Michael Reinsch: Deutscher Sport: Athleten machen sich selbständig ©Horst Milde
Deutscher Sport: Athleten machen sich selbständig – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
„Überrumpelt, ausgeschmiert und ignoriert“ – so beschreibt Paralympics-Siegerin Manuela Schmermund die Rolle der Athleten im Spitzensport. „So wie es läuft, ist es nicht richtig“, sagt die Luftgewehrschützin. „Mich erfasst Müdigkeit, Enttäuschung und Wut.“
Den Sprecherinnen und Sprechern der Athleten, wie es Martina Strutz für die Leichtathleten in Deutschland ist und Manuela Schmermund für die des Deutschen Behindertensport-Verbandes, wird ihre Machtlosigkeit immer wieder vor Augen geführt.
Noch vor den Spielen von Rio beklagten die Vorsitzenden der Athletenkommissionen von Internationalem Olympischem Komitee (IOC) und Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), Claudia Bokel und Beckie Scott: „Mindestens ein Teil des Systems hat sich als verkommen erwiesen.“
Hunderte Sportlerinnen und Sportler hätten sich direkt an sie gewandt, schrieben Claudia Bokel und Beckie Scott und forderten Ermittlungen unabhängig vom Sport, „weil das Vertrauen der Athleten in das Anti-Doping-System, in die Wada und ins IOC zerschmettert ist“.
Die Folge des Misstrauensvotums: nichts. Claudia Bokel ist turnusgemäß aus dem IOC ausgeschieden.
Jedem falle auf, dass etwas faul sei im internationalen Spitzensport, sagt Manuela Schmermund.
Die Reputation sinke. „Ich erwarte, dass irgendwann die Blase platzt beim IOC.“ Auch Martina Strutz spürt den Ansehensverlust des Sports. „Es ist absolut unumgänglich, dass wir hauptamtlich vertreten werden“, sagt sie. „Da müssen Leute hin, die Sport gemacht haben und sich politisch auskennen.“
Um ihrer Stimme mehr Gewicht zu verleihen, wird die Vollversammlung der Athletenvertreter am Sonntag in einer Woche den eingetragenen Verein Athleten Deutschland gründen oder zumindest dessen Gründung beschließen – eine Organisation, für die sie sorgfältig die Bezeichnung Gewerkschaft vermeiden.
Der e.V. soll ein Büro erhalten sowie eine hauptamtliche Geschäftsführung und einen hauptamtlichen Pressesprecher. Damit will die Athletenkommission, die bislang von einer Halbtagskraft des Deutschen Olympischen Sportbundes unterstützt wurde, selbständig und professionell arbeiten.
Fecht-Europameister Max Hartung und die Wildwasser-Kanutin Silke Kassner, die Vorsitzenden der Athletenkommission, haben bereits Anfang des Jahres konstatiert, dass diese ihren Aufgaben nicht mehr gerecht werden könne. Das reicht von der Überforderung allein beim Aktenstudium bis zu mangelndem politischem Einfluss.
Wie es dazu kam, dass die beiden Abgeordnete des Deutschen Bundestages für ihre Ideen gewinnen konnten, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Athleten, die in den Arenen der Welt Deutschland vertreten, behandelt werden.
Hartung hatte im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bekannt, dass man das Geld, mit dem die Bundeswehr staatliche Sportförderung betreibe, intelligenter und fairer einsetzen könne. Daraufhin schloss die Bundeswehr Hartung zunächst von einer Reserveübung aus, die er zur Vorbereitung auf die Fecht-Weltmeisterschaft nutzen wollte. Diese Abstrafung nahm der Sportausschuss zum Anlass, die Athletenvertreter nach Berlin einzuladen.
„Dies wollen wir auch finanziell unterstützen“
Hartung und Kassner nutzten die Gelegenheit, darzustellen, dass auch die Bundeswehr, die für Spitzensportler 744 Planstellen zur Verfügung stellt, eine Perspektive über den Sport hinaus bieten sollte. Sie machten auch deutlich, dass es dringend eines Berufsbildes „Spitzensportler“ mit existentieller Absicherung bedürfe.
Athleten sind weder Arbeitnehmer noch Selbständige, leben trotz Doppelbelastung durch Training und Wettkämpfe sowie Berufsausbildung oder Studium – ganz zu schweigen von Athletenvertretung – nicht selten am Existenzminimum und tragen allein das gesundheitliche und wirtschaftliche Risiko einer Karriere im Spitzensport.
Die Bundeswehr reagierte und eröffnet Spitzensportlern eine Perspektive als Sportwissenschaftler oder Trainer. Mehrere Abgeordnete sprachen sich dafür aus, Top-Athleten mit Krankenversicherung und Zahlung in die Rentenversicherung zu unterstützen.
Die CSU-Abgeordnete Gudrun Zollner, Mitglied des Sportausschusses, versprach, die Neuordnung des Spitzensports für Verbesserungen im Sinne der Athleten zu nutzen. „Für das Gelingen dieses Reformprozesses halten wir (…) eine unabhängige sowie hauptamtlich geführte Athletenvertretung für unverzichtbar“, sagte sie im Juni im Plenum. „Dies wollen wir auch finanziell unterstützen.“
Die Athletenvertreter können nur hoffen, dass dies keine Einzelstimme, sondern die sportpolitische Haltung der Union ist. Denn die Abgeordnete Zollner ist nicht wieder in den Bundestag gewählt worden. Doch auf den internationalen Spitzensport können sich die Athleten Deutschlands in dieser Hinsicht verlassen.
Sportfunktionäre wie Nuzman und Co. machen mit ihrem Treiben deutlich, dass die Interessen der Athleten dringend unterstützt werden müssen.