Der Lauf-Vater – Zum 75. Geburtstag von Horst Milde – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

BERLIN. Mit dem freundschaftlichen Urteil „Alles Verrückte!" zitierte diese Zeitung vor dreißig Jahren Horst Milde, als er den Marathon aus dem Grunewald auf die Straßen von Berlin geholt hatte. Inzwischen ist aus der Veranstaltung ein Massenereignis geworden; 40 000 Startplätze sind innerhalb weniger Stunden gebucht.

An der Spitze verbessern die Besten der Welt regelmäßig den Weltrekord; erst vor wenigen Wochen steigerte der Kenianer Wilson Kipsang die Bestleistung auf 2:03:23 Stunden. Langlauf, auch der über 42195 Meter, ist zu einer Massenbewegung geworden.

Horst Milde ist ihr Vater. Diplom-Kaufmann und Konditormeister von Beruf, war und ist er doch bis heute vor allem: Läufer. Ausdauer und Beharrlichkeit, Einfallsreichtum und Leidenschaft verlagerte er schnell vom Training darauf, andere Laufverrückte einzubeziehen.

Als Student organisierte er 1964 – da war die Devise von „Trimm dich fit" noch nicht einmal eine Vision – den ersten offenen Crosslauf am Teufelsberg, zwölf Wochen, nachdem in Bobingen bei Augsburg der erste Volkslauf Deutschlands stattgefunden hatte.

Revolutionär war, dass nicht wie üblich Vereine meldeten, sondern jeder teilnehmen durfte.

Als selbständiger Bäcker und Konditor organisierte Milde zehn Jahre später den ersten Volksmarathon – mit 286 Teilnehmern. Er rief zu den ersten Lauftreffs, er etablierte den Frauenlauf und die Firmenstaffel im
Tiergarten, er brachte Silvesterlauf und Neujahrs-Jogging nach Berlin, er führte den Berlin-Marathon noch vor
der deutschen Einheit durchs Brandenburger Tor in die Mitte der Stadt.

Auch die von Milde gegründete Veranstaltungs-GmbH des Marathons, die inzwischen als „SCC Events" firmiert, bewegt Millionen: mit einem Dutzend verschiedener Laufveranstaltungen sowie Radrennen, Triathlon und Messen.

Rund viertausend Laufveranstaltungen gibt es inzwischen in Deutschland, nahezu jede Stadt schmückt sich
mit einem Citylauf oder Stadtmarathon.

Fünfzig Jahre Laufbewegung animierten Detlef Kuhlmann auf der Website des Deutschen Olympischen Sportbundes zu dem Vergleich. "Die Fußball-Bundesliga hat die Menschen in die Stadien geführt. Die Laufbewegung dagegen hat die Menschen aus dem Stadion getrieben – weg vom sturen Rundenlaufen auf der 400-Meter-Bahn hin zu den Volksläufen in freier Natur und den City-Marathons mit Stillstand des Autoverkehrs in den Innenstädten."

An diesem Samstag feiert Horst Milde mit vielen anderen Laufverrückten auf dem Gelände des Olympiastadions von Berlin seinen 75. Geburtstag.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 26. Oktober 2013