Jakob Ingebrigtsen - 2020 Tokyo Olympic Games Tokyo, Japan July 29-August 8, 2021 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com www.photorun.NET
Diamond League in Eugene: WM-Generalprobe in Track Town – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die erste Leichtathletik-Weltmeisterschaft in den USA steht kurz bevor. Jakob Ingebrigtsen ist schon voll da – Sha’Carri Richardson sucht nach der neuen Stärke.
Mit den olympischen Superlativen scheint Jakob Ingebrigtsen durch zu sein. Statt weiter, stärker und höher, besser und immer schneller, würde der Olympiasieger über 1500 Meter gern einer anderen Überbietungsmaxime folgen: immer mehr.
„Ich möchte die 800 Meter laufen und die 3000 Meter Hindernis und 1500 und 5000 und 10.000 und den Marathon“, behauptete er am Samstag: „Aber ich fürchte, das lässt der Zeitplan nicht zu.“ Wären für so eine Meisterschaft zwei Monate Zeit, fuhr er fort, dann vielleicht . . .
Generalprobe in Track Town USA
Ingebrigtsen wird genug zu tun haben in diesem Jahr, in dem sowohl Welt- als auch Europameisterschaften stattfinden, die eine im Juli in Eugene, die andere im August in München. Am Wochenende war Generalprobe in Track Town USA, wie die Amerikaner ihren traditionsreichen Leichtathletik-Standort nennen.
Eigentlich hätte die WM im vergangenen Jahr den Rahmen für die Geburtstagsfeier zum Fünfzigsten des Sportartikelriesen Nike bilden sollen. 1971 boten Bill Bowerman and Phil Knight erstmals Schuhe im Namen der griechischen Siegesgöttin an, in Eugene.
Heute setzt ihr Unternehmen mehr als 35 Milliarden Euro um. Knight, einst Student und Läufer in Eugene, war einer der großzügigsten Spender für den spektakulären Neubau des Stadiums Hayward Field. Wegen der Verschiebung der Olympischen Spiele von Tokio durch die Pandemie von 2020 auf 2021 findet die WM ein Jahr später als geplant statt.
Ingebrigtsen souverän
Die erste Leichtathletik-Weltmeisterschaft in den Vereinigten Staaten bringt nicht nur Ingebrigtsen auf die Beine. Bei der Hallen-Weltmeisterschaft von Belgrad im März über 1500 Meter von Samuel Tefera aus Äthiopien geschlagen, hat der Olympiasieger fünf Wochen Höhentraining in den Rocky Mountains hinter sich und wird nun seine WM-Vorbereitung in Norwegen fortsetzen.
Das Rennen über die Meile entschied er mit einer souveränen Tempoverschärfung zu Beginn der letzten Runde (3:49,76 Minuten); im Juli will er die Titel über 1500 und 5000 Meter gewinnen.
Richardson kehrt zurück
Zurück sind nach langer Abwesenheit auch Sha’Carri Richardson und Michael Norman. Die amerikanische Sprinterin war, nachdem sie im vergangenen Jahr die Trials gewann, disqualifiziert worden, weil bei einer Dopingkontrolle Marihuana nachgewiesen wurde. Sie wurde für einen Monat gesperrt und verpasste die Olympischen Spiele
Beim Comeback in Eugene im Herbst wurde die 21-jährige Letzte über hundert Meter in 11,14 Sekunden. Im Netz zirkulierte das Video eines Interviews, in dem sie tönte, dies bedeute nichts; sie werde stärker zurückkommen denn je. Hinter ihr spaziert währenddessen die jamaikanische Olympiasiegerin Shelly-Ann Fraser-Pryce durchs Bild, herzlich lachend.
Diese siegte am Samstag über 200 Meter in 22,41 Sekunden. Es blieb der fünfmaligen Olympiasiegerin Elaine Thompson-Herah überlassen, auch sie aus Jamaika, Sha’Carri Richardson zu besiegen. Über 100 Meter war sie nach 10,79 Sekunden im Ziel, deutlich vor Richardson (10,92). Diese verweigerte jeden Kommentar und damit auch eine Erklärung für ihren überraschenden Startverzicht bei gleich drei Rennen in diesem Jahr, für die sie sich gemeldet hatte.
Norman so schnell wie lange nicht
Norman, der als eines der größten Talente der amerikanische Leichtathletik gilt, der über 100 Meter eine Bestzeit von 9,86 Sekunden hat und über 400 Meter eine von 43,45, lief bei seiner Rückkehr zu alter Stärke so schnell wie noch nie jemand in einem Rennen der Diamond League: 43,60 Sekunden über 400 Meter. So schnell war er seit drei Jahren nicht mehr.
Jahre, in denen er den Endlauf der WM 2019 von Doha verpasste und in denen er Fünfter der Olympischen Spiele wurde – offenbar nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. In diesem Jahr, bei der WM am Gründungsort seines Sponsors, will er mit 24 Jahren endlich seine und seines Publikums Erwartungen erfüllen.
Dafür hat er sich, wie nicht nur sein muskelstrotzender Körper signalisiert, sehr gequält. „Mein Motto in diesem Jahr ist gewesen, dass es, wenn ich mich wohlfühle, zu leicht ist – beim Krafttraining und auf der Bahn“, sagte er am Samstag. Es gebe noch viel zu verbessern.
„Wer mich im gesamten vergangenen Jahr hat rennen sehen, hat bemerkt, dass ich offensichtlich Mühe hatte, meinen Rhythmus zu finden“, sagte er: „Ich hatte irgendwie das Gefühl dafür verloren, wie man ein Rennen läuft.“ Damit dies bei der WM anders ist, geht’s nach der gelungenen Probe zurück ins Training.
Deutsche Bestzeit für Klosterhalfen
Konstanze Klosterhalfen aus Königswinter lief beim Weltrekordversuch von Francine Niyonsaba aus Burundi über zwei Meilen am Freitagabend in Eugene (8:59,08 Minuten) in 9:18,16 Minuten auf Platz vier zu neuer deutscher Bestzeit; Rekorde werden auf dieser Distanz nicht geführt.
Die Weltmeisterschaftsdritte von Doha 2019 über 5000 Meter, die in einer Profigruppe von Nike in Oregon lebt und trainiert, dürfte mit Interesse verfolgt haben, wie ihre deutschen Mannschaftskameradinnen und Konkurrentinnen beim 10.000-Meter-Europacup die Mannschaftswertung gewannen.
In der Einzelwertung kamen Alina Reh (31:39,86 Minuten) und Katharina Steinruck (32:03,88) auf die Plätze zwei und drei hinter der aus Kenia stammenden Türkin Yasemin Can (31:20,18); Eva Dieterich wurde Zehnte (32:25,70).
Ihnen folgten in der Teamwertung die Türkei und Großbritannien. Die deutsche Marathonmeisterin Domenika Mayer war nach 33:00,29 Minuten im Ziel
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 30. Mai 2022