abzuhalten. Zu großer Popularität trugen auch die  Predigten von Pfarrer Klaus Feierabend bei – der selber aktiver Marathonläufer ist und die Jubilee-Startnummer 210 des Berlin-Marathon trägt – er nahm 21-mal erfolgreich am Berlin-Marathon teil.

Seine Predigten rissen die Besucher oft zu Beifallsstürmen hin und motivierten durch seine warmherzigen und verständnisvollen "läuferischen" Worte, die Kraft für nächsten Tag auf der "blauen Linie" gaben. Klaus Feierabend ist jetzt Pfarrer im Ruhestand, das Marathonlaufen musste er leider wegen Verletzungen beenden – aber im Geiste und im Worte ist er läuferisch immer noch dabei.

Die große Laufgemeinschaft dankt ihm, Pfarrer Knut Soppa als "Hausherrn", Pater Josef Schulte und der Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche für die jehrzehntelange Freundschaft  und Kooperation.

Horst Milde

 

Meine lieben und allermeist schon vertrauten Freunde in der Blauen Kirche!

 

Vom „Hirten der Schafe” soll heute die Rede sein: Jesus von Nazareth ist dieser Einzigartige. Und die Rede soll sein auch von uns, den Schafen … Oh je … was für welche wir wohl sind?! Schafe können sich sehr wohl voneinander unterscheiden. Erkennt man uns an den Köpfen, den Schafsköpfen? Oder hat der Liebe Gott Freude an uns, wenn er uns gelegentlich begegnet und wiedererkennt als die klugen Schafe seines Sohnes?! Jedenfalls sollten wir uns eher als „Schafskopf” bezeichnen lassen, denn als „Blödmann“. Im Evangelium Johannes steht es so: „Die Schafe hören seine Stimme. Und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie hinaus. Und wenn er alle Schafe hinausgelassen hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber folgen sie nicht, denn sie kennen die Stimme des Fremden nicht.“

Dazu will ich euch was erzählen. Euch, den Läuferinnen und Läufern des morgigen Marathons – und auch euch anderen, die ihr aus irgendeinem sicherlich … hallo! …besonderen Grund ebenfalls hier seid. Es soll sich ja für uns alle lohnen, heute Abend hier zu sein in unserer Läuferkirche, in der geliebten BLAUEN. Ihr bekommt etwas Wegzehrung mit für den „soundsovielten” Marathon oder für eure erstmaligen 42 Kilometer, die Zuschauer unter euch für den Lebenslauf insgesamt. Denn um diese Zuordnung dreht sich wieder alles heute Abend: Um die Bewegung zwischen „Läuferleben und Lebenslauf“.

Das biblische Bild vom Hirten und seinen Schafen ist nicht ohne Ecken und Kanten. Wenn man es wortwörtlich nimmt, wirkt es wie eine unzeitige Zumutung für die Freiheit des Christenmenschen. Wer möchte sich denn schon mit einem Schaf vergleichen lassen, welches nur dem Hirten folgen kann und keine Chance hat, Wege und Ziele des eigenen Lebens selbst zu bestimmen?! Und die eindeutigen Weisungen des Hirten immer nur abwarten zu müssen, das soll Auftrag und Ziel unseres Lebens sein?!

So wäre doch auch die Rolle des Hirten zu hinterfragen, ob er nicht etwas ganz anderes im Sinn haben sollte, als den blinden Gehorsam der Schafe einzufordern! Geht es nicht eher um ein Vertrauensverhältnis zwischen Hirte und Schafe? Dazu gehört ja auch eine gewisse Vertraulichkeit. Diese gefühlte Nähe ist nicht gleichzusetzen mit der plumpen Vertraulichkeit, welche von witzigen Zeitgenossen genüsslich gepflegt wird. Auf den Ruf „Der Herr ist mein Hirte” können die schon mal reagieren mit einem „Jut … jut .., aber dann soll er doch rüber kommen, wenn er wat will!“

So hörte ich es einmal in meiner „jottvollen” Tennisfreundschaft. Andererseits macht sich doch eher eine r e s p e k t volle Distanz zum unbekannten Gott bemerkbar, sie scheint mir typisch für unsere Zeit. Die massive Kritik, welche hörbar wird bei religiösen Themen, gilt auffallend häufig der verfassten Kirche und nicht der Religion schlechthin. Dabei spielt das Bild vom Hirten und den Schafen eine entlarvende Rolle: Die Kirche – so hören wir immer wieder – habe dieses Bild für ihre eigene Praxis einer totalen Machtentfaltung missbraucht.

