Volker Schlöndorff läuft aber prinzipiell überall – auch und gerade an fremden Orten, wo er das Hotel verlassen muss, um gleichsam laufend heimisch werden zu können
Der Oscar-Preisträger als Filmemacher … und als Sportler – Was Volker Schlöndorff bei einem Waldlauf empfindet – Die Rezension von Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
Volker Schlöndorff ist uns als bedeutender Filmemacher bestens bekannt. Der Oscar-Preisträger („Die Blechtrommel“) hat inzwischen mehr als 30 Fil-me und Fernsehspiele gedreht sowie Opern und Theaterstücke inszeniert, für die er mehrfach mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. Aber ist jener in Wiesbaden geborene und heute in Potsdam lebende Volker Schlöndorff „wirklich“ auch ein „richtiger“ Sportler?
Eine hinreichende Antwort darauf bietet ein gründlicherer Blick in seine seit diesem Sommer vorliegende fast 500-seitige Biografie, die interessanterweise sogar einen durchaus „sport-affinen“ Titel trägt: „Licht, Schatten und Bewegung“. Allerdings muss man schon sehr genau lesen, bis man tatsächlich etwas über die Bewegungsbiografie bzw. die sportlichen Bewegungen im früheren und heutigen Leben jenes fast 70-jährigen Volker Schlöndorff erfährt – zumal der Titel des Buches eine ganz andere, weil vollkommen sportferne Entstehungsgeschichte hat, wie uns der Autor schon im Vorwort seiner in 46 Kapitel gegliederten Biografie kurz erklärt.
Wer nur die Überschriften dieser Kapitel zu lesen beginnt, der erfährt etwas darüber, dass es z.B. in den kurzweiligen Texten um „Das Gymnasium und die fünfziger Jahre“ geht, um „Schwere Zeiten fürs Kino“, um „Das Ende der politischen Jahre“ und um „Meine Kids“, nicht aber hier schon nominell um Sport und/oder Bewegung.
Die Lebensgeschichte von Volker Schlöndorff ist nämlich in erster Linie ein „schweres“ Stück gelebte Filmgeschichte und zugleich ein „hartes“ Stück Zeitgeschichte der Bundesrepublik Deutschland: „Der junge Törless“ (sein Debüt im Jahre 1966), „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975), Deutschland im Herbst (1978), „Die Stille nach dem Schuss“ (1999) und „Der neunte Tag“ (2004) sind nur einige jener bekannten Werke, bei denen er Regie geführt hat.
Knappe Hinweise auf die frühe Bewegungs- und Sportsozialisation des Volker Schlöndorff, dessen Berufswunsch in Kindertagen „Ich wollte zum Zirkus“ lautete, findet der Leser kaum, allerhöchstens in zwei Zeilen aus der „bleiernen Zeit“ des Gymnasiums und einer Flucht ins Freie: „Für 30 Deutsche Mark kaufte ich mir ein gebrauchtes Kanu und schipperte im Schiersteiner Hafen und auf dem Rhein herum“.
Wer nun glaubt, Volker Schlöndorff sei danach zum Bewegungskünstler auf dem Wasser avanciert, paddelt auf Eis … und sollte am besten gleich bis auf die Seite 448 im Buch vorblättern, wo er uns unmissverständlich erklärt, wie er tatsächlich im höheren Lebensalter aus dem Schatten herausgetreten und ins Licht gelaufen ist …also zur Bewegung, zum Sport … ja, ganz genau zum ausdauernden Laufen gefunden hat.
Dieser sportlichen Aktivität geht er ganz offensichtlich bis heute regelmäßig nach, nicht nur weil man ihn im Buch abgebildet sogar mit der Startnummer 25809 vom New York City Marathon unterwegs im Central Park laufen sieht, sondern auch, weil man ihn ab und zu bei organisierten Volksläufen in Berlin und im Umland als Teilnehmer im gelben Trikot von HELIOS Berlin erkennen kann, jenem 1949 gegründeten und heute rund 1.000 Mitglieder umfassenden „Verein für Gesundheit und Sport e.V.“ mit eigenem FKK-Freizeitgelände am Randes des Grunewaldes in der Nähe der Avus-Autobahn.
Volker Schlöndorff läuft aber prinzipiell überall – auch und gerade an fremden Orten, wo er das Hotel verlassen muss, um gleichsam laufend heimisch werden zu können: „Wenn ich dann vom Gehen ins Laufen wechsle, gehört die Strecke mir. Weg da! Weg da!, signalisiere ich den Passanten, und sie machen mir Platz. Die Fremden sind jetzt sie, laufend gehöre ich hierher. Es ist ein wunderbares Gefühl“. Noch mehr wegen seiner heilsamen Wirkung gefällt dem Läufer Schlöndorff aber der Waldlauf: „Wut und Depression haben keine Chance gegen einen Waldlauf. Ich schaue in die Wipfel der Bäume, Licht und Schatten fällt durch das Geäst, und alle Unzufriedenheit fällt von mir ab“. Licht, Schatten und Bewegung hin oder her – eine Empfehlung zum Schluss:
Volker Schlöndorff sollte endlich mal einen Film (Arbeitstitel: „Laufen und Lust an der Bewegung)“ machen. Hier könnte er dann sogar einmal Autor, Regisseur und Akteur in einer Person sein … und wer würde dabei nicht gleich am liebsten selber mitspielen und mit ihm zusammen loslaufen wollen?
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
Volker Schlöndorff: Licht, Schatten und Bewegung. Mein Leben und meine Filme. Hanser: München 2008. 474 S.; 24,90 €