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19
09
2009

AIMS bildete ab 1986 Streckenvermesser aus, und es darf als größter Verdienst in der mittlerweile fast 30-jährigen Geschichte dieser Organisation bezeichnet werden, dass ihre Maßnahmen die IAAF dazu brachte, die AIMS-Richtlinien und Maßnahmen zu übernehmen und dann auch die von AIMS ausgebildeten Streckenvermesser für IAAF-Belange zu übernehmen.

Der Marathon-Weltrekord: Geschichte und Geschichten um die Vermessung – Die Jagd nach dem Weltrekord – Thomas Steffens berichtet

By GRR 0

Seit Ende der 90er-Jahre nahm die Steigerung des Marathon-Weltrekords Fahrt auf. Womit auch immer dies zusammen hängt – Fakt ist, dass die Leistungen dynamisch verbessert wurden, seit sich die besten 10.000-m-Läufer aufmachten, die Rekordmarke anzugreifen, allen voran Paul Tergat und Haile Gebrselassie.

 Als Haile Gebrselassie beim 35. real,- BERLIN-MARATHON 2008 mit 2:03:59 Stunden seinen eigenen Weltrekord von 2:04:26, den er ein Jahr zuvor an gleicher Stelle aufgestellt hatte, um fast eine halbe Minute verbessert hatte, stimmte nicht nur die Tempogestaltung und das Wetter, beides wichtige Faktoren beim Zustandekommen eines Weltrekords, es stimmte vor allem auch die Streckenlänge.

Der offizielle Streckenvermesser Hugh Jones aus London, selbst einmal ein Marathonläufer der Weltklasse (1982 gewann er den London-Marathon), hatte die Berliner Strecke einige Wochen vor dem Lauf vermessen und fuhr an der Spitze des Rennens mit, um zu überprüfen, dass der Sieger auch die Route wählte, die im Vermessungsprotokoll stand und nicht an dieser oder jener Ecke abkürzte. Ein Veranstalter hat dafür zu sorgen, dass die Läufer auf der Strecke bleiben und nicht über Bürgersteige oder Verkehrsinseln abkürzen.

Stellen, an denen dies theoretisch möglich wäre, müssen abgesperrt sein bzw. es muss sicher gestellt sein, dass die Läufer die Streckenlinie wählen, die vermessen wurde. Daher führt die „Blaue Linie“ immer als Ideallinie durch Kurven und um Straßenecken. Die Bezeichnung stammt von der Mutter aller Stadtmarathonläufe, dem New York City Marathon, der diese Linie vor über 30 Jahren einführte.

In Berlin ist sie ebenfalls blau, andernorts ist sie andersfarbig, beim Vattenfall BERLINER HALBMARATHON ist sie grün. Seit Mitte der achtziger Jahre wird auf eine korrekte Vermessung von Straßenlaufstrecken geachtet. Davor war es dem jeweiligen Veranstalter überlassen und man vertraute darauf, dass jeweils korrekt vermessen wurde. Zweifel kamen immer auf, wenn die Siegerzeit oder auch die Zeiten der nachkommenden Läufer verdächtig gut waren.

So erzielten beispielsweise in den siebziger Jahren mehrere Läufer bei einem 25-km-Lauf in Frankenberg/Eder persönliche Bestzeiten und da der Lauf topbesetzt war, sprengten diese Zeiten die „ewige“ Bestenliste. Die Strecke war vermutlich deutlich zu kurz, doch bei wie vielen anderen Straßenläufen von 10 km bis Marathon war die Strecke korrekt vermessen worden? Wir werden es nie erfahren, denn weder gab es damals genaue Kriterien, was eine korrekt vermessene Straßenlaufstrecke ausmacht noch lässt sich im Nachhinein per Video beweisen, dass der Streckenverlauf von den Läufern auch eingehalten wurde.

Die Streckenvermessung wurde bis dahin bestenfalls entweder mit einem Messrad durchgeführt, das man vor sich her schob, oder – wie in Japan – mit Stahlmessstäben und Bandmaß.

