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16
07
2022

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DER DLV AUF DEM WEG ZUM SCHEINRIESEN? Dr. Wolfgang Blödorn

By GRR 0

Scheinriesen sind durch Herr Tur Tur aus dem Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von Michael Ende bekannt.

Scheinriesen zeichnen sich dadurch aus, dass sie größer erscheinen als sie wirklich sind. Kommt man ihnen näher, so schrumpfen von riesengroß zu zwergenhafter Gestalt. Ein ähnliches Phänomen scheint auch beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) vorzuliegen.

Da lobt der DLV über seine Medien Leistungen als Weltklasse, welche dann bei näherem Hinsehen noch nicht einmal einen Platz unter den ersten Dreißig der Jahresweltbestenliste 2022 bedeuten. Meisterschaften werden als Leuchttürme mit internationaler Strahlkraft vorgestellt und erweisen sich dann danach als Teelicht.

Dieser Kommentar sollte nicht missverstanden werden. Mein Herz schlägt für die Leichtathletik und deren Athletinnen und Athleten. Auch wenn die Leistungsträger in der Spitze größtenteils unter finanziell abgesicherten Bedingungen profihaft trainieren können, so müssen sie doch ihrem Hobby sehr viel Zeit widmen und sich im Training mitunter auch quälen. Dies verdient großen Respekt in unserer Zeit, sich einem Leistungsziel zu unterwerfen und dafür viel – auch privat – nicht nur Zeit zu opfern.

Seit der Änderung seiner Satzung im November 2020 hat sich der DLV organisatorisch von einem ehrenamtlichen Verband zu einem marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsunternehmen gewandelt. Als „Eventagentur DLV“ stehen finanzielle Motive dem Anschein nach vor sportlichen. Auf diesen Gedanken könnte man kommen, wenn man den großen Anteil – mehr als die Hälfte – von nominierten Athletinnen und Athleten für die WM in Eugene/Oregon betrachtet, welche die Leistungsnorm für die WM 2022 nicht erreicht haben und sich im „Nachrückverfahren“ qualifiziert haben. Die Verantwortlichen im DLV scheinen zu hoffen, dass eine große Zahl von Nominierungen – zumindest durch Zufallstreffer – PotAs-Punkte erringen könnte.

Nimmt man die Wiedervereinigung Deutschlands als eine Zäsur, auch für den Sport, so muss man feststellen, dass der DLV in der Nationenwertung von Platz Drei 1991 in Tokyo auf Platz Sieben bei den Weltmeisterschaften 2019 in Doha zurückgefallen ist. Ein Aufschwung in der Nationenwertung durch die neue Verbandsstruktur mit einem hauptamtlichen Vorstand sowie einem ehrenamtlichen Aufsichtsrat ist nicht zu erkennen.

Im Gegenteil! Dieser Trend wird sich – leider – wohl auch bei der WM 2022 nicht ändern.

Oft wird im Zusammenhang von fehlender internationaler Qualität der sportlichen Leistungen seitens der Verantwortlichen als Entschuldigung vorgebracht, unsere Gesellschaft sei weniger leistungsbereit und -willig als in den Jahrzehnten vorher. Dieses Argument könnte sich allerdings als Scheinargument herausstellen. So konnten sich andere europäische Nationen, wie z.B. Großbritannien, Schweiz, Polen, obwohl mit geringerer Bevölkerungszahl als Deutschland in dem untersuchten Zeitraum in der Nationenwertung verbessern!

Dort sind ähnliche gesellschaftliche Bedingungen wie in Deutschland anzunehmen.

Es scheint demnach Defizite in den Strukturen der Talentauswahl, -beratung und -entwicklung in der deutschen Leichtathletik zu geben. Hierfür ist nicht nur der hauptamtliche Vorstand des DLV verantwortlich, sondern auch der ehrenamtliche Aufsichtsrat bzw. Präsidium. Beide sind jetzt bei der Heim-Europameisterschaft im August in München gehörig unter Erfolgsdruck.

Dr. Wolfgang Blödorn
Preetz, im Juli 2022

author: GRR