Der Hirte hat alle Macht, die Schafe haben nichts zu bestellen. Weder suchen sie sich selber die Weidewiesen aus, noch bestimmen sie Zeitpunkt und Speisekarte. Alles bleibt geheime Kommandosache. Wann und wo und was und wie lange gefressen wird, ist von oben geregelt. Das erinnert mich an mein Ausbildungsvikariat an der Mosel vor über 50 Jahren, in Traben-Trabach, wo mein Superintendent und Chef – ich wohnte bei ihm und seiner sparsamen Frau – die Mahlzelten eröffnete und auch wenige Minuten später abschloss. Dann war auch für alle anderen am Tisch „Feierabend“, ohne Gong einfach Aus. „Ich hab noch Hunger“, sagte Ich einmal. Nehmen Sie sich davon was”, sprach die Frau Superintendent und wies auf den Korb mit Äpfeln, die schon wochenlang da drin lagen.

“Herr Vikar”, sagte eines Tages das Dienstmädchen aus dem Hunsrück, „der Herr Superintendent hat oben im Schlafzimmerschrank ein ganzes Essenslager.” Wir kicherten uns eins. Ja, so läuft eben die angemaßte Machtausübung, auch bei der Kirche. Sie hat sich offenkundig trickreich alle ihre Schränke oben gefüllt mit lauter Masken und Verkleidungshilfen und Machenschaften. Vorgespielt wurde die gottbegnadete Askese. Dem Volk der Gläubigen dagegen wurde die Rolle des Gehorsams auferlegt.

Es geht aber um ein Vertrauen auf Gegenseitigkeit. Das muss langsam und stetig aufgebaut werden, damit es gedeihen kann. „Nachhaltig” nennt man so was im schlechten Politiker-Deutsch. Das Erstaunliche: So etwas gibt es wirklich, das will ich zur Ehrenrettung meiner Kirche betonen. Das Urvertrauen jedoch zwischen dem Einen Hirten und seinen Schafen kann man n i c h t durch dauerhafte Bemühung beleben, es muss dir sozusagen zufließen. Eingeflüstert werden muss es dir, wie von der Mutter oder der Großmutter damals, die dir in den Schlaf halfen und deine Träume behüteten: „Kleiner Mensch, musst keine Angst haben, bist geborgen bei Gott und seinem guten Hirten.“ So wurde es uns – die wir so etwas Wundersames erfahren haben –, so wurde es uns möglich, auch unter den Menschen solche zu finden, die uns zu Hirten werden konnten. Und auch jene kamen uns zu Augen, denen w i r Hirten sein müssen und es gerne sind. Ja, auch DU bist ein Hirte zum Behüten von dir anvertrauten Menschen.

Es sprengt fast das Bild von Hirte und Schaf, aber es muss gesagt sein: Genau so, wie der Hirte sich seine Schafe erwählt, sei auch er erwählt durch seine Schafe. Das ist eine Wirkung der Freiheit im Glauben. Und so geht das: An der Stimme, am Klang der Stimme schon erkennt das Schaf den Hirten. Auf diese Fähigkeit vertraut jener und will sich darauf verlassen können: „Heute, wenn ihr seine Stimme h ö r e t d a s klingt fast flehentlich.

Aber ER erhofft unsere Reaktion nicht vergeblich. Aus tausend Geräuschen mitten in unserm Leben und jeder Menge falscher Töne können wir frequenzsicher die göttliche Stimme heraushören. Insofern erzählt das Grimmische Märchen von den Sieben Geißlein ein Menschheitsdrama von Biblischer Aussagekraft. Offenbar ist es den kleinen Geisslein – also uns – passiert, dass sie sich täuschen ließen. Ausgerechnet sie, die den Herzton der Mutterstimme in sich tragen, zeigten plötzlich eine traurige Herzton-Vergesslichkeit. Sie fielen auf die elendeste Imitation herein, die sich denken lässt: Der Ton ist da, aber keine Musik, kein Herz. Was fehlt, das ist der HERZTON.

Die Stimme klingt zwar vertraut, aber ihre Absicht ist tödlich. Kennt ihr das? Die Stimme des Wolfes. Wahrscheinlich tun wir den Wölfen damit Unrecht. Jedenfalls bemerkten die Geißlein zu spät ihren Irrtum. Aber passt auf: Es handelt sich nicht um einen einzelnen Zufall. Der Irrtum gehört zum Programm. Für uns bedeutet dies: Die Dinge sind offen, und unsere Suche nach Gott endet niemals mit der endgültigen Wahrheitsfindung, wir werden Suchende bleiben, solange wir leben.

