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21
11
2008

Damit hätte er seiner Ansicht nach eine gute Chance, bei den Europameisterschaften 2010 in der Marathon-Mannschaft zu stehen.

Der spätberufene Autodidakt – Der Esslinger Marathonläufer Steffen Häntzschel hat ein großes Ziel: „Ich will für Deutschland laufen“ – Der verlorene Zweikampf mit Sabrina Mockenhaupt – Andreas Müller in der Eßlinger Zeitung

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Esslingen – Steffen Häntzschel hat sich selbst zum Läufer gemacht, er ist ein Autodidakt auf der Marathonstrecke. Der 26-Jährige von der LG Esslingen hat sich alles selbst beigebracht, tüftelt Trainingspläne aus, plant Wettkämpfe, bespricht die Renneinteilung praktisch mit sich selbst. Mit den Siegen beim Schwarzwald- und Ermstal-Marathon hat er 2008 zwei Höhepunkte gesetzt, die ihn ermuntern, auf dem gleichen Weg weiterzumachen.

Wer sich der 42,195 Kilometer langen Strecke verschreibt, muss ab einer bestimmten Leistungsstärke einen großen Sack voll Fähigkeiten mit sich bringen. Selbstmotivation gehört dazu, Disziplin, Ehrgeiz und das Bewusstsein, in harten Zeiten Schmerzen zu ertragen. Häntzschel hat sich und seinen Körper dazu erzogen, das gesamte Spektrum abzudecken, und doch schießt er manchmal über das Ziel hinaus. So wie in diesem Jahr beim Halbmarathon in Köln, dem letzten Wettkampf vor dem Frankfurt-Marathon. Dort stellte er 2007 seine persönliche Bestleistung von 2:29:41 Stunden auf und die hatte er vor zu verbessern.

In Köln also ging Häntzschel mit dem Vorhaben an den Start, Deutschlands Vorzeige-Langstrecklerin und Olympia-13. über 10 000 Meter von Peking, Sabrina Mockenhaupt, auf den Fersen zu bleiben. Sie nicht wegziehen zu lassen, sie möglichst sogar hinter sich zu lassen, sie zu bekämpfen. Da geriet das eigentliche Ziel, der Frankfurt-Marathon, mit dem Startschuss in Vergessenheit und verkehrte sich in eine ungesunde Verbissenheit.

Nach acht Kilometern war für Häntzschel Schluss, der Oberschenkel meldete Schmerzimpulse ans Gehirn und zwang den Esslinger zur Aufgabe. „Oft schalte ich das Körpergefühl einfach aus“, nennt er seine Schwäche, die für einen Marathonläufer eher abträglich ist.

Vielleicht liegt das daran, dass der Student der Biomathematik an der Universität in Remagen erst spät seine Leidenschaft entdeckte. Mit 22 Jahren begann er mit dem Laufen, weil er eine neue Herausforderung suchte. Vier Monate nach der Aufnahme des Trainings lief er seinen ersten Marathon und später zeigte sich sehr schnell, dass er eine gewisse Begabung mitbringt. Er lief immer mehr und immer länger und bringt es heute in der Vorbereitung auf einen Marathon auf über 200 Kilometer in der Woche.

Dabei mag er am liebsten die langen Ausdauerläufe, weniger die kurzen Intervall­einheiten auf der Laufbahn. Dort, auf den Stadionrunden, sahen die Vereinskollegen von der LG Esslingen seine Stärken und wollten ihn zum Tartan-Mann machen. Aber Häntzschel setzte sich daüber hinweg, weshalb er zum Jahresende unter allerlei Missklängen den Verein verlassen wird. Wem er sich jetzt anschließt, ist noch nicht geklärt. „Ich brauche keinen Verein, um schnell zu laufen“, sagt er.

Der erste Videorekorder

Das Glück des Spätberufenen mag ihn daran hindern, von den ganz großen Dingen zu träumen, zum Beispiel von den Olympischen Spielen 2012 in London. „Dafür habe ich zu spät angefangen und war früher zu sehr Lebemann“, grinst er über eine Zeit, die er nicht vermissen will. Eine Beziehung ist der Laufbereitschaft zum Opfer gefallen und Häntzschel kann sich jetzt nur „eine verständnisvolle Partnerin, die nicht läuft“ an seiner Seite vorstellen. Eine Frau, die ihn unterstützt, um seiner Meinung nach ein realistisches Ziel in die Tat umsetzen. Häntzschel peilt eine Zeit unter 2:18 Stunden an.

Damit hätte er seiner Ansicht nach eine gute Chance, bei den Europameisterschaften 2010 in der Marathon-Mannschaft zu stehen. „Ich möchte für Deutschland laufen. Das ist eine große Motivation für mich“, sagt Häntzschel. Als Halbwüchsiger hatte er mit sportlicher Bewegung nicht viel zu tun. Ein lautes Lachen vorausgeschickt, erzählt er die Geschichte, wie er im Alter von 14 Jahren zu seinem ersten Videorekorder kam – weil er die Mutter zum Aerobic begleitete.

Das war lange Zeit vor seiner selbstgemachten Karriere.

Andreas Müller in der Eßlinger Zeitung, Freitag, dem 21. November 2008

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