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23
02
2009

Zumindest gaben die deutschen Hallen-Meisterschaften am Wochenende in Leipzig Hoffnung aus sportlicher Sicht.

Deutsche Hallenmeisterschaften in Leipzig – Rucksack für die Leichtathleten – Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost

By GRR 0

Die deutsche Leichtathletik hat schwer zu tragen. Eike Emrich, der Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), spricht von einem "kleinen unsichtbaren Rucksack", den man nach dem historischen Tief mit nur einer Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking mit sich herumtrage.
– Er bezieht sich dabei nur auf den sportlichen Part.

Doch die Last ist viel schwerer: das Hickhack um den dopingbelasteten Trainer Werner Goldmann aus Berlin und die mangelnde Aufarbeitung von Doping im gesamten Sport in den einst zwei Teilen Deutschlands, Kritik an der Vermarktung für die WM im kommenden August in Berlin, der Tod von 800-m-Läufer Rene Herms, der an einer Herzmuskelentzündung starb, Einlassungen des DLV-Ehrenpräsidenten Helmut Digel, der die Sportart insgesamt am Abgrund wähnt ("Die Leichtathletik scheint sich im Prozess der Selbstauflösung zu befinden") – die Zeiten sind schwierig, die Schlagzeilen selten positiv.

Zumindest gaben die deutschen Hallen-Meisterschaften am Wochenende in Leipzig Hoffnung aus sportlicher Sicht. Es gab viele Normerfüllungen für die Hallen-EM vom 6. bis 8. März in Turin, zu der der DLV fast 40 Athleten schicken will. Aus Berlin haben bisher Carsten Schlangen (Zweiter über 1500 m), Meike Kröger (Zweite im Hochsprung) und Mehrkämpfer Andre Niklaus ihren Platz im Team sicher.

Junge, noch weniger bekannte Sportler holten Titel wie Denise Hinrichs (20 Jahre/Kugelstoßen), Stefan Schwab (21/60 Meter) und Sebastian Bayer (22), der mit 8,13 m den Weitsprung gewann. Oder im Stabhochsprung die hinter dem 31-jährigen Danny Ecker zweit- und drittplatzierten Alexander Straub (25) und Malte Mohr (22).
Silke Spiegelburg stellte gestern mit 4,71 m einen deutschen Rekord auf. Ariane Friedrich übersprang locker 2,00 m, scheiterte knapp an 2,06 m. Raul Spank, der Olympiafünfte im Hochsprung, überquerte 2,28 m, riss 2,33 m knapp.

Bei einem anderen Problem bewegt sich momentan jedoch wenig. Im Fall des dopingbelasteten und vom DLV gekündigten Goldmann werden sich nach dem geplatzten Gütetermin vor Gericht die Parteien zwar wohl bald zu einem weiteren Gespräch treffen. Die Situation ist aber verfahren. "Ich hoffe, die entscheidenden Gremien finden Wege, wie wir das aufarbeiten können, ohne dass es zu Beschädigungen von Leuten kommt, die aus meiner Sicht 18 Jahre lang saubere Arbeit geleistet haben", sagt Herbert Czingon, einer der beiden Leitenden Bundestrainer. Ein frommer Wunsch. Denn die Doping-Vergangenheit – in Ost wie West – wurde nie richtig aufgearbeitet. Und dies ist wahrlich nicht allein mit der Personalie Goldmann zu leisten. Czingon: "Das kann nur Auslöser für eine Aufarbeitung sein."

In Teamsitzungen des Nationalkaders kam die ganze Problematik bisher überhaupt nicht zur Sprache. Was zum Beispiel Kugelstoß-Europameister Ralf Bartels sehr wundert: "Wie steht denn der Verband dazu?" Bartels beklagte in Leipzig erneut "Hetze nur gegen ostdeutsche Trainer". Der 31-Jährige holte auch gleich zu einem Rundumschlag aus. So zweifelte er an, dass einst in der DDR Sportler wirklich nicht gewusst hätten, dass ihnen verbotene Mittel verabreicht wurden. "Ehemals haben sie sich in den Erfolgen gesonnt, jetzt stellen sie sich hin und sagen: Wir sind Opfer." Teilweise war starker Tobak von ihm zu hören. Aber eine Lösung hatte auch er nicht parat. "Totschweigen? Generalamnestie? Ich weiß es nicht."

Der Rucksack, den der deutsche Sport trägt, ist noch sehr schwer.

Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost, Montag, dem 23. Februar 2009

author: GRR

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