Die Nordischen Botschaften in Berlin ©Klaus Blume - laptopwerk
Der nordische Ski-Krieg und die „Asthma-Medikamente“ – Von Klaus Blume
Beschaulich stehen sie nebeneinander, im Berliner Tiergarten-Dreieck: die fünf Nordischen Botschaften. Ein friedfertiges Bollwerk der Länder Dänemark, Island, Schweden, Norwegen und Finnland. Ein trügerisches Bild?
Scheint so. Denn ausgerechnet in diesen vorweihnachtlichen Tagen haben sich Finnen, Schweden und Norweger ganz gehörig in der Wolle. Schließlich geht es um das wichtigste Thema Skandinaviens. Nein, nicht ums Kiffen oder heimliches Schnaps-Brennen – nein, es geht um wirklich lebenswichtiges: um den Skilanglauf. Denn den betreibt hier notwendigerweise jeder, schon um mit seinem Nachbarn zu kiffen. Oder Schnaps zu trinken.
So sind nun einmal die landesüblichen Gebräuche. Obendrein aber glauben die Norweger, und zwar seit Alters her, sie hätten das Skilaufen erfunden. Die Vokabel „Ski“, so haben sie uns ein ums andere Mal eingebleut, leite sich schließlich von dem Wort „Scheit“ ab, also der Bezeichnung für ein Stück Holz. Und aus einem „Scheit“ entstehe nun einmal ein Skibrett. Jedenfalls war das in grauer Vorzeit so.
Mithin sehen sich die Norweger als Beschützer des Skilaufens – zugleich aber auch als deren Könige.
Wer sollte sie also besiegen? Nun trug es sich aber am letzten Sonnabend zu, dass ausgerechnet auf den heiligen Loipen im olympischen Lillehammer ein Schwede triumphierte: ein gewisser Calle Halfvarsson. Ein früherer Junioren-Weltmeister aus Falun; also aus einem Ort kommend, von dem wiederum die Schweden glauben, dort den Skilanglauf erfunden zu haben. Von wegen die Norweger, spotten sie dort! Da prallen Weltanschauungen aufeinander. Seit Generationen.
Ganz Norwegen erbebte deshalb förmlich, als in Lillehammer nicht einer der ihren, sondern ein Mann aus Falun triumphierte. Doch nach kurzer Sprachlosigkeit brach über die schwedische Zeitung „Expressen“, Stockholms schlimmster Rabauken-Redaktion, ein Shitstorm aus Norwegen herein, wie man ihn nie zuvor erlebt hatte: „Betrüger“, „Lumpen“, „Hurensöhne“ – das war noch das Harmloseste.
Warum? Auch Calle Halvarsson aus Falun gehört zu jenen Skilangläufern, die von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) als Asthmatiker eingestuft werden. Also darf der kranke Schwede ein Medikament benutzen, das ansonsten – nur nicht bei ihm – als Doping gilt.
Acht Tage zuvor hatte Marit Bjoergen aus Norwegen in Nordfinnland einen überraschenden Weltcup-Sieg gefeiert. Überraschend, weil die erfolgreichste Skilangläuferin der Welt am 26. Dezember 2015 einen Sohn zur Welt gebracht hatte – und danach von den norwegischen Doping-Kontrolleuren in Ruhe gelassen worden war. Sieben Monate lang. Auch in den sommerlichen Trainingslagern ihres Nationalteams. Sei ja bei der Asthmatikerin Bjoergen auch nicht nötig gewesen, sagten sie im Verband. Finnische Ski-Fans empfanden das als bodenlose Heuchelei, und versahen in ihrem Ski-Mekka, in Ruka, über Nacht den norwegischen Wagen-Park mit dem Schriftzug „DDR Norwegian-Team = Team Doping“. Betroffen zogen die Norweger von dannen.
Aber der Ski-Krieg ging dennoch weiter.
Am zweiten Advent kam es im heiligen Lillehammer zum ganz großen Krach – diesmal zwischen Norwegern und Schweden. Per Twitter und Facebook, per Zeitung, Rundfunk und Fernsehen. Am zweiten Advent siegte nämlich nicht der asthmatische Schwede Halfvarsson, sondern ein norwegischer Asthmatiker, der ehemalige Weltcup-Gesamtsieger Martin Johnsrud Sundby. Tenor der angereisten schwedischen Fans: Sundby habe in keiner Loipe mehr etwas zu suchen.
Das Verrückte dabei: Die Zündschnur für diese Wutausbrüche hatte das auch in Schweden gern gesehene staatliche norwegische Fernsehen (NRK) gelegt.
Als nämlich der Internationale Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne am 20. Juli den angeblichen Asthmatiker Sundby wegen zu hoher Dosen des zugleich muskelaufbauenden Medikaments Salbutamol nur läppische zwei Monate gesperrt hatte, sprach NRK darüber mit dem australischen Sportwissenschaftler Ken Fitch. Er berät die WADA und den Internationalen Ski-Verband (FIS) in Sachen Asthma. Fitch im NRK: „Mir wäre es unmöglich, Sundbys Medikamentenverbrauch zu verteidigen.“ Also: Raus aus der Loipe – oder?
Schwedens renommiertes Qualitätsblatt „Dagens Nyheter“ kommentierte die Sachlage so: „Es ist ja bekannt, dass sich der norwegische Ski-Verband weder über Doping, noch über jene Medikamente äußert, die dort in Gebrauch sind.“ Oslos „Aftenposten“ gab klein bei: „Norwegens Glaubwürdigkeit ist erschüttert.“
Klaus Blume – freier Journalist – Hamburg
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