Alle Teams, die in Spandau antreten, sind auf Einladung der Bundesregierung zwei Wochen vor der Weltmeisterschaft nach Deutschland gekommen, um sich vorzubereiten. Weil er in Spandau zum ersten Mal auf einer Kunststoffbahn trainieren konnte, hat der Sprinter Sibusio Matsenjwa aus Swasiland seine Bestzeit um mehr als eine halbe Sekunde auf 10,88 Sekunden verbessert.
Deutsche Tugenden für Afrika – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
13. August 2009 Muzi Mabuza lacht leise über das Durcheinander beim Start. Eine Handvoll Kampfrichter will die Läufer des 5000- und des 10.000-Meter-Laufs gleichzeitig ins Rennen schicken, aber nicht gemeinsam. Zwei Starter, die zweihundert Meter auseinander stehen, versuchen gleichzeitig ihre Startpistolen abzufeuern.
Das klappt nicht. Beim nächsten Versuch bleibt die eine Gruppe stehen, weil sie nicht weiß, dass der Schuss vom anderen Ende des Platzes auch für sie gilt. „Typisch afrikanisch“, amüsiert sich Mabuza. „Diese Organisation!“
Mabuza ist Nationaltrainer von Swasiland, und er besucht mit seinem Team ein Sportfest im Stadion Hakenfelde von Berlin-Spandau. Zwischen reetgedeckten Hütten und einem Holzhaus mit Uhrenturm sind fünfzehn Teams zusammengekommen, die allesamt an der Leichtathletik-Weltmeisterschaft teilnehmen werden. Mabuzas Mannschaft besteht aus einer Läuferin und einem Läufer und hat große Ziele. „Bisher haben wir als Quotenland teilgenommen“, sagt der Afrikaner, eingeladen vom Weltverband, unabhängig von der Leistung. „Wir wollen als qualifizierte Athleten starten.“
Mabuza ist bestens gerüstet für seine Ziele. Er hat deutsche Tugenden geradezu studiert. Zwar gibt es im kleinen Königreich Swasiland keine einzige Leichtathletik-Anlage, und den Fußballplatz von Lobamba, der Hauptstadt, dürfen die Leichtathleten nicht benutzen. „Deshalb konzentrieren wir uns aufs Laufen“, sagt Mabuza. „Das kann man überall.“
Der Verband zahlt den vier größten Talenten des Landes die Schule, auf dass sie regelmäßig trainieren können. Mabuza ist vor zwei Jahren in Mainz auf die Trainerschule des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gegangen, hat Deutsch gelernt und weiß jetzt, wie es aufwärts geht. „Du brauchst einen strukturierten Plan“, sagt er auf Deutsch, „du brauchst eine strukturierte Herangehensweise und einen strukturierten Trainerstab.“
Ein Vorbild hat er auch: Sambia. Dessen Nationaltrainer Jonathan Chipalo war fünf Jahre vor Mabuza in Mainz. Seine Ausbildung trägt Früchte. Rachael Nachula, eine 400-Meter-Läuferin, erreichte bei den Olympischen Spielen von Peking im vergangenen Jahr das Halbfinale. „Sanya Richards wurde Erste, ich Achte“, erzählt sie von ihrem letzten Lauf im „Vogelnest“. „Sie ist mein Vorbild.“
Und auch Rachael Nachula ist ein Vorbild. Vom Welt-Leichtathletikverband (IAAF) hat sie ein Stipendium für das Hochleistungszentrum auf Mauritius erhalten. Zwar bekommt die Neunzehnjährige dort keine Schulbildung, aber sie hat sich bereits auf eine persönliche Bestzeit von 51,39 Sekunden verbessert. Das ist zwar knapp zwei Sekunden von der Jahresbestzeit ihres Vorbilds entfernt, aber nur zwei Zehntelsekunden von der der Olympiasiegerin Christine Ohuruogu. Und ein Star ist sie damit längst in ihrer Heimat.
