Samuel Wanjiru ist der Abkömmling einer besonderen internationalen Sportpartnerschaft: Sein Entdecker und Förderer in Kenias höchstgelegener Rift-Valley-Stadt Nyahururu war der alte Trainer Robert Kioni, dessen Läufercamp eine Kooperation mit der Sendai Ikuei Gakuen High School unterhält.
Der Marathon-Bolt – Saisonauftakt: Kenias Olympiasieger Wanjiru jagt den Weltrekord – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
München – Dass Usain Bolt nun auch Marathon laufen sollte, war keine Überraschung. Seit Jamaikas Schnellstsprinter vorigen Sommer jeweils dreifacher Olympiasieger und Weltrekordler geworden ist, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendetwas über ihn und seine Pläne gemeldet wird, die sein Management offensichtlich stark anhand der Aussicht auf Geld schmiedet.
Da passte die Meldung, welche das Laufmagazin Runner"s World diese Woche exklusiv hatte, nämlich dass Bolt beim Boston Marathon am 20. April als Tempomacher bis Meile 15 starten werde. Für so was gibt es schließlich auch Geld. Und könnten sich die Marathonvermarkter vor ihrem Wettkampffrühling, der an diesem Wochenende in Paris und Rotterdam beginnt, bessere Werbung wünschen als die Aussicht auf den 1,96-Meter-Mann Bolt als Windschattenspender für die zierlichen Sieganwärter auf den 42,195 Kilometern? Die Nachricht war natürlich ein Aprilscherz. Aber einer, der als gelungene Parodie auf die Kommerz-Leichtathletik durchging.
In Wirklichkeit hat die Marathon- szene selbst eine Art Bolt: Samuel Wanjiru, 22, aus Nyahururu in Kenia ist bei den Spielen 2008 in Peking zwar nicht dreifacher Olympiasieger mit Weltrekord geworden; solche Triumphe sind für Langstreckler nicht zu machen. Aber dieser olympische Rekord von 2:06:32 Stunden, mit dem Wanjiru das erste olympische Marathon-Gold für Kenia gewann, war auch kein Alltagsergebnis, sondern ein weiteres Zeichen dafür, dass die neue Athletengeneration ihre eigenen Maßstäbe setzt. Denn die Zeit ist un- typisch gut für einen Meisterschaftsmarathon, den Taktik und Hitze normalerweise auf niedrigerem Niveau halten. Schon in Peking fragte sich mancher, welche Zeit Wanjiru gelaufen wäre, wenn er die gleichen milden Bedingungen vorgefunden hätte wie bei einem Frühjahrs- oder Herbstklassiker. Weltrekord?
Jedenfalls blickt die Branche vor der neuen Marathonsaison mit besonderem Interesse auf Samuel Wanjiru. Der äthiopische Volksheld Haile Gebrselassie, 35, der den Olympia-Marathon angeblich wegen Pekings schlechter Luft ausließ und wenige Wochen später in Berlin den Weltrekord auf 2:03:59 Stunden verbesserte, hat schon angekündigt, sich dieses Jahr wieder an der Marke zu versuchen. Aber Wanjiru ist fast die bessere Weltrekordwette, und so könnten sich der alte Äthiopier und der junge Kenianer in diesem Jahr ein atemloses Duell liefern. Beide haben sogar schon von Starts auf Berlins rekordträchtiger Strecke gesprochen – das direkte Aufeinandertreffen müssten sich die Berliner Veranstalter allerdings erst mal leisten können.
Wer gewinnt, ist offen, sicher erscheint vorerst nur, dass die Marathonszene in Samuel Wanjiru den Mann gefunden hat, der ihre Disziplin in neue Dimensionen führen kann. Den Halbmarathon-Weltrekord hat er Gebrselassie schon 2007 abgenommen (mit 58:33 Minuten in Den Haag). Bei seinem Marathon-Debüt in Fukuoka im Dezember 2007 stellte er in 2:06:39 einen Streckenrekord auf, im April darauf war er Zweiter in London mit dopingverdächtig guten 2:05:24. Und in Peking ließ er sich von seinem Instinkt zum Olympia-Rekord leiten:
"Ich dachte, das Beste wäre, ein Tempo zu laufen, das ich gewohnt bin." Vom Taktieren hält er wenig, er sagt: "Die Kenianer haben bisher kein Gold gewonnen, weil sie sich bei den großen Meisterschaften zu sehr damit beschäftigt haben, das Rennen zu gewinnen, und sie dadurch die Rennen zu langsam werden ließen." Er dagegen fürchtet sich nicht vor seinem eigenen Tempo.
Samuel Wanjiru ist der Abkömmling einer besonderen internationalen Sportpartnerschaft: Sein Entdecker und Förderer in Kenias höchstgelegener Rift-Valley-Stadt Nyahururu war der alte Trainer Robert Kioni, dessen Läufercamp eine Kooperation mit der Sendai Ikuei Gakuen High School unterhält. Als Schüler wechselte Wanjiru nach Japan, machte seinen Schulabschluss dort und ließ sich inspirieren von Japans Marathonschule. Er lebt immer noch in Japan, spricht fließend japanisch, startet für Toyota Motor Kuyshu, sein Coach ist Koichi Morishita, Japans Silber-Gewinner von Barcelona 1992, und so vermengen sich bei Samuel Wanjiru die Anlagen eines ostafrikanischen Läuferkindes mit japanischem Arbeitsethos. Wobei die Japaner wohl auch ein bisschen etwas von Wanjirus afrikanischer Lebenskunst lernen können. "Die Japaner nehmen alles zu ernst", sagt Samuel Wanjiru, "und sie mögen keine Veränderungen." Er ist da anders.
Am 26. April startet Samuel Wanjiru in London. Der Kurs dort ist schnell, aber die Besetzung des Rennens erlesen, deswegen sagt er: "Ich will einfach nur gewinnen." Kein Weltrekord, zumindest nicht vorsätzlich. "Es wird nicht möglich sein, den Weltrekord zu brechen, wenn dir alle auf den Laufstil schauen", sagt Samuel Wanjiru. Er will nichts überstürzen bei seinem Angriff auf die prestigeträchtige Marke. Er muss auch nichts überstürzen. Er ist immer noch ein Marathon-Anfänger.
Thomas Hahn, Süddeutsche Zeitung, Sonnabend, dem 4. April 2009