Diese exakte Streckenvermessung und das entsprechende Reglement (siehe Kasten) veränderte die Weltrekord-Statistik im Nachhinein.  So wurde die Marke von 2:08:34 Stunden, erzielt von Derek Clayton (Australien) 1969 in Antwerpen, bis in die neunziger Jahre in den Listen der Statistiker als Weltrekord geführt. Es war zwar schon bald nach dem Lauf gemunkelt worden, die Strecke sei zu kurz gewesen, weil mit dem Auto bzw. dem Tachometers eines Autos vermessen, wie das bei Radrennen in Radsport-Ländern wie Belgien üblich war (und wo es auf ein paar Kilometer mehr oder weniger nicht ankam, da keine Rekordmarken geführt wurden). 

Doch erst als im Laufe der achtziger Jahre Straßenläufe über kürzere Distanzen immer populärer wurden, vor allem in den USA, aber nicht nur dort, begann man mehr Aufmerksamkeit auf die exakte Vermessung von Straßenlaufstrecken zu legen. Auch die gleichzeitig zunehmende Bedeutung von Preisgeld und Rekordprämien führte dazu, dass die exakte Vermessung von Straßenlaufstrecken insgesamt mehr Aufmerksamkeit erhielt. In erster Linie waren es Statistiker, die sich um dieses Thema kümmerten und dafür sorgten, dass Rekordlisten in der sorgfältig aufbereitet wurden.

Die Anfang der achtziger Jahre entstandene Vereinigung der internationalen Marathon-Veranstalter AIMS (Association of International Marathons) hatte maßgeblichen Einfluss darauf, dass es zu einer Standardisierung von Straßenlaufstrecken kam. Dies beinhaltete sowohl klare Vermessungskriterien als auch die standardisierte Messmethode mit dem Jones Counter, einem Zählinstrument, das an einem Fahrrad angebracht ist und unter festgelegten Bedingungen geeicht wird.

AIMS bildete ab 1986 Streckenvermesser aus, und es darf als größter Verdienst in der mittlerweile fast 30-jährigen Geschichte dieser Organisation bezeichnet werden, dass ihre Maßnahmen die IAAF dazu brachte, die AIMS-Richtlinien und Maßnahmen zu übernehmen und dann auch die von AIMS ausgebildeten Streckenvermesser für IAAF-Belange zu übernehmen. Die IAAF war nämlich in der Vergangenheit nicht gerade dadurch aufgefallen, sich besonders um den Marathon bzw. den Straßenlauf allgemein gekümmert, geschweige denn bemüht zu haben.

Bis zum Weltrekord des Walisers Steve Jones 1984 in Chicago war man davon ausgegangen, dass sowohl Claytons 2:08:34, als auch die 2:08:13 Stunden von Alberto Salazar (USA) 1981 in New York gültige Weltrekordmarken waren. Erst im Laufe der dann folgenden Jahre machten sich die oben erwähnten Statistiker daran, Rekorde, bei denen nicht eine korrekt vermessene Strecke zugrunde gelegt werden konnte, aus den Listen zu streichen bzw. sie mit einem Vermerk zu führen.

Dieser Maßnahme fielen die Bestmarken von Clayton und Salazar zum Opfer. Das Dilemma dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand: wie lässt sich im nachhinein feststellen, oft Jahre oder Jahrzehnte später, ob eine Strecke „richtig“ vermessen wurde und was wird als „richtig“ definiert?

Und wie steht es um die Strecken vor 1969 bzw. die Strecken, bei denen die Leistungen erzielt wurden, die anstelle von Claytons Antwerpener Zeit in die Liste aufgenommen wurden? Beim ersten AIMS-Vermessungsseminar im Frühjahr 1986 in Frankfurt stellte man fest, dass die Strecke des Frankfurter Hoechst-Marathons um rund 400 Meter zu kurz war.

Was wäre passiert, hätte man nach AIMS-Kriterien diverse andere Strecken im Nachhinein vermessen? Die Strecke des New York Marathons, auf der Alberto Salazar 1981 mit 2:08:13 eine Bestmarke erzielte, die lange als Weltrekord in den Listen stand, war angeblich 150 m zu kurz, wie anhand von Videoaufzeichnungen und einer Nachmessung später festgestellt wurde. Der damalige Race Director Fred Lebow hat dies nie anerkannt und die Rekordprämien weiterhin an der Salazar-Marke orientiert.

