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2006

Die Königsdistanz führt über 73 Kilometer von Eisenach nach Schmiedefeld. Der Marathonstart befindet sich in Neuhaus und der Halbmarathon führt vom Wintersportzentrum Oberhof in den zentralen Zielort Schmiedefeld.

Der Rennsteiglauf: Ein Lauf-Festival und Naturerlebnis mit politischer Vergangenheit – Thomas Purschke im „Olympischen Feuer“

By GRR 0

Der GutsMuths-Rennsteiglauf, zugleich größter Crosslauf in Europa, zählt zu den schönsten Landschaftsläufen in Deutschland. Nahezu 15 000 Starter tummelten sich zur 34. Auflage am 20. Mai 2006 auf den verschiedenen Lauf- und Wanderstrecken im Thüringer Wald. Der Rennsteig, ein 168 Kilometer langer Kammweg im grünen Herzen von Deutschland, mit seinem abwechslungsreichen, anspruchsvollen Mittelgebirgsprofil, bietet beim Laufen herrliche Ausblicke in die Täler und vielfältige Naturerlebnisse.

Seit der Erstauflage 1975 haben bisher insgesamt über 300 000 Menschen am Rennsteiglauf teilgenommen. Auf zehn Lauf- und Wanderstrecken können sich die Starter tummeln. Auch für behinderte Menschen –wie für Rollstuhlfahrer- gibt es verschiedene Angebote. Antritts- oder üppige Preis-Gelder werden übrigens nicht gezahlt.

73 Kilometer von Eisenach nach Schmiedefeld

Die Königsdistanz führt über 73 Kilometer von Eisenach nach Schmiedefeld. Der Marathonstart befindet sich in Neuhaus und der Halbmarathon führt vom Wintersportzentrum Oberhof in den zentralen Zielort Schmiedefeld. Auch das Starterfeld beim Junior-Cross wird immer größer. Zu den weiteren Markenzeichen des Laufes gehören die tolle Atmosphäre, bereits vor dem Start, mit den Läufer-Partys, wo selbst Thüringer Klöße gereicht werden, sowie während des Laufes, wo viele Zuschauer und zahlreiche Musikgruppen entlang der Strecken für Stimmung sorgen, bis hin zum Zielort Schmiedefeld, wo ein regelrechtes Volksfest zelebriert wird. Über 1500 größtenteils ehrenamtliche Helfer aus 30 Vereinen kümmern sich um die viel gelobte Organisation.

Der einst beliebteste Breitensportklassiker der ehemaligen DDR hat nichts von seiner Faszination eingebüßt, im Gegenteil. Viele Laufsportler aus den alten Bundesländern kommen seit dem Untergang der DDR alljährlich im Mai an den blühenden Rennsteig, darunter besonders zahlreiche Gruppierungen aus Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Sie alle sorgen mit ihrer Teilnahme auch für wirtschaftliche Kontinuität und für strahlende Mienen bei den Organisatoren.

Kein Interesse

Dies war nicht immer so. Die DDR-Sportführung – mit ihrem DTSB-Präsidenten Manfred Ewald an der Spitze -, hatte an dem Breitensportereignis kein Interesse, zumal es anfangs der 70er Jahre von Jenaer Studenten um Hans-Georg Kremer auf den Weg gebracht wurde. Kremer und seine Kommilitonen hatten sich damals dem Orientierungslauf verschrieben. Weil die Unterstützung der DDR-Sportfunktionäre für die nichtolympische Disziplin Orientierungslauf immer mehr nachließ, sahen sich die Sportfreunde zur Eigeninitiative gezwungen. Aus Mangel an geeignetem Kartenmaterial in der DDR kam man bei der Suche nach passendem Terrain für einen Langstreckenlauf auf den markierten Höhenkammweg „Rennsteig“ im Thüringer Wald.
Nach mehreren Anläufen absolvierte am 13. Mai 1973 das Gründer-Quartett, darunter Hans-Georg Kremer, im Laufschritt 90 Kilometer von Eisenach nach Masserberg – in knapp zehn Stunden.

An der Zweitauflage im Jahr darauf nahmen zwölf Athleten teil, durch Mundpropaganda waren es aber 1975 schon fast 1000 Läufer. Die ehrenamtlich agierenden Organisatoren stießen an ihre Leistungsgrenzen. Trotz des massenhaften Zuspruchs blieb dem Lauf anfangs die Unterstützung durch den Vorstand des DTSB versagt.

Man brauche keinen zweiten Wasalauf in der DDR

DTSB-Chef Ewald sagte, er brauche keinen zweiten Wasalauf in der DDR. Für viele Breitensportler hingegen war es eine große Herausforderung, in der Gemeinschaft die eigenen sportlichen Grenzen auszuloten, fern jeglicher übertriebener Partei-Propaganda. Die Veranstaltung wurde zunehmend zum Kult, aus der ganzen DDR pilgerten viele Laufsportbegeisterte alljährlich zum Rennsteiglauf.

Die Nischenveranstaltung wirkte wie ein Affront zur offiziellen DDR-Meilenbewegung. Für den Thüringer Henner Misersky, er gehörte in den sechziger Jahren zu den besten DDR-Hindernisläufern, war der Rennsteiglauf „eines der letzten Abenteuer, was man in der DDR ausleben konnte“. Überliefert ist auch, dass DTSB-Chef Manfred Ewald in Frauenwald , der nahe des Zielortes Schmiedefeld ein Feriendomizil besaß, einmal auf der Fahrt dorthin im Auto lange warten musste, weil just an diesem Tage der Rennsteiglauf stattfand und die Läufer Vorfahrt genossen. Er soll furchtbar getobt haben.

