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2012 Kenya Kenya February 2012 Photo: Giancarlo Colombo@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

Der lange Weg zum grossen Geld – Jürg Wirz in CONDITION

By GRR 0

Vor etwas mehr als 30 Jahren drohte Athleten, die Geld annahmen, die Sperre durch den Verband. Heute wetteifern die Marathons der Welt um die höchsten Preisgeldbugets. Abu Dhabi zahlt 300.000 Dollar für den Sieger, in Dubai ist ein Weltrekord mit einer Million dotiert.

Bereits im 19. Jahrhundert wurden einige Läufer bezahlt oder sie erhielten Preisgelder. Ein zentraler Punkt der olympischen Bewegung war jedoch die Beschränkung der Teilnahme auf reine Amateure, auf Athleten, die entweder Studenten waren oder einer anderen ehrenwerten Beschäftigung nachgingen. Nach dem Ethos der englischen Aristokatie, die Pierre de Coubertin stark beeinflusste, war ein richtiger Gentleman ein Allrounder und nicht einer, der sich nur auf eine Sache konzentrierte. Mit der Beschränkung auf Amateure wollte man aber auch Vertreter der Arbeiterklasse ausschließen, die kaum Zeit hatten, sich sportlich zu betätigen.

Sport sollte eine Beschäftigung für die Elite sein. In den frühen Jahren der olympischen Bewegung kümmerte sich niemand um Geld, das hatte man. Avery Brundage, der amerikanische Multimillionär, der das IOC von 1952 bis 1972 präsidierte, pflegte nicht ohne Stolz darauf hinzuweisen, dass ihn die Organisation im Jahr ca. 100.000,- US-Dollar koste.

Ein Beispiel, wie streng die Amateurbestimmungen interpretiert wurden, ist die Kontroverse um den amerikanischen Mehrkämpfer Jim Thorpe, der bei den Olympischen Spielen 1912 zwei Goldmedaillen gewann. Als das IOC später erfuhr, dass Thorpe für ein bisschen Geld in einer unteren Liga Baseball gespielt hatte und demzufolge kein reiner Amateur war, wurden ihm die Medaillen aberkannt und die Leistungen aus den Rekordbüchern gestrichen. 1973 wurde Thorpe vom amerikanischen Verband „Amateur Athletic Union“ rehabilitiert. Neun Jahre später zog das IOC nach; die Medaillen wurden seiner Familie zurückgegeben. Ein anderer Fall betraf den finnischen Langstreckenstar Paavo Nurmi, von dem bei den Sommerspielen 1932 weitere Medaillen erwartet wurden.

Das IOC schloss den „fliegenden Finnen“ von der Teilnahme aus, weil er bei einem Wettkampf in Deutschland angeblich zu hohe Reisespesen erhalten hatte.

In den 60er-Jahren erlaubten immer mehr Sportverbände ihren Athleten, sich den zeitlichen Aufwand entschädigen zu lassen, nicht aber die Leichtathletik. Damit war kein Geld zu verdienen. Auch wenn man einen Weltrekord brach oder das ganze Stadion vollgestopft war, weil alle Leute zum Beispiel die großen Duelle zwischen dem Kenianer Kipchoge Keino und dem Australier Ron Clarke sehen wollten – nichts.

Die Einzigen, die profitierten, waren die Veranstalter.

Wenn Keino nach London eingeladen wurde, zahlte der Organisator das Flugticket und eine Tagespauschale von 1,- US-Dollar, später waren es 3,- US-Dollar. Es gab eine IAAF-Regel, die besagte, dass ein Athlet nur ein paar Wochen im Jahr außerhalb des Landes sein durfte, sonst galt er als Berufssportler und wurde gesperrt.

Zudem: Jeder Athlet, der gegen einen professionellen Läufer antrat, verlor seinen Amateurstatus und war von sämtlichen offiziellen Veranstaltungen ausgeschlossen. Das führte dazu, dass in den USA eine Profitruppe auf die Beine gestellt wurde, der auch die Kenianer Keino und Ben Jipcho sowie der Amerikaner Jim Ryun angehörten.

Keino schlug Ryun im ersten Profirennen 1973 in Los Angeles und verdiente in einem Jahr 16.700,- US-Dollar. Danach kehrte er nach Kenia zurück, widmete sich seinen eigenen Geschäften und war ein paar Jahre lang auch Nationalcoach.

