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12
2023

Der Berliner Neujahrslauf startet auf em Pariser Platz und führt über den Boulevard "Unter den Linden" um den Dom udn zuück - Foto: Horst Milde

Der Neujahrslauf-Spitzenreiter ist Berlin. 1972 hatte Heinz Florian Oertel die Idee zum ersten laufenden Jahresauftakt in Deutschland. Nun findet er schon zum 51mal statt. Klaus Weidt berichtet.

By GRR 0

Wie für die Läufe zu Silvester stand auch für die zum Jahresauftakt Sao Paulo Pate. Den gab es schon seit 1925. Sportreporter-Legende Heinz Florian Oertel hatte die Idee, seine Radiosendung „He-he-he, Sport an der Spree“ für einen Lauf-Auftakt im Olympiajahr 1972 zu nutzen.

In seinem Buch „Höchste Zeit“ erinnert er sich: „Mein Gedanke war, wenn sich seit Jahr und Tag im brasilianischen Sao Paulo zur Silvesternacht Läuferstars gegen Bezahlung zum Lauf ins neue Jahr begegnen, können bei uns gerade die Urläufer, die Unbezahlten, im Mittelpunkt stehen.“ Und er dachte weiter: „Wer sich am Neujahrsmorgen überwindet, locker eine oder zwei Runden dreht, der bleibt vielleicht und hoffentlich bei der Stange und wird zum Alltagssportler.“

Bis dahin hatten sich wohl Lauforganisatoren gescheut, Leute nach durchfeierter Silvesternacht zu einem Neujahrslauf zu animieren. Wer wollte sich da schon überwinden? Oertel versuchte es – und mit Erfolg. Am 1. Januar 1972 um 11 Uhr trafen sich ein paar Hundert, auch Familien mit Kind und Kegel, im Volkspark Friedrichshain zu einer „Olympiameile“ über 1972 Meter. Der Neujahrslauf in Deutschland war somit in Berlin geboren.

Was vielleicht die Wenigsten wissen: Im damaligen Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, fand an demselben Neujahrstag auch ein Jahresauftaktrennen statt. Allerdings erst gegen 14 Uhr und als Abschluss einer Aktion „Lauf dich gesund“ mit 80 Unentwegten. Leider ist dort daraus kein kontinuierlicher Neujahrslauf geworden.

Anders als in Berlin.

Oertels Idee setzte sich durch. Bis zu 10 000 trafen sich bald am Friedrichshainer „Mont Klamott“, dem aus Trümmern einst aufgeschütteten Hügel. Der Berliner Neujahrslauf wurde zu einem Kult. Und wurde auch kein Wendeopfer. Im Gegenteil. Und das kam so und dürfte als Einzigart in der Laufsportgeschichte bleiben: Am ersten Neujahrsmorgen nach der Wende, am 1. Januar 1990, wurden in Berlin zwei Neujahrsläufe zelebriert. Um 11 Uhr am Lenin-Platz mit 5000, um 14 Uhr auf der Straße des 17. Juni mit über 25 000 begeisterten Teilnehmern.
Ich erinnere mich selbst daran als wäre es gestern. Lange Läuferschlangen bildeten sich am Brandenburger Tor. Um zum Startplatz im Westberliner Terrain zu gelangen, wurden von den Grenzbeamten „Ausreisestempel“ in die DDR-Personalausweise gedrückt. Zurück im Lauf brauchten sie allerdings nur hochgehalten zu werden. Gänsehaut und Jubelgesänge.

 

Eine Stimmung, die ich nicht vergessen werde.

Wie kam es zu dieser einmaligen deutschen Laufgeschichte? Berlin-Marathon-Begründer Horst Milde weiß es am besten. Noch im November, als die Mauer geöffnet wurde, saß er in seiner Tempelhofer Bäckerei mit den DDR-Läufern Gerd Engel (Stendal), Detlef Dalk und Roland Winkler (Berlin) zusammen und entwarf mit ihnen einen Brief an die beiden damaligen Berliner Bürgermeister Erhard Krack (Berlin-Ost) und Walter Momper (Berlin-West) mit dem Vorschlag, einen GESAMT-BERLINER Neujahrslauf durch Ost und West zu organisieren. Diese stimmten zu und gaben gemeinsam auch den Startschuss.

Das historische Rennen, das auch am Roten Rathaus entlang führte, endete wieder an der „Entlastungsstrasse“ (gibt es heute nicht mehr) auf der Strasse des 17. Juni.  Auf Initiative von Horst Milde trafen sich einige Wochen später Heinz Florian Oertel  (der noch beim Berliner Rundfunk arbeitete) und Milde auf der „Strasse des 17. Juni in Mildes Auto und vereinbarten, ab sofort nur noch einen gemeinsamen Neujahrslauf zu starten und damit den Berliner Laufsport und seine nun wieder gemeinsame Historie zu „vereinen“ und zu bewahren.

Den durchs Brandenburger Tor. Der nunmehr als 51. gezählte wird somit am 1. Januar 2024 um 12 Uhr stattfinden – vom Brandenburger Tor bis zum Dom – und zurück auf dem Boulevard „Unter den Linden. Kein Startgeld, aber gewünscht wird eine Spende, die Menschen in Not zugutekommt.

Wieviel Laufveranstaltungen zu Jahresbeginn es inzwischen in den deutschen Landen gibt, ist schwer zu ermitteln. Auf jeden Fall weitaus weniger als zum Jahresabschluss. Doch einige haben sich schon etabliert. Auch mit dem Gedanken der Hilfsbereitschaft. So der Benefiz Neujahrslauf München, der als Wohltätigkeitslauf durch den Englischen Garten führt. So der Neujahrslauf in Wedel, der Stadt in Schleswig-Holstein, der von dem Wedeler Roland angeführt wird. Hier werden Spenden an einen Blinden- und Sehbehindertenverein weitergeleitet.

Neujahrslauf in Wedel – Foto. Veranstalter

Doch auch kleinere, kaum bekannte, aber liebevoll ausgerichtete Läufe nach der Silvesternacht gibt es überall zwischen Leinfelden-Echterdingen und Hoyerswerda. Zusammen das neue Jahr zu beginnen, gute Wünsche weiterzugeben und ein friedliches Jahr zu erhoffen.

Heinz Florian Oertel betonte immer wieder voller Freude und Dankbarkeit, dass „seine Neujahrslauf-Idee kein Wendeopfer“ wurde. „Ich verhehle nicht. Das macht zufrieden.“

In diesem Jahr 2023 verstarb HFÖ mit 95 Jahren. Seine Neujahrslauf-Idee aber bleibt Sportgeschichte.

Klaus Weidt

https://germanroadraces.de/?p=226047

 

author: GRR