Dennis Kimetto hieß im Frühjahr noch Den(n)is Koech und war 10 Jahre jünger. ©Helmut Winter
Der Marathon-Weltrekord der Männer: Verbesserung im „Doppelpack“ – Die Jagd auf den Weltrekord bei den Herbstmarathons beginnt am Sonntag in Berlin – Helmut Winter spekuliert
Mit einem Elitefeld der Extraklasse bei den Männern wird man beim 39. Berlin-Marathon am kommenden Sonntag jenen Weltrekord jagen, der erst im letzten Jahr an gleicher Stelle beim legendären Duell zwischen Patrick Makau und Altmeister Haile Gebrselassie aufgestellt wurde. Im Moment sind 2:03:38 das Maß der Dinge, obwohl einer der aussichtsreichen Jäger in diesem Jahr mit 2:03:02 schon schneller war, allerdings auf dem mit den Regeln nicht konformen und von den Launen des Wetters anfälligen Kurs in Boston.
Aber bevor wir die Aussichten des Unterfangens analysieren, ist ein Blick in die Statistiken recht aufschlussreich und sollte die Veranstalter freuen. Denn danach stehen die Chancen auf eine weitere Steigerung des Weltrekords bestens. In den letzten gut 30 Jahren wurden nämlich die Bestmarken im Marathonlauf der Männer bis auf eine Ausnahme stets im „Doppelpack“ gesteigert. D.h. im Intervall von typisch 3 oder 4 Jahren wurde in dem Jahr nach dem Erzielen einer neuen Rekordmarke diese sogleich weiter gesteigert. Und auf der Basis dieser Serie wäre nach Makau´s Rekord im letzten Jahr auch 2012 eine weitere Steigerung fällig.
Damit würde sich eine Serie fortsetzen, die 1980 mit Gerard Nijboer in Amsterdam begann, dem 1981 Rob de Castella in Fukuoka den Rekord abnahm. Dann war 3 Jahre Pause, wonach der Rekord von 1984 durch Steve Jones in Chicago von Carlos Lopez 1985 in Rotterdam gesteigert wurde. Weitere drei Jahre später lief dann der Äthiopier Densimo 1988 in Rotterdam erstmals mit 2:06:50 unter 2:07, aber die Serie geriet aus dem Tritt. Zehn Jahre sollte es dauern, bis es mit den globalen Bestleistungen weiterging. Dem sensationellen Auftritt von Ronaldo da Costa beim Berlin-Marathon 1998 folgte ein Jahr später Khalid Khannouchi 1999 in Chicago.
Dann war wieder 3 Jahre Ruhe bevor Khannouchi 2002 seine eigene Marke in London steigerte. Schon ein Jahr später begann 2003 mit dem ersten Lauf unter 2:05 von Paul Tergat die Ära der „Weltrekorde“. Die Hatz auf diese Marke vor allem durch seinen großen Kontrahenten Haile Gebrselassie dauerte dann wieder etwas länger, diesmal 4 Jahre, bevor es in gewohnter Regelmäßigkeit weiter ging. Beim Berlin-Marathon 2007 passte für Haile in der Tat alles, und er holte sich endlich den Weltrekord. Auch hier erfüllte sich wieder das Gesetz der Serie, denn ein Jahr später steigerte Haile 2008 an gleicher Stelle den Weltrekord auf erstmals unter 2:04.
Und man konnte nun schon fast erwarten, wie es weiterging. Nach drei Jahren Pause, das war dann das Jahr 2011, fiel Hailes Marke, die er im direkten Duell an Patrick Makau aus Kenia verlor. Was immer man von diesen statistischen Spielerein halten mag, die Konsequenzen für das aktuelle Jahr 2012 sind eindeutig: Weltrekord!
Ob dieser allerdings an jener Stelle erzielt wird, an dem alle „Weltrekorde“ im Marathonlauf der Männer bisher aufgestellt wurden, nämlich in Berlin, ist allerdings eine offene Frage. Die Aussichten stehen diesbezüglich nicht schlecht. Ein Topstar, zwei Weltklasse-Athleten und zwei höchst aussichtsreiche Debütanten lassen bei entsprechenden äußeren Bedingungen Zeiten der absoluten Weltklasse erwarten.
Dabei ist ein erstes Ziel, Berlin wieder den Status der schnellsten Strecke zu verleihen, eine fast sichere Variante. Im Frühjahr hatte der Rotterdam diesen Titel aus dem Zehnermittel der schnellsten jemals auf dem gleichen Kurs erzielten Zeiten mit 2:04:53,8 den Berlinern (2:04:54,9) abgenommen. Eine Zeit des Siegers am Sonntag von 2:05:44 würde genügen, um wieder die Nase vorne zu haben. In der aktuellen Konstellation wäre allerdings ein solches Ergebnis schon fast einen Enttäuschung.
Denn insbesondere Geoffrey Mutai will deutlich schneller laufen und orientiert sich dabei am aktuellen Weltrekord. Um in diese Regionen zu laufen, müsste er gegenüber einem 3 Minuten/km-Schnitt (2:06:35) 3 Minuten herausholen, dies sind 4,3 Sekunden pro km oder 2:55,7. Und ein Tempo mit km-Zwischenzeiten in diesem Regime dürften auch die Vorgaben am Sonntag sein. Dabei ist zu beachten, dass Patrick Makau im letzten Jahr kurz vor der Schlussphase einen Hänger mit Splits über 3 Minuten hatte, so dass man sich nach dem Halbmarathon nicht puristisch am Rennverlauf des letzten Jahres orientieren muss.
