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15
07
2007

Mitte der 80er Jahre suchten wir Nachwuchsläufer, die durch die Ethiopian Airlines gesponsert werden sollten. In der Provinz Arssi, 175 km südöstlich von Addis Abeba, liefen so viele Dorfkinder, so dass wir keine Mühe hatten, Talente zu finden.

Der Mann, der den Wunderläufer entdeckte – Klaus Weidt sprach mit dem Trainer von Haile Gebrselassie, Dr. Yilma Berta

By GRR 0

Dr. Yilma Berta trainiert die äthiopische Marathon-Nationalmannschaft und somit auch den zweimaligen 10 000-m-Olympiasieger Haile Gebrselassie. Der Endfünfziger studierte einst in Prag und schrieb dort zwei Dissertationen zur Leichtathletik. Selbst war er Mittelstreckler. Heute arbeitet er für die äthiopische Athletik-Föderation (E.A.F).

Die wenigsten wissen, dass Sie es waren, der einst Haile Gebrselassie entdeckt hat…

Ja. Mitte der 80er Jahre suchten wir Nachwuchsläufer, die durch die Ethiopian Airlines gesponsert werden sollten. In der Provinz Arssi, 175 km südöstlich von Addis Abeba, liefen so viele Dorfkinder, so dass wir keine Mühe hatten, Talente zu finden. Beim ersten Wettbewerb war Haile noch nicht der Beste, kam aber schon unter die ersten 15. Beim zweiten Test gewann er.
Wir wählten drei Jungen aus und holten sie zum Training in die Hauptstadt, darunter Haile Gebrselassie.

Wie kam es, dass Gebrselassie dann 1988 in Addis Abeba seinen ersten Marathon lief?

Dazu hatte ihn sein Bruder überredet. Der gewann damals den Abebe-Bikila-Marathon, doch Haile quälte sich sehr und wurde 99. Danach fragte er mich, ob er nun Marathonläufer werden soll. Ich riet ihm ab: „Dazu bist du noch zu jung, später einmal“ und übergab ihn in die Gruppe der 5000-m- und 10 000-m-Läufer.

Was sich ja auch in den folgenden 15 Jahren als goldrichtig erwies. Denn Gebrselassie lief zu elf Weltmeistertiteln zwischen 1500 m und Halbmarathon und wurde zweimal Olympiasieger.
Warum kehrte er dann zu Ihnen als Marathonläufer zurück?

Es war sein Wunsch, von den Bahnrennen auf die Marathonstrecke zu wechseln. Ich habe mich natürlich darüber gefreut. Haile trainiert eigenständig nach seinen Plänen, konsultiert mich aber und fügt sich bei unseren Läufen, die bereits früh um 6 Uhr an den Entoto-Hügeln (bis 3000 m Höhe/K.W.) beginnen, in die Gemeinschaft ein. Haile kennt keinerlei Starallüren. Er respektiert Trainer und Training, ist immer pünktlich, im Kopf klar und kann einfach mit allen Leuten umgehen.

Wie umfangreich ist Ihre Marathon-Nationalmannschaft derzeit?

Sie besteht aus 45 Männern und 40 Frauen. Insgesamt elf bereiten sich für die WM in Japan vor.

Wie viele können unter 2:10 Stunden laufen?

Zehn der 45 Marathon-Männer.

Was unterscheidet die Äthiopier von den Kenianern?

Die Disziplin. Bei uns trainieren die Besten gemeinsam in Trainingscamps und halten zusammen. Sie werden als Aktive auch älter. Schauen Sie sich die Kenianer an, sie fliegen durch Europa und nehmen an allen möglichen Rennen teil, ob Stadtläufe oder Marathons. Jeder entscheidet meist selbst, was er macht. Das ist bei uns anders.
Die Athletik-Föderation wählt aus und sendet zu bedeutenden Rennen.

Mit Ausnahmen, wie z.B. Haile Gebrselassie, der ja wohl mit seinem niederländischen Manager Jos Hermens die internationalen Einsätze bestimmt?