Was ich jetzt sage, klingt gewagt: Wenn man die Wahl hat zwischen dem BESITZ DER WAHRHEIT und einer erzählten Geschichte vom SUCHEN NACH DER WAHRHEIT sollte man sich FÜR DIE GESCHICHTE entscheiden. Denn im vermeintlichen Besitz der Wahrheit wird jeder Mensch unleidlich, wird zum festgelegten Rechthaber, der nicht mehr zuhören kann und ohne Respekt ist vor all dem, was andere denken. Wer nun aber auf Geschichten hören kann von immer währender Sehnsucht nach Gott, der gewinnt als Suchender eine neue Freiheit. Wir sollten uns hüten vor denen, die IM NAMEN DER ABSOLUTEN WAHRHEIT auftreten. Wir wollen lieber hören auf jene, die von der Sehnsucht nach Gott erzählen können. Die Sehnsucht nach der Sehnsucht ist die einzige Sucht, die uns auf die Beine hilft.

Also auf auf, ihr erwartungsvollen Gelenke, der morgige Marathon ist nur eine Durchlaufstrecke. WIR BLEIBEN UNTERWEGS. Auf diese Aussicht hin kann auch der Atheist in uns AMEN sagen!

 

A M E N

Pfarrer i.R. Klaus Feierabend 

 

Segensgebet zum Marathonlauf 2011 – Pater Josef Schulte

 

Von Winston Churchill haben wir das Wort: „Lasst uns den geheimnisvollen
Rhythmus unseres Schicksals wiederfinden.

Lasst uns die Freuden genießen, ohne die Sorgen zu bejammern.

Die Herrlichkeit des Lichts gäbe es nicht ohne Schatten."
Den geheimnisvollen Rhythmus unseres Lebens wiederfinden!
Morgen es geht es darum, den geheimnisvollen Rhythmus
unseres Laufens zu finden und ihn wiederzufinden, wenn wir ihn verloren haben.


Morgen!

Nicht nur morgen, sondern immer geht es ums Leben:
Den geheimnisvollen Rhythmus im Laufen und im Leben wiederzufinden.

Dafür brauchen wir auch Gottes Segen!
So begleite und beschütze uns der allmächtige Gott
Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

A M E N

Pater Josef Schulte

 

OEKUMENISCHES ABENDGEBET zum 38. Berlin-Marathon  – ECUMENICAL EVENING PRAYER

Sonnabend, dem 24. September 2011, 20.30 Uhr

Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Breitscheidplatz, Berlin-Charlottenburg

Orgel: Helmut Hoeft: Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) – Alla Breve D-Dur
 

BEGRÜSSUNG / WELCOME
Pfarrer Knut Soppa (Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche)

Gemeinde:    Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren,
EG 316          lob ihn, o Seele, vereint mit den himmlischen Chören,

ANSPRACHE
Pfarrer Klaus Feierabend

ABKÜNDIGUNGEN
Gemeinde:    Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen
EG 266,         und wird vom Dunkel überweht.
1, 3 – 4         Am Morgen hast du Lob empfangen, zu dir steigt unser Nachtgebet.

GEBET    VATERUNSER

Gemeinde: EG 331 – Großer Gott, wir loben dich; Herr, wir preisen deine Stärke. Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke. Wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit.

SEGEN     Pater Joseph Schulte O.F.M.
              (Kath. Pfarramt Sankt Ludwig, Berlin-Wilmersdorf)

Orgel:      Max Reger (1873-1916)  Dankpsalm

Mitwirkende:
Pfarrer i.R. Klaus Feierabend
Pfarrer i.R. Knut Soppa
Pater Josef Schulte
Orgel: Helmut Hoeft

Die Kollekte ist bestimmt für die Arbeit mit behinderten Kindern im Haus Rheinsberg der Fürst-Donnersmarck-Stiftung

Wenn Sie Ihre Spende überweisen möchten, erbitten wir sie
auf unser Postbankkonto Nr. 122 76-105 (BLZ 100 100 10);
Stichwort: „Marathon-Gottesdienst".

 

Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin

 

Fürst-Donnersmarck-Stiftung

 

 

 

 

author: GRR

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