„Es ist ein tolles Gefühl, wenn die jungen Leute kommen und sagen: Wir wollen so sein wie du“, erzählt Rachael Nachula. „Das Wichtigste, antworte ich, ist Disziplin. Damit erreicht ihr alles. Talent haben viele, aber ohne Disziplin erreichen sie nichts.“ Um einen Schulplatz will sie nach der WM kämpfen.
800.000 Euro Fördergeld
Alle Teams, die in Spandau antreten, sind auf Einladung der Bundesregierung zwei Wochen vor der Weltmeisterschaft nach Deutschland gekommen, um sich vorzubereiten. Weil er in Spandau zum ersten Mal auf einer Kunststoffbahn trainieren konnte, hat der Sprinter Sibusio Matsenjwa aus Swasiland seine Bestzeit um mehr als eine halbe Sekunde auf 10,88 Sekunden verbessert. Bei der WM, die am Samstag mit seinem Vorlauf beginnt, will er noch schneller rennen. Mit dem Erfolg kommen Spaß und Anerkennung, wachsen Ehrgeiz und – ja, Disziplin. „Als ich zum ersten Mal mein Land vertreten durfte, habe ich mit dem Fußballspielen aufgehört und richtig mit dem Training angefangen“, sagt Rachael Nachula.
Rund 800.000 Euro haben das Auswärtige Amt und das Organisationskomitee der WM (BOC) aufgewandt, um 205 Athleten und 25 Betreuern Camps in Spandau und Oberhaching, in Nürtingen und Neubrandenburg, alles in allem an 14 Orten in Deutschland, zu ermöglichen. In dieser Woche ziehen sie in die WM-Hotels in Berlin. „Der Sport schafft Dinge, die die Politik nicht hinkriegt“, sagt Ralph Mouchbahani, der im BOC für das Projekt zuständig ist.
Siebzig Prozent der 213 Mitgliedsländer der IAAF seien Entwicklungsländer; mehr als die Hälfte dieser 150 hat Deutschland eingeladen. Zu den Bedingungen gehörten ein Konzept und die Betreuung der Mannschaft durch einen Trainer, der in Mainz oder Leipzig ausgebildet wurde – auch das Entwicklungshilfeprojekte von deutschem Sport und deutscher Regierung – oder vom Weltverband. „Urlaub bezahlen wir nicht“, hieß die Devise. 34 Länder nehmen die Einladung an.
Sport als Überlebenshilfe
Strukturen, Organisation und Effektivität exportiere der deutsche Sport durch Trainerausbildung und mit Projekten vor allem in Afrika. „Ehrgeiz, Konsequenz und Leistungsbereitschaft übertragen sich so auf die Gesellschaft“, sagt Mouchbahani, der als Sprint-Bundestrainer in Deutschland und als Sport-Entwicklungshelfer auf allen Kontinenten gearbeitet hat. Dann sagt er dasselbe wie Rachael: „Pünktlichkeit und Disziplin.“
In Ländern wie Swasiland kann Sport so zu einer Überlebenshilfe werden. Jeder zweite Erwachsene dort ist mit dem HI-Virus infiziert, die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt weniger als 35 Jahre. „Wenn die jungen Leute ihre Energie nicht für irgendwas einsetzen können, nutzen sie sie für irgendwas“, sagt der Lehrer und Trainer Muzi Mabuza lächelnd. „Wenn du trainierst, lernst du deinen Körper schätzen.
Du weißt, dass du ihn gesund erhalten musst.“ In Mainz hat der Dreißigjährige gelernt, dass Sport auch älteren Erwachsenen hilft. In der Laufgruppe an seiner Schule joggt er inzwischen mit zwanzig Lehrern. „Wir brauchen Sportanlagen“, sagt er. „Wenn wir sie haben, geht es mit der Gesundheit aufwärts und mit den Aids-Infektionen runter.“
Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 13. August 2009