Selbst Ende der 70er-Jahre war es Läufern nicht erlaubt, Geld anzunehmen, aber die Praxis sah bereits ein wenig anders aus. Der Amerikaner Don Kardong, Marathon- Olympiavierter 1976 in Montreal, erinnert sich: „Es war bei einem Straßenrennen in den USA. Der Veranstalter nahm mich zur Seite, schielte über die Schulter, um sicherzustellen, dass uns niemand beobachtete, und blätterte mir einen vorher vereinbarten Betrag in 100-Dollar-Noten in die Hand. Ich kam mir vor wie ein Drogenhändler, dabei hatte ich doch gar nichts angestellt. War es das, was ich mir unter einem Spitzen-Straßenläufer vorzustellen hatte?“

Man kann davon ausgehen, dass Frank Shorter, der Marathon-Olympiasieger von 1972, und Bill Rodgers, der Held mehrerer Boston-Marathons, bis zu 5.000,- US-Dollar kassierten, bevor sie an der Startlinie standen. Im Vergleich dazu: Der große Kenianer Paul Tergat erhielt bei seiner Marathonpremiere 2001 in London 300.000,- US-Dollar Startgeld. 1980 trat mit Jordache (Jeans) ein Sponsor in den USA auf den Plan, der bei zwei Marathons je 25.000,- US-Dollar für die Sieger aussetzte.

Den richtigen Aufstand gegen den amerikanischen Leichtathletikverband TAC probte eine Gruppe von Topathleten im Sommer 1981, wohl auch als Reaktion auf den Olympiaboykott, der ihnen klargemacht hatte, dass nicht sie, sondern Politiker und Funktionäre über Sportlerkarrieren entschieden. Don Kardong beteiligte sich als einer der Wortführer an der Gründung einer Vereinigung der Straßenläufer, die sich Association of Road Racing Athletes nannte (ARRA) und zusammen mit verschiedenen Veranstaltern eine Serie ins Leben rief, bei der in aller Offenheit Preisgelder bezahlt wurden. Die Amerikaner waren die Vorreiter und ebneten den Weg für die Europäer.

Nicht zuletzt auch wegen der Staatsamateure aus dem Osten, die gegenüber den Westlern einen großen Vorteil hatten, lockerte die IAAF 1982 die Bestimmungen und schaffte kurz darauf Trust Funds, Sperrkonten, auf die die Start- und Preisgelder sowie Sponsorbeiträge einbezahlt wurden. Vor dem Ende seiner Karriere durfte ein Athlet aber nur Lohnausfall und Trainings-entschädigungen beziehen. Die nationalen Verbände wachten mit Argusaugen über die rechtmäßige Geldverwendung.

Der Schweizer Markus Ryffel, Ende der 70er-, zu Beginn der 80er-Jahre einer der besten Langstreckenläufer der Welt, schwitzte noch für ein Butterbrot. Der heute 57-jährige Geschäftsmann und Gesundheitsexperte blickt mit einem Lächeln zurück: „Anfänglich gab es überall die sogenannten Gabentempel. Besonders oft wurden Uhren abgegeben; ich hatte mir im Laufe der Jahre eine ansehnliche Kollektion zusammengelaufen. Beim Rude-Pravo-Straßenlaufin Prag, damals einem der renommiertesten in Europa, gab’s vornehmlich Foto- und Filmkameras der Marke Zeiss.

Bei den World Games in Helsinki, einem der besten internationalen Bahnmeetings, erhielten die Erstplatzierten 1979 Kristallvasen.“ Ryffel, der insbesondere nach seinem Olympiasilber über 5.000 m 1984 in Los Angeles einige Fränkli verdient hat, plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen, wenn er von einer Ozeanientournee im Winter 1979/80 erzählt: „Der jamaikanische 200-m-Olympiasieger Don Quarrie brachte mir nicht nur Laufschulübungen bei, sondern auch den Umgang mit den Veranstaltern. Das Taggeld von 25,- US-Dollar war eigentlich nur für die acht Wettkämpfe vorgesehen, doch wir liessen uns den ganzen achtwöchigen Aufenthalt bezahlen. Geflogen wurde in der Economy, ausbezahlt aber oft Business.“

Nach seinem fünften Olympiarang 1980 in Moskau wurde Ryffel beim Meeting Weltklasse in Zürich, obwohl er da schon Vize-Europameister und zweifacher Halleneuropameister war, zum ersten Mal ein Startgeld angeboten – 1.500,- US-Dollar. Es kam aber nicht zur Auszahlung, weil der Schweizer wegen einer Verletzung auf den Start verzichten musste. Es war die Zeit, als clevere Firmen das Werbeverbot umgingen, indem sie zum Beispiel einen Mazda-Leichtathletikklub auf die Beine stellten und so ihren Schriftzug auf dem Wettkampfdress hatten.

