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23
07
2007

Die Episode aus dem vergangenen Mai hat eine Pointe: Onnen wusste gar nicht, dass der Rekord bei 2,37 Meter liegt. Deshalb scheiterte er zweimal an einer Höhe, an der er sich gar nicht hätte versuchen müssen. Überhaupt weiß er kaum etwas über diejenigen, deren Nachfolge er nun antritt.

Der bravste Rockstar Deutschlands – Hochspringer Eike Onnen gilt als legitimer Nachfolger der Altmeister Mögenburg und Thränhardt – MICHAEL REINSCH in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

By GRR 0

ERFURT. Irgendwie kommt er einem bekannt vor, wie er da lässig mitten auf der großen Bühne steht. Sekundenlang scheint er in sich zu versinken, der schlaksige Typ mit dem jungenhaften Gesicht. Die etwas zu langen, blonden Haare fallen ihm in die Stirn, und er wischt sie mit einer fahrigen Geste aus den Augen. Alle Blicke ruhen auf ihm, und er weiß es. Plötzlich beendet er seine aufreizende Reglosigkeit und zirkelt einige Schritte auf den Kunststoffboden.
Dies ist der Teil seiner Show, in dem er improvisiert. Hier gibt es kein Schema, immer wieder läuft er anders an. Und wie ein guter Gitarrist hebt er am Ende seines Solos ab.

Eike Onnen ist der zurzeit mit Abstand beste Hochspringer Deutschlands, und er hat ganz entschieden die Aura der Altmeister Mögenburg und Thränhardt. Auf 2,34 Meter ist er in diesem Jahr schon gekommen, und als die Kampfrichter, damals in Garbsen, ihm die Latte auf 2,38 Meter legten, da forderte er sie auf, die Herausforderung um einen weiteren Zentimeter zu steigern. „Ich wollte den Rekord nicht einstellen“, sagt er. „Ich wollte ihn für mich allein.“

Die Episode aus dem vergangenen Mai hat eine Pointe: Onnen wusste gar nicht, dass der Rekord bei 2,37 Meter liegt. Deshalb scheiterte er zweimal an einer Höhe, an der er sich gar nicht hätte versuchen müssen. Überhaupt weiß er kaum etwas über diejenigen, deren Nachfolge er nun antritt. „Als ich so gegen 2,20 Meter sprang“, erinnert er sich, „hat man angefangen, mir von Thränhardt zu erzählen.“ Das ist zwar schon einige Jahre her, doch nicht so lange wie der Rekordsprung. Thränhardt machte ihn am 2. September 1984 in Rieti. Onnen war damals knapp 25 Monate alt.

Inzwischen weiß er ein bisschen mehr, auch von Thränhardt selbst. Vor zwei Jahren lernten sich die beiden kennen, in den vergangenen Wochen trafen sie sich als Stargäste auf der Ispo und im Fernsehstudio. „Ich wusste, dass er Kettenraucher war“, erzählt Onnen. „Und ich hatte die Geschichte gehört, wie Mögenburg und Thränhardt bei einer deutschen Meisterschaft erst bei 2,30 Meter einstiegen. Der eine scheiterte, der andere gewann den Titel.“ Inzwischen ist der 24 Jahre alte Onnen so etwas wie der legitime Nachfolger Thränhardts, ausgestattet mit der Handynummer des Stars von einst, seinen besten Wünschen und einer Schwäche für ein Zigarettchen am Abend.
„Er ist ein Supertyp“, sagt Onnen über Thränhardt. „Total locker, total freundlich.“ Welche Rolle der Überflieger der achtziger Jahre spielte, erfährt Onnen immer wieder. „Ich bekomme oft zu hören, dass wir uns äußerlich ähnelten“, sagt Onnen und scheint sich zu amüsieren. „Aber das ist anderen auch passiert, wenn sie blond waren und hoch sprangen.“

Sieht man Onnen im Wettkampf, hält man ihn für den geborenen Star. Mal schenkt er dem Publikum sein jungenhaftes Lächeln, mal ignoriert er es. Was wie Arroganz wirkt, ist Konzentration. Onnen lässt Sprünge aus, die er eigentlich machen sollte. Er plaudert freundschaftlich mit seinen Gegnern, und gleichzeitig scheint er cool mit ihnen zu pokern. „Ich muss meinen Fuß schonen“, sagt er zu den taktisch wirkenden Pausen. „Er ist nicht mehr so leistungsfähig.“
Sieben Wettkämpfe erst hat er in dieser Saison bestritten, denn seit einer schweren Verletzung bei der deutschen Hallenmeisterschaft 2004 halten Kunststoffhaken die Bänder in seinem linken Fuß, dem Fuß, mit dem er abspringt. Aber selbstverständlich ist er ein Star auf dem Sprung. „Das Leben hat sich sehr geändert, seit ich 2,30 Meter springe“, sagt er. Zu jedem Wettkampf begleitet ihn ein Reporter der „Bild“-Zeitung.

Doch vorerst ist Onnen eher noch Projektionsfläche als einer, der all die Erwartungen erfüllen kann, die sich mit seinen Höhenflügen verbinden. Noch startet er lieber in Garbsen, Biberach und Bühl als in Malmö, Ostrava und Luzern, von wo er Einladungen erhielt. „Was soll ich überall rumreisen?“, fragt er. „Es geht doch nur um die Weltmeisterschaft.“ Zudem würde der bodenständige Überflieger auf Tingeltour Schulstunden verpassen. Der junge Mann holt auf der Abendschule sein Abitur nach, da bleibt keine Zeit für Ablenkung. Zwar hat er inzwischen einen Manager, doch der große Ruhm kommt noch in kleiner Dosierung.
Auf der Rolltreppe eines Kaufhauses in Hannover musste er sich kürzlich umdrehen, weil ein paar Jugendliche ihn erkannt und lauthals gerufen hatten: „Eike Onnen!“ Da lächelte er und entschwand in die nächste Etage. Bei der Zeugnisvergabe seines Abendgymnasiums ließen sich viele Mitschüler mit ihm fotografieren. „Macht schon Spaß“, sagt Onnen.
Der bravste Rockstar Deutschlands.

Michael Reinsch
Frankfurter Allgemein Sonntagzeitung
Sonntag, dem 22. Juli 2007

author: GRR

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