 Die Bezeichnung „Weltrekord“

Von „Weltrekord“ spricht man beim Marathon bzw. bei Straßenlaufstrecken allgemein erst seit 2003. Bis dahin wurden Leistungen, die außerhalb des Stadions erzielt wurden, als „Weltbestleistung“ bezeichnet, bis die IAAF beschloss, auch bei Straßenlaufstrecken den Begriff „Weltrekord“ einzuführen. Der Verband beugte sich hier dem Trend, denn jeder außerhalb der Funktionärsriegen und der Statistiker-Gemeinde scherte sich nicht um die Wortklauberei; zudem spielten auch Marketing-Gesichtspunkte eine Rolle.
 

Die Kriterien für einen Rekord

Die Regeln der IAAF lauten: Die Strecke muss von einem Vermesser der IAAF bzw. AIMS vermessen sein. Start und Ziel der Strecke dürfen in Luftlinie nicht weiter als 50% der gesamten Streckenlänge voneinander entfernt liegen. Das Gefälle zwischen Start und Ziel darf das Verhältnis von durchschnittlich 1:1000 nicht überschreiten, das bedeutet 1 m pro km. Das Gefälle zwischen Start und Ziel darf nicht mehr als 0,1% der Streckenlänge betragen. Die Strecke darf nicht so gewählt sein, dass der Wind nur aus einer Richtung kommen kann.

Thomas Steffens

Weltrekordentwicklung

Marathon Männer

2:03:59    Haile Gebreselassie  (ETH)         28 Sep 2008  Berlin
2:04:26    Gebreselassie                           30 Sep 2007  Berlin
2:04:55    Paul Tergat (KEN)                      28 Sep 2003  Berlin
2:05:38    Khalid Khannouchi (USA)            14 Apr 2002  London
2:05:42     Khannouchi (MAR)                    24 OKt 1999  Chicago
2:06:05     Ronaldo daCosta (BRA)             20 Sep 1998  Berlin
2:06:50     Belayneh Dinsamo (ETH)           17 Apr 1988   Rotterdam
2:07:12     Carlos Lopes (POR)                  20 Apr 1985   Rotterdam
2:08:05     Steve Jones (GBR)                    21 Oct 1984  Chicago
2:08:18     Rob DeCastella (AUS)                6 Dez 1981  Fukuoka JPN
2:09:01     Gerard Nijboer (NED)                  26 Apr 1980  Amsterdam
2:09:06     Shigeru So (JPN)                       5 Feb 1978   Beppu JPN
2:09:12     Ian Thompson (ENG)                 31 Jan 1974  Christchurch NZL
2:09:29     Ron Hill (ENG)                           23 Jul 1970  Edinburgh
2:09:37     Derek Clayton (AUS)                  3 Dez 1967  Fukuoka JPN
2:12:12     Abebe Bikila (ETH)                    21 Okt 1964 OS Tokio
2:14:43     Brian Kilby (ENG)                       6 Jul 1963    Port Talbot GBR
2:15:16     Toru Terasawa (JPN)                  17 Feb 1963  Beppu JPN
2:15:17     Abebe Bikila (ETH)                    10 Sep 1960  OS Rom
2:15:18     Sergey Popow (RUS)                  24 Aug 1958  Stockholm
2:18:05     Paavo Kotila (FIN)                     12 Aug 1956  Pieksämäki FIN
2:18:35     Jim Peters     (GBR)                  4 Okt 1953     Turku FIN
2:18:41     Peters                                     13 Jun 1953   Windsor GBR
2:20:43     Peters                                     14 Jun 1952   Windsor
2:25:15     Yun-Chil Choi  (KOR)                28 Okt 1951   Pusan KOR
2:29:19     Kee-Chung Sohn* (KOR)           9 Aug 1936    OS Berlin

 

Diese Statistik basiert auf den Unterlagen der Vereinigung der Straßenlauf-Statistiker ARRS (Association of Road Racing Statisticians). Zehntelsekunden werden bei Straßenläufen zu vollen Sekunde aufgerundet.
*Musste unter dem Namen Kitei Son starten, da Nordkorea damals Teil des japanischen Kaiserreichs war. 1936 wurde er in Berlin Olympiasieger im Marathonlau
f.

OS    Olympische Spiele

author: GRR

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