Geoffrey Mutai hat in diesem Jahr noch keinen Marathon beendet, im Hitzemarathon von Boston im April stieg er aus, für Olympia 2012 wurde er weitgehend unverständlich vom Verbund nicht nominiert. Der 31jährige Kenianer ist somit hochmotiviert, in Berlin nach dem Regenrennen von 2010 (2:05:10) sein Potential zu demonstrieren.
Und das liegt sicher im Bereich des Weltrekords, vielleicht sogar noch deutlich darunter in Regionen der nicht regulären Zeiten beim Boston-Marathon 2011 (2:03:02). Sein Auftritt in der zweiten Hälfte in Boston 2011 über den Heart Break Hill und auch die letzten 10 km beim letztjährigen New York Marathon zeichnen ihn als einen der besten Läufer auf globaler Skala aus.
Dass ihm der Rekord und der Sieg nicht leicht gemacht werden wird, dafür dürften vor allem zwei Newcomer sorgen. Dennis Kimetto ist der Shooting Star der Saison 2012. Mit falschen Passangaben stieg er in Ras Al Khaimah in die internationale Szene ein und düpierte als Dennis Koech ein Weltklassefeld. Beim Berliner Halbmarathon war er dann plötzlich 10 Jahre älter geworden, nannte sich jetzt Dennis Kipruto Kimetto und siegte wieder.
Sein Meisterstück lieferte er dann einen Monat später in Berlin bei den BIG 25 ab, er lief die nicht einfach zu laufende Strecke vom und zurück ins Olympiastation in hochklassigen 1:11:18. Das war ein weiterer Weltrekord auf Berlin Straßen, in einem Tempo das fast genau einem 2 Stunden-Marathon entspricht. Dabei lief Dennis diese Leistung derart locker heraus, dass man für ihn eine große Zukunft im Straßenlauf sehen muss.
Allerdings war sein Höhenflug kurz danach zunächst vorbei, bei den 10 km in Bangalore lief er abgeschlagen im Feld auf Grund einer Fußverletzung. Davon sollte er genesen sein, aber von Interesse für den Lauf am Sonntag sollte noch sein, dass Dennis lange Zeit als Tempomacher vorgesehen war, der dabei erste Luft für einen Marathon schnuppern sollte. Davon ist mittlerweile keine Rede mehr. Dennis, der übrigens wie Mutai von Gerard van de Veen betreut wird, will durchlaufen und könnte dabei zu einem ebenbürtigen Gegner von Geoffrey Mutai erwachsen. Sein Debut könnte großartig werden.
Und das kann man auch von Geoffrey Kipsang erwarten, der erst Ende November 20 Jahre alt wird. Mit 18 Jahren gewann er den Berliner Halbmarathon 2011 in 60:38 und steigerte sich im März 2012 in den Haag auf 59:26. Die Berliner Marathonstrecke kennt er bereits aus dem letzten Jahr, wo er als Tempomacher sehr gute Arbeit ablieferte und erst nach Hailes Einbruch zurückbeordert wurde. Ansonsten wäre er sicher über die 30 km das Weltrekordtempo mitgegangen. Er weiß somit bestens, was am Sonntag vom Tempo her auf ihn zukommt.
Das dürften auch die Kenianer Jonathan Maiyo und Eliud Kiptanui kennen, die in Berlin als Tempomacher oder Eliteathlet schon dabei waren. Maiyo hat sich mittlerweile im Halbmarathon in Den Haag auf 59:02 gesteigert und auch im Marathon gelang ihm im Januar in Dubai mit 2:04:56 der Durchbruch in die Weltklasse. Eliud Kiptanui hat bisher eine sehr wechselvolle Karriere hinter sich gebracht, die mit einem sensationellen Debut in Prag 2010 in 2:05:39 begann.
Im Regen von Berlin lief er dann im gleichen Jahr nur 2:08:05 und sackte dann im Leistungsniveau auch durch taktische Fehler ab. Im Frühjahr deutete er aber beim schnellen Seoul-Marathon in 2:06:44 an, dass es mit ihm wieder nach oben geht. Maiyo als auch Kiptanui haben sicher das Potential auf eine vordere Platzierung und werden das Weltrekordtempo von Anfang an mitgehen können.
Ob es am Ende in Berlin zu einer neuen globalen Bestmarke reichen wird, dürfte auch vom Wetter abhängen. Die aktuellen Vorsagen sind nicht ungünstig mit Temperaturen um die 13°C und bewölktem Himmel. Problematisch dürfte da schon eher ein recht scharfer Westwind werden, der die Läufer aber in der kritischen zweiten Phase des Laufs unterstützen würde.
Somit können wir uns auf eine spannende Tempojagd in Berlins Straßen freuen, die sicherlich wieder eine Flut von Topleistungen erbringen wird. Dafür sorgt sicher auch wieder die glänzende Führung und Betreuung der Tempomacher und Eliteathleten auf der Strecke. Auch das Konzept, junge Nachwuchstalente zunächst als Pacemaker an den Marathon heranzuführen und an Berlin zu binden, könnte schon bald erste Früchte erbringen.
Und falls Mutai und Co. die 2:03:38 verpassen sollten, geht es bereits am 7. Oktober in Chicago mit Tsegaye Kebede weiter und am 28. Oktober geht dann der aktuelle Rekordhalter Patrick Makau in Frankfurt an den Start. Ob der dann noch seinen „alten“ Weltrekord jagt, wird sich schon am Sonntag zeigen.
Helmut Winter

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