Ende der 80er-Jahre war ein Athlet endlich sein eigener Herr und Meister, oft und immer mehr unterstützt von Managern.

Erst 2001 eliminierte die IAAF das Wort „Amateur“ allerdings aus dem Namen und ersetzte „International Amateur Athletics Federation“ durch „International Association of Athletics Federation“. 1988 räumten auch die Olympier mit den Amateuren auf und entschieden, Berufssportler zuzulassen, wobei die Fachverbände das letzte Wort hatten. So traten 1992 in Barcelona erstmals Basketballprofis der NBA an und 1998 in Nagano Eishockeyspieler der NHL.

Die Straßenläufe wurden für die Besten ein immer besseres Geschäft. Da musste sich auch die IAAF etwas einfallen lassen. Bei der WM 1993 in Stuttgart und zwei Jahre später in Göteborg durften die Sieger einen Mercedes mit nach Hause nehmen. Ismael Kirui, der Kenianer, der beide Male die 5.000 m gewann, fährt seinen noch immer. Das war der Anfang. An der WM in Daegu ließen sich die Sieger 60.000,- US-Dollar überweisen, ein Weltrekord brachte zusätzliche 100.000,- US-Dollar ein.

Die Statistik der ARRS (siehe Kasten) zeigt, dass das Geld tatsächlich auf der Straße liegt. Rund 90 % der fast 25 Millionen Dollar, die 2011 als Preisgelder auf schnelle Beine warteten, wurden bei Straßenläufen ausgeschüttet, in erster Linie bei den großen Marathons.

Der überragende Äthiopier Haile Gebrselassie führt die Liste der Karriere-Spitzenverdiener mit mehr als dreieinhalb Millionen US-Dollar an; darin sind Bonuszahlungen von Sponsoren, Sachpreise und Startgelder nicht eingeschlossen. Auch nach 30 Jahren Preisgeldentwicklung gibt es allerdings nur wenige, die mit dem Laufen reich werden können.

DIE ENTWICKLUNG DER PREISGELDER

(Offizielle Preisgelder in US-Dollar, ohne Bonuszahlungen von Sponsoren, Sachpreise und Startgelder, zusammengestellt von der Association of Road Racing Statisticians)

Jahr Total in US-$   Männer          Frauen          Straße
1980 100.100.-          50.050.-         50.050          100.100.-     (100 %)
1990 5.814.979.-       3.348.415.-    2.466.564.-   5.802.379.-   (99,8 %)
2000 10.769.828.-     5.794.033.-    4.975.795.-    9.517.438.-   (88,4 %)
2009 23.437.010.-     13.321.250.-  10.115.760.-  21.249.723.- (90,7 %)
2010 23.697.886.-     12.600.040.-  11.097.846.-  21.916.736.- (92,5 %)
2011 24.382.141.-     13.054.310.-  11.327.831.-  22.419.591.- (92,8 %)

Männer                                            Frauen
3.546.463.- Haile Gebrselassie  –    2.236.415.-  Paula Radcliffe
1.886.000.-   Samuel Wanjiru              1.795.284.-   Catherine Ndereba
1.559.033.-   Kenenisa Bekele              1.575.448.-   Liliya Shobukhova
1.490.630.-   Martin Lel                       1.464.400.-   Irina Mikitenko
1.362.381     Robert Cheruiyot             1.447.910.-   Lornah Kiplagat
1.301.090.-   Paul Tergat                      1.438.280.-  Gete Wami
1.280.620.-   Khalid Khannouchi           1.344.955.-  Gabriela Szabo
1.188.122.-   Emanuel Mutai                 1.252.710    Birhane Adere

Jürg Wirz in CONDITION 2/2013

 

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