Doping: \"Im Osten staatlich angeordnet und im Westen staatlich geduldet\"
Deutsche Doping-Diskussion – Hauptsache Sport? Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
10. Februar 2009 Wenn die anderen dopen, warum sollen wir sie dann nicht allein vorneweg laufen lassen? Weil wir dann hinterherlaufen. „Ich würde klar sagen: Wir als Gesellschaft halten das nicht aus“, sagt Werner E. Klatten, der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Die Deutschen hätten ein Problem, wenn ihre Athleten ständig hintere Plätze belegten? Vermutlich ist das so.
Schon bei den Olympischen Spielen in Peking, wo die deutschen Leichtathleten nur eine einzige Bronzemedaille gewannen, warnte der ehemalige Leichtathletik-Präsident Helmut Digel, dies werde als nationale Katastrophe wahrgenommen.
Die Literatur-Professorin Ines Geipel, eine ehemalige Sprinterin, regt zu dem Gedankenspiel an, sich auch mal nicht mit anderen messen zu wollen. Sie schlägt vor, das Thema Doping nicht allein mit der Vergangenheit und ihren bekannten und unbekannten Skandalen zu koppeln. Vielmehr solle der Sport sich vornehmen, seine Athleten zu schützen. „Wenn etwas hilft, dann ist es der Abschied von der Leistungsmanie“, rät sie.
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Danckerts Plädoyer für einen Schlussstrich – Sporthilfe-Chef Werner E. Klatten: „Wir als Gesellschaft halten das nicht aus”
So weit wollte es niemand kommen lassen, als Peter Danckert, der Vorsitzende des Sportausschusses des Bundestages, in Berlin zur Diskussion des ewigen Problems des Spitzensportes lud. Er forderte am Montag anlässlich der Präsentation seines Buches „Kraftmaschine Parlament“ lediglich einen sauberen Neustart. Dafür allerdings müssten mindestens dreißig Jahre Sport aufgearbeitet werden.
Mit den Worten „Doping wurde im Osten staatlich angeordnet und im Westen staatlich geduldet“ umriss er die Dimension der Aufgabe. Dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) warf der Abgeordnete Scheinheiligkeit vor. „Wie kann ich Menschen dazu bewegen, sich zu öffnen, wenn ich ihnen zugleich drohe, sie zu ächten?“ rief er. „Die Funktionäre fordern Aufklärung und gleichzeitig Sanktionen. Das funktioniert nicht.“
Ginge es nach ihm, zöge der Sport so etwas wie einen Schlussstrich – für Doping wie für Verpflichtungen beim Staatssicherheitsdienst. Zur Demonstration seiner Überzeugung hielt er die Einladung des ehemaligen Kugelstoßers Gerd Jacobs auf sein Podium aufrecht, obwohl dieser in der vergangenen Woche als vereidigter Spitzel der Stasi entlarvt wurde.
Klatten will goldene Brücken bauen
„Solche Leute sollte man nicht Kinder und Jugendliche trainieren lassen“, urteilte Jacobs über seine ehemaligen Trainer Werner Goldmann und Peter Börner. Er hat die Diskussion um die Dopingvergangenheit von Trainern aus dem DDR-Sport dadurch wiederbelebt, dass er sich vor den Olympischen Spielen in der ZDF-Reportage „Mission Gold“ als Dopingopfer vorstellte und aussagte, von Goldmann und Börner das Hormonpräparat Oral-Turinabol erhalten zu haben.
Goldmann ist heute Trainer des Weltmeisterschafts-Zweiten im Diskuswerfen, Robert Harting, hatte aber schriftlich erklärt, niemals mit Dopingmitteln zu tun gehabt zu haben. Deshalb verlängerte der Deutsche Leichtathletikverband zum Jahreswechsel Goldmanns Vertrag nicht. Postwendend protestierten zwanzig Athleten dagegen. Der Arbeitsgerichtsprozess um Weiterbeschäftigung beginnt am kommenden Montag (siehe: Fall Goldmann: Goldmann klagt auf Weiterbeschäftigung beim DLV).
Vesper kritisiert Klatten, Geipel widerspricht – Literatur-Professorin Ines Geipel: „Abschied von der Leistungsmanie”
Sporthilfe-Chef Klatten kritisierte, dass der DOSB die Ehrenerklärung verlangte. „Sie können von den Trainern nicht erwarten, dass sie ihr eigenes Todesurteil unterschreiben“, meinte er. „Wir müssen goldene Brücken bauen, aber die Trainer müssen auch drüber gehen und sprechen.“
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper schaltete sich daraufhin von Frankfurt aus in die Diskussion ein. Das Wort vom Todesurteil sei „ebenso geschmacklos wie ahnungslos“, kritisierte er. Vielmehr hätte jeder Trainer die Möglichkeit gehabt, sich der Unabhängigen Kommission des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Steiner zu unterwerfen. Im Übrigen verlange auch die Sporthilfe eine Unterschrift des Sporthilfe-Eides, niemals zu dopen.
Sportausschuss-Chef Peter Danckert: „Die Funktionäre fordern Aufklärung und gleichzeitig Sanktionen"
Ines Geipel widersprach der Vorstellung von einer gemeinsamen Aufarbeitung. Bei ihren Lesereisen in den neuen Ländern erlebe sie die Mentalität „Der Westen hat unseren schönen Sport kaputt gemacht“, sagte sie. „Sie werden niemanden finden, der offen mit Ihnen diskutiert.“ Danckert unterstellt den Funktionären von heute dagegen, bewusst Informationen zurückzuhalten. Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des „Tagesspiegels“, schlug in der Diskussion eine Offenbarungsfrist und eine Wahrheitskommission vor, die sich mit jedem Einzelfall beschäftige.
Jacobs will niemandem geschadet haben
Jacobs sagte, Doping von Minderjährigen und seine Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR seien nicht das Gleiche. Er habe, im Gegensatz zu den Trainern, niemandem geschadet. Einer ehemaligen Sportlerin, die sich nach der Sendung im vergangenen Sommer mit genau diesem Vorwurf beim ZDF gemeldet hatte, habe er ein Gespräch angeboten; sie sei dazu nicht bereit gewesen.
Jacobs bestätigte, dass die Redaktion seitdem über seine Stasi-Tätigkeit informiert gewesen sei. Er habe sich 1986 während seines Dienstes in der Nationalen Volksarmee verpflichtet. Nach zwei Jahren, beim Ausscheiden aus dem Militär, sei es damit vorbei gewesen.
„Sie haben sich nie mehr gemeldet.“
Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 10. Februar 2009