Mit DDR-Braunkohlebriketts geschwängerte Nebelluft

Noch gut erinnert sich Henner Misersky an die durch DDR-Braunkohlebriketts geschwängerte Nebelluft in den Tälern unweit des Rennsteigs. Heutzutage ist die Fernsicht vom Höhenkammweg durch die saubere Luft merklich besser geworden. Unvergessen bleiben auch die regelrechten Schlammschlachten bei Schneeregen im Monat Mai auf dem Rennsteig-Kammweg, der teilweise rücksichtslos als Transporttrasse für sowjetische Panzer in der DDR genutzt wurde. Einige dieser Fahrrinnen präsentieren sich dem aufmerksamen Rennsteig-Wanderer oder Läufer noch heute als Feuchtbiotope. Die DDR-Sportartikelindustrie hatte damals zudem für die Breitensportler nur minderwertiges Schuhwerk anzubieten.
Selbst bei guten Witterungsbedingungen war das Laufen damit kein Zuckerschlecken. Über 10 000 leckere Verpflegungs-Bananen wurden dieses Jahr den Läufern gereicht; zu DDR-Zeiten reichten die begehrten „Südfrüchte“ nur für die Spitzenläufer.

Trotz vieler Schwierigkeiten und Restriktionen, „Ausländer“ (abgesehen von so genannten Gastarbeitern) durften laut Reglement zu DDR-Zeiten nicht teilnehmen, darunter zählten auch die Sportfreunde aus der Bundesrepublik, wurden diese Hürden durch pfiffige Einfälle öfters überwunden. „Die illegalen Teilnehmer aus Westdeutschland liefen mit der Startkarte eines DDR-Verwandten und verschwanden nach dem Zieleinlauf wieder gen Westen“, erinnert sich schmunzelnd Laufmitbegründer Hans-Georg Kremer.
Auch der westdeutsche Journalist Werner Sonntag, der aus Görlitz stammt, war unter falschem Namen 1983 und 1984 sozusagen inkognito dabei. Werner Sonntag erinnert sich auch an einen Altersklassen-Sieger aus dem Westen, der sich damals im Zielgelände eiligst verdrückte, als dessen (falscher) Name zur Siegerehrung aufgerufen wurde.

"Ausländer"

Erst im Mai 1989 wurde „Ausländern“ über das Staatliche Reisebüro der DDR die Möglichkeit eröffnet, nach Zahlung eines happigen Startgeldes auf der 75 Kilometer-Strecke mitzulaufen. Über dreißig Sportler aus Westdeutschland nutzten diese offizielle Möglichkeit. Die Stasi behielt die Sportfreunde im Auge. Wenn, wie in den Jahren zuvor öfters geschehen, Lauffreunde aus der Bundesrepublik offiziell wegen einer Startkarte bei den DDR-Organisatoren direkt anfragten, wurde in der Regel sofort die Stasi eingeschaltet und um Rat gefragt, wie nun weiter zu verfahren sei.
Wie Stasiunterlagen belegen, gab es auch beim DTSB-Bezirksvorstand Suhl ein dichtes Spitzelnetz.

Landschaftliche Reize des Thüringer Waldes

Die für den Sport zuständige Abteilung XX/3 der Suhler Stasi-Bezirksverwaltung kümmerte sich um die „ausländischen“ Rennsteigläufer. Mit kurzer Begründung, „Ausländer“ dürften beim Rennsteiglauf nicht starten, wurde noch 1988 Hans-Jürgen Koch aus Kiel durch die Anweisung der Stasi von Sportfunktionären abgefertigt. 33 Jahre zuvor, im Alter von 15 Jahren, war der im thüringischen Suhl geborene Freizeitläufer mit der Familie in den Westen geflüchtet.
„Das Wort ‚Ausländer’ hat damals besonders weh getan“, erinnerte sich Koch. Die diskriminierenden Formulierungen hat er den Sportfunktionären inzwischen verziehen. Seit den neunziger Jahren war Koch mehrmals beim Rennsteiglauf dabei: „Wegen der landschaftlichen Reize des Thüringer Waldes und der herzlichen Kameradschaft unter den Läufern.“

Einige der einstigen Stasimitarbeiter im Organisationsstab des Laufes sind auch heute noch tätig. Der 59-jährige Hans-Georg Kremer, heute Leiter des Universitätssportzentrums in Jena, der nach dem Mauerfall Präsident des Rennsteiglaufvereines wurde, hatte seine Mitgliedskarte 1998 auch wegen solcher Personal-Verstrickungen zurückgegeben.
Kremer ist heute „nur noch als ganz normaler Läufer“, mit seinen Studenten, mit von der Partie.

Trotz des damaligen staatlichen Desinteresses zeigte sich die DDR-Sportmedizin für den Rennsteiglauf aufgeschlossen. Mediziner führten bereits 1975 umfangreiche Untersuchungen an freiwilligen Probanden durch, um „die Wirkungen von extremen Ausdauerbelastungen auf die Organsysteme des Menschen festzustellen“.
Die Forschungsergebnisse sollten dem Langstreckentraining der Hochleistungssportler dienen.

Eine lustige Nuance zum Schluss. Bei einem Slogan-Wettbewerb zum 30-jährigen Jubiläumslauf 2002 gehörte Wolfgang Burkhardt aus Norderstedt mit seinem Sinnspruch zu den Auserwählten:
„Lachen, Lieben, Rennsteiglauf hört im Leben niemals auf.“
Am 19. Mai 2007 findet die 35.Auflage des GutsMuths-Rennsteiglaufes statt.

Thomas Purschke
"Olympischen Feuer" 2006

author: GRR

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