Zum Teil. So im Juni in London, als Manager und Renndirektoren internationale Einsätze festlegten. Mir war klar, dass Haile nicht zur WM nach Osaka reisen würde, erfuhr es aber auch selbst erst aus London, dass er abermals beim Berlin-Marathon startet.

Stichwort London. Die britische Hauptstadt brachte Haile Gebrselassie wenig Glück. Im Vorjahr wurde er beim London-Marathon Neunter, in diesem Jahr schied er sogar aus. Mal war von Seitenstichen, mal von Atembeschwerden di Rede. Was war der wirkliche Grund?

Er stieg aus, weil er nicht mehr richtig atmen konnte. Früher hatte Haile einmal unter Asthma gelitten, das schien vor zwei Jahren auskuriert zu sein. Doch zeigte sich, dass schlechte Luft, auch Pollenflug wie in London, ihm weiterhin zu schaffen machen kann. Auch aus diesem Grund meidet er die Weltmeisterschaften in Japan.

Inzwischen hat sich Ihr Schützling mit Paukenschlägen wieder zurück gemeldet, allerdings auf „kürzeren“ Strecken. So auf der Bahn von Hengelo bei einem Comeback über 10 000 m, so mit Weltrekorden in Ostrava über eine Stunde mit 21 283 m und da noch so nebenbei 20 km in 56:25,98 h. Sind das Vorzeichen für den Weltrekord im Marathon, den Haile Gebrselasie schon seit längerer Zeit anstrebt?

Das kann man so sehen. Die 2:04:55 von Paul Tergat will er unbedingt unterbieten, und dazu ist er, wenn das Berliner Wetter mitspielt, in der Lage. Der Marathon-Weltrekord ist schon das Highlight für Haile in diesem Jahr.

Ist es richtig, dass am 11. September in Äthiopien erst das Jahr 1999 zu Ende geht?

Ja. Vor dem Berlin-Marathon feiern wir tatsächlich noch „Silvester“. Der 12. September ist dann der erste Tag im Jahr 2000. Nach dem Julianischen Kalender, der bei uns nie abgeschafft wurde. Wir haben 13 Monate im Jahr, unsere Uhren gehen anders, und das kommende Millenniumsfest wird ein großes Ereignis für Äthiopien sein, zu dem auch viele internationale Gäste erwartet werden.

So wird der „Great Ethiopian Run“ am 9. September in Addis Abeba der allerletzte Millennium-Lauf der Welt sein?

Zu diesem Ereignis wird Haile Gebrselassie den Startschuss geben und dann möglicherweise selbst mitjoggen. Wir rechnen mit 30 000 Teilnehmern.

Warum setzen Sie sich so vehement für einen eigenständigen Äthiopien- Marathon ein?

Äthiopien braucht dringend eine Marathon-Veranstaltung von internationaler Bedeutung, die auch einen Halbmarathon und eine 10 km-Strecke einbezieht. Das Land der Läufer sollte die Läufer aus aller Welt zu sich einladen.
Ich glaube, dass wir den ersten „ Ethiopia Marathon“ bereits im nächsten Jahr Anfang September organisieren können.

Die Marathonläufe des Haile Gebrselassie
1. 19.6.88: Abebe-Bikila Marathon 2:48 – 99.Platz
2. 14.4.02: London-Marathon 2:06:35 – 3.
3. 16.10.05: Amsterdam-Marathon 2:06:20 – 1.
4. 16.4.06: London-Marathon 2:09:05 – 9.
5. 24.9.06: Berlin-Marathon 2:05:56 – 1.
6. 3.12.06: Fukuoka-Marathon 2:06:52 – 1.
7. 22.4.07: London-Marathon – ausgeschieden

Dieser Beitrag von Klaus Weidt erschien am 14. Juli 2008
in der Tageszeitung „Neues Deutschland